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15. Dezember 2011

Ungewohnte Einigkeit im Bundestag: In einer aktuellen Stunde solidarisierten sich alle Fraktionen mit der Demokratiebewegung in Russland. Die Wahlfälschungen müssten aufgeklärt werden.

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Demonstrationszug in Moskau (Foto: EPA/Maxim Shipenkov)
Zehntausende in Moskau gegen WahlfälschungBild: picture alliance / dpa

Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin hat die umstrittene Parlamentswahl in Russland erneut gegen Fälschungsvorwürfe verteidigt. In einer vom Staatsfernsehen übertragenen Fragestunde erklärte er am Donnerstag (15.12.2011), das Ergebnis spiegele die politische Meinung des Landes wider. Die Stimmenverluste seiner Regierungspartei Geeintes Russland seien das Resultat einer "schwierigen Periode". Die anschließenden Kundgebungen seien grundsätzlich eine "ganz normale Sache". Sie müssten im Rahmen der Gesetze ablaufen. Die Proteste der Opposition seien aber ein Versuch, das Vertrauen der Bevölkerung in die anstehende Präsidentenwahl zu untergraben.

Die mehr als vierstündige Fernsehshow des russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin in Moskau hatten einige Bundestags-Abgeordnete über die Agenturen verfolgt. Wenn Putin sage, dass ein Teil der Demonstranten das Land destabilisieren wolle, dann habe er noch nicht verstanden, "dass diese Aufbruchstimmung dem Land nutzt" erklärte der Unionsabgeordnete Andreas Schockenhoff am Donnerstag (15.12.2011) im Bundestag. Das Modell der "gelenkten Demokratie" mit dem inszenierten Ämtertausch zwischen Putin und Medwedjew bedeute dagegen Stagnation und ein Zurückfallen Russlands, das hätten viele Menschen dort erkannt.

"Für mich sind das die neuen Russen, demokratisch gesinnt, aktiv, engagiert und gut vernetzt, also alles, was Russland für seine Modernisierung braucht", sagte Schockenhoff, der Beauftragter der Bundesregierung für den zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland ist. Er forderte, wie die Vertreter aller anderen Fraktionen, die Aufklärung der Wahlfälschungsvorwürfe. Deshalb sei auch Putins Vorschlag zu begrüßen, bei den bevorstehenden Präsidentenwahlen Internetkameras in allen 90.000 Wahllokalen zu installieren. Damit könne "Wahlfälschungstourismus" unterbunden werden.

Russen sollen angstfrei demonstrieren können

Andreas Schockenhoff (Foto: DW)
Schockenhoff setzt auf die "neuen Russen"Bild: DW/E.Winogradow

Übereinstimmung bei allen Fraktionen, bis hin zur oppositionellen Linkspartei, gab es in der Forderung nach wirklicher Medien- und Demonstrationsfreiheit. Die Menschen müssten zur nächsten angekündigten Demonstration am 24. Dezember gehen können, ohne Angst vor Repressalien am Arbeitsplatz, im Studium oder im privaten Umfeld haben zu müssen.

Der Linken-Abgeordnete Stefan Liebich sagte in Reaktion auf Putins Fernsehauftritt, es sei absurd, wenn der russische Ministerpräsident das Ausland für die Proteste verantwortlich machen wolle: "Nationalismus und Feindbilder aus vergangenen Zeiten sind die falschen Reaktionen auf die Proteste". Die Russen wollten nicht mehr autoritär regiert werden.

Die Linkspartei forderte, die deutsche Politik dürfe die russischen Kommunisten als stärkste Oppositionspartei nicht vom Dialog ausschließen, auch wenn diese Partei "etwas sperrig" sei.

Der SPD-Russlandexperte Franz Tönnes erklärte, man dürfe nicht nachlassen in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kooperation mit Russland, weil das Motto der Ostpolitik des einstigen SPD-Bundeskanzlers Willy Brandt aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts nach wie vor gelte: "Wandel durch Annäherung".

Visaerleichterungen könnten Annäherung fördern

Alle Fraktionen sprachen sich dafür aus, möglichst schnell Visaerleichterungen zwischen beiden Ländern zu erreichen. Russland solle ein stabiler, freundschaftlicher Nachbar bleiben, meinte der Unionsabgeordnete Philipp Missfelder: "Das Beste ist es, menschliche Begegnung zu ermöglichen." Die kurzfristige Visafreiheit sei allerdings unrealistisch.

Marieluise Beck (Foto:dpa)
Grünen-Abgeordnete Beck hat die Wirtschaft im VisierBild: picture-alliance /dpa/dpaweb

Die Grünen-Abgeordnete Marieluise Beck kritisierte das Verhalten der deutschen Wirtschaft. Deren Ostausschuss habe schon vor den kommenden Präsidentenwahlen seine Genugtuung darüber ausgedrückt, dass mit Putin wieder der richtige Mann am richtigen Ort stehen würde. Die Russland-Expertin der Grünen, auf deren Initiative die Aktuelle Stunde des Parlaments einberufen wurde, erinnerte daran, dass sich deutsche Politik und Wirtschaft schon einmal zu spät an die Seite einer Demokratiebewegung gestellt hätten, nämlich im Falle der polnischen Solidarnosc vor drei Jahrzehnten.

Beck hielt ein Foto in den Plenarsaal, das versuchte Wahlfälschungen in Russland belegt: Eine junge Frau will 17 Wahlscheine für Putins "Einiges Russland" in die Wahlurne stecken. Beck warnte außerdem davor, dass der russische Geheimdienst dem Internet, über das sich viele Demonstranten verständigen, "an die Gurgel" wolle: "Es darf in Russland keinen chinesischen Internetweg geben."

Autor: Bernd Gräßler
Redaktion: Andrea Grunau