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Per Smartphone-App Krisengebiete kartieren

Benjamin Bathke12. August 2016

Stell dir vor, du kannst mit deinem Smartphone Katastrophenhilfe leisten - in Echtzeit. Die Idee: Tausende Freiwillige erstellen detaillierte Karten für NGOs vor Ort. Aber kann eine App in Krisen wirklich Leben retten?

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App MapSwipe
Bild: DW/B. Bathke

Auf ihrem Smartphone Display schaut Lena Siedentopp auf einen kleinen Landstrich im ländlichen Nigeria. Als sie eine Ansammlung von Hütten sieht, tippt sie ein Mal auf das Display, und dieser Kartenteil wird grün. Im Falle einer humanitären Krise hätte diese Information einer NGO vor Ort geholfen, Menschen in Not schneller zu helfen.

Siedentopp ist eine von mehreren Tausend Nutzern von #link:http://mapswipe.org/index.html:MapSwipe#, einer neue App, mit der jeder mit einem Smartphone zu einem digitalen Freiwilligen werden kann.

„In der Notfallschutzplanung wird mehr und mehr die Unterstützung von Helfern aus der Ferne genutzt“, sagt Siedentopp, die 2015 nach dem verheerenden Erdbeben in Nepal vor Ort für die Internationalen Organisation für Migration (IOM) arbeitete.

Mit der MapSwipe App können Menschen auf der ganzen Welt Satellitenbilder durchkämmen. Sie lokalisieren Hütten, Straßen und Brücken auf digitalen Karten, damit Organisationen im Fall einer humanitären Krise vor Ort aktuelle Informationen über Infrastruktur und Siedlungen haben. Dass das entscheidend ist, zeigt das Beispiel von Ärzte ohne Grenzen, die letztes Jahr im Kongo versuchten eine #link:http://www.msf.org.uk/article/drc-saving-lives-with-remote-mapping:Masern-Epidemie einzudämmen#. Ohne aktuelle Karten mussten hunderte Mitarbeiter Siedlungen finden, um alle Betroffenen zu erreichen. Dass viele Menschen seit dem Zensus von 2010 umgezogen waren, erschwerte die Arbeit der Helfer.

Die Öffentlichkeit in die Katastrophenhilfe einbinden

App MapSwipe
Screenshot der MapSwipe AppBild: DW/B. Bathke

Die globale Mapping-Gemeinschaft lebt von Gruppen wie den DisasterMappers Heidelberg in Deutschland, einer Studenteninitiative die 2014 am Geographischen Institut der Universität gegründet wurde. Doch bislang brauchten Freiwillige Laptops oder PCs um Krisengebiete zu kartieren.

Die DisasterMappers hatten die Idee für die MapSwipe app, als sie feststellten dass es extrem langwierig ist, vereinzelte Gebäude in dünn besiedelten Gebieten mit Hilfe von Satellitenbildern zu verorten.

Letztes Jahr stellten die Disaster Mappers, angeführt von Forscher Benjamin Herfort, das Konzept dem Missing Maps Project vor. Die Koalition von NGOs, zu dem unter anderem das Amerikanische Rote Kreuz und Ärzte ohne Grenzen gehören, setzten die Idee in die Realität um.

Obwohl die App erst seit einigen Wochen verfügbar ist, haben schon mehr als 8.000 Nutzer an 15 Kartierungs-Projekten gearbeitet, so Herfort. Dazu gehören die Demokratische Republik Kongo, Mali und Nigeria. Die Karte der Südkivu Provinz im Kongo ist dank 1.608 freiwilliger Kartographen bereits komplett. Andere, wie die West Africa Borders Karte mit mehr als 1.800 Mitwirkenden, ist zu fast einem Drittel fertig. Um die Genauigkeit der Daten zu verbessern wird jeder Kartenausschnitt — jeweils etwa 16 Hektar — von fünf bis zehn Nutzern überprüft. Wenn das Ergebnis zu oft ‘Vielleicht' heißt, so Herfort, wird die Anzahl der Überprüfungen erhöht.

Und was passiert sobald eine „Mission“ beendet ist?

„Dann müssen wir die Gebäude kartieren und spezifische Informationen hinzufügen“, sagte Herfort, der sich auf Volunteered Geographic Information (VGI) spezialisiert hat. „Es gilt zum Beispiel eine Schule von einer Tankstelle zu unterscheiden.“

An diesem Punkt kommen Einheimische mit guten Ortskenntnissen ins Spiel. Sind die Informationen komplett, werden die Daten in die #link:http://openstreetmap.org/:Open Street Map# eingespeist — eine riesige online-Weltkarte, die seit dem Erdbeben in Haiti im Jahr 2010 während jeder großen humanitären Krise zum Einsatz kam. Dank des Open-Source-Prinzips kann jeder zur Vollständigkeit der virtuellen Weltkarte beitragen.

Karte Nepal
Einheimische nehmen an einem Kartierungs-Workshop in Nepal teilBild: Priyanka Bista

Katastrophenhilfe in Echtzeit

Der Nutzen von MapSwipe ist nicht nur präventiv. Laut Herfort kann die App auch für „Disaster Mapping“, also während einer Krise, eingesetzt werden, um Menschen sowie beschädigte Infrastruktur und Gebäude ausfindig zu machen. Innerhalb der weltweiten Bewegung von Freiwilligen, die geografische Informationen zusammentragen, ist Disaster Mapping der neueste Trend.

Klaus Greve ist Professor für Fernerkundung und geographische Informationssysteme (GIS) an der Universität Bonn. Er sieht im Crowdsourcen von geographischen Daten in Echtzeit das größte Potential der MapSwipe App.

„In Notfällen können Nutzer ihre Mobiltelefone verwenden, und ihren Beitrag zur Linderung der Not beitragen“, glaubt Greve. „Handys sind zwar kleine Geräte, aber es gibt sehr viele von ihnen.“

Laut Greve führte in Haiti und Nepal der Mangel an aktuellen Straßenkarten in dicht besiedelten Gebieten dazu, dass Notfallteams sehr lange brauchten, um Erdbebenopfern zu lokalisieren und zu helfen.

„Es ist bereits hilfreich, wenn nach Katastrophen nur die Infrastruktur kartiert wird“, sagte Greve. „Dann wissen die Helfer: Hier befinden sich Brücken und Straßen, die von Fahrzeugen genutzt werden können.“

Kann Disaster Mapping seinem Potential gerecht werden?

Klaus Greve
Professor Klaus Greve: „Großes Potential“Bild: DW/B. Bathke

Trotz des vielversprechenden Starts wird sich erst während einer Katastrophe zeigen, wie nützlich die MapSwipe App in der Praxis ist: genau dann, wenn es unvollständige oder falsche Informationen es schwer machen, Risiken zu minimieren.

Hinzu kommt, dass die Daten nur dann tatsächlich genutzt werden können, wenn sie effektiv in das gesamte Paket der Nothilfe und die Arbeit von Nothelfern eingebunden werden können, warnt Klaus Greve.

„Die Koordination von Informationen tausender Freiwilliger während einer Krise ist eine große Herausforderung.“

Doch wenn Projekte wie die Open Street Map ein Maßstab für den Nutzen von geographischen Informationen von Freiwilligen in Katastrophenfällen sind, könnte MapSwipe humanitären Organisationen wirklich helfen, Leben zu retten.