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Sommer: "Erdogan ist uneuropäisch"

Bernd Riegert21. Juni 2013

Die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei sollten wegen der Gewalt gegen Demonstranten eingefroren werden, fordert die Europaabgeordnete und Türkei-Expertin Renate Sommer (CDU) im DW-Interview.

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ARCHIV - Die türkische Staatsflagge (l) weht neben der EU-Fahne in Istanbul (Archivfoto vom 07.10.2005). Unter dem Eindruck neuerlicher Spannungen im deutsch-türkischen Verhältnis kommt Kanzlerin Merkel am Montag (29.03.2010) in Ankara mit Ministerpräsident Erdogan zusammen. Auf dem Programm steht eine Reihe brisanter Themen. Dazu gehören die schleppenden Beitrittsverhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem NATO-Partner Türkei, die Lage in der Region mit Blick auf den Iran und Israel sowie der schwierige Versöhnungsprozess der Türkei mit Armenien. Foto: Matthias Schrader dpa (zu dpa 4011 vom 28.03.2010) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Symbolbild EU Türkei FlaggeBild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Das Europäische Parlament hat die Eskalation der Gewalt und das Vorgehen der türkischen Behörden gegen Demonstranten scharf verurteilt. Frau Sommer, die irische Ratspräsidentschaft der Europäischen Union wollte am kommenden Mittwoch die Beitrittsgespräche zwischen der EU und der Türkei wiederbeleben. Jetzt sieht es so aus, als wäre das unmöglich. Es wird kein neues Verhandlungskapitel geöffnet. Ist das der richtige Schritt vor dem Hintergrund der Proteste und der Polizeigewalt in der Türkei?

Renate Sommer: Ich denke, dass das der richtige Schritt ist, weil man jetzt konsequent sein muss. Wenn man jetzt neue Kapitel eröffnet, dann sieht das nach außen hin so aus, als würde man das akzeptieren, was Ministerpräsident Recey Tayip Erdogan zuhause vollbringt. Die Situation ist derartig schlimm, dass wir nicht mehr tatenlos zuschauen können. Man muss ein deutliches Zeichen setzen und sagen, im Moment können wir keine neuen Verhandlungskapitel eröffnen.

Die Gespräche mit der Türkei stocken bereits seit zwei Jahren. Nur unkritische Verhandlungsthemen wurden angepackt. Kein einziges Themenfeld konnte abgeschlossen werden, weil ja die Türkei nach wie vor das EU-Mitglied Zypern nicht anerkennt. Ist für Sie jetzt das Maß voll? Sollte man die Verhandlungen jetzt ganz abbrechen oder einfrieren?

Ich würde sie einfrieren, aber ich würde das Wort "abbrechen" nicht verwenden. Denn dann hätte Erdogan etwas in der Hand, um sich offiziell abzuwenden von der Europäischen Union. Wenn wir jetzt sagen, wir frieren sie offiziell ein, dann ist das ein deutliches Zeichen, dass wir nicht billigen, was Erdogan in seinem Land macht, weil es völlig uneuropäisch ist. Die Tür soll aber nicht ganz zugeschlagen werden.

Dr. Renate Sommer, Diplom-Agraringenieurin, Europaabgeordnete, CDU , Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) Mitglied der Delegation im Gemischten Parlamentarischen Ausschuss EU-Türkei. Copyright: Europäisches Parlament ***Achtung: grenzwertige Bildqualität!***
Renate SommerBild: Europäisches Parlament

Wenn die EU das Band zur Türkei jetzt durchschneidet, welche Möglichkeiten hat sie dann noch Einfluss zu nehmen?

Wir haben schon noch Möglichkeiten. Die sind zum Beispiel finanzieller Art. Ich bin durchaus nicht der Meinung, dass die Türkei Mitglied werden soll. Das war ich noch nie und das bestätigt sich jetzt. Dennoch sollte man sich nicht ganz abkehren von Verhandlungen im Grundsatz, weil diese Verhandlungen Grundlage sein können für das, was man "privilegierte Partnerschaft" nennt in meiner Partei, der CDU. Das ist eine besondere Nachbarschaft, die so weit gehen könnte, dass die Türkei beteiligt wird an europäischen Förderprogrammen in bestimmten Politikbereichen. Das ist aber noch weit unter der Beitrittsschwelle. Das ist die Option, die wir anbieten.

Spielt die EU mit ihrem Verhalten nicht jenen Kräften in der Türkei in die Hände, die eine Annäherung und Mitgliedschaft in der Europäischen Union sowieso nicht wollen?

Das denke ich nicht, denn die Europäische Union dürfte immer noch sehr reizvoll sein für die Türkei. Erdogan verneint das zwar im Moment, aber er wird sehen müssen, dass sich der wirtschaftliche Boom in seinem Land schon langsam legt. Da ist viel auf Pump gebaut. Er wird die EU selbst auch brauchen. Es ist nicht nur so, dass wir Arbeitskräfte aus Drittstaaten wie der Türkei in Zukunft brauchen, sondern auch die Türkei muss ein großes Interesse daran haben, mit uns zusammenzuarbeiten. Wir sind der größte Handelspartner der Türkei. Es wäre der falsche Schritt für Erdogan sich ganz abzuwenden, wobei im Moment aber niemand weiß, wie er sich spontan entscheidet.

Nun hat der türkische Europaminister Egemen Bagis Bundeskanzlerin Angela Merkel und damit auch ihrer Partei CDU vorgeworfen, das Thema Türkei würde jetzt in den deutschen Wahlkampf hineingezogen. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Das ist sachlich völlig falsch. Die CDU hat das Thema aus Wahlkämpfen immer herausgehalten. Das ist eine ungeheuerliche Anschuldigung, aber er hat ja noch ganz andere Sachen gesagt. Er hat gesagt, dass diejenigen, die die Türkei kritisieren, in der Regel ein schlechtes Ende nehmen. Damit hat er Frau Merkel regelrecht gedroht. Das ist eine Art und Weise, sich auszudrücken, die wir in keiner Weise akzeptieren können. Deswegen sollten wir jetzt alle tief Luft holen und erst einmal alles ruhen lassen, bis sich die Gemüter in der Türkei wieder beruhigt haben. Der türkische Europaminister hat mich vor drei Wochen öffentlich als "Abgeordnete im Delirium" beschimpft, weil ich mich kritisch über ein Rücknahme-Abkommen für Flüchtlinge geäußert habe, das wir mit der Türkei schließen wollen.

Die Lage scheint verfahren zu sein. Wie wollen Sie und das Europäische Parlament jetzt weiter vorgehen? Abwarten oder können Sie über Ihre parlamentarischen Kontakte noch etwas erreichen?

Wir haben in der nächsten Woche das Treffen des gemischten Parlamentarier-Ausschusses EU-Türkei. Das ist noch nicht abgesetzt. Eingeladen ist der türkische Europaminister. Er hat auch zugesagt. Ich gehe aber davon aus, dass er nicht kommen wird. Ich kann mir aber vorstellen, dass die türkischen Parlamentarier teilnehmen. Da werden wir versuchen, einfach mit unseren Kollegen auf der parlamentarischen Ebene einmal vernünftig zu reden. Ich glaube, nicht alle Parlamentarier sind der Ansicht, es sollte in der Türkei so weitergehen wie es im Moment läuft.

Dr. Renate Sommer (CDU) vertritt im Europäischen Parlament seit 1999 Teile des Ruhrgebiets und Westfalens. Die 54-jährige promovierte Agrarwissenschaftlerin kümmert sich im Parlament neben der Türkei um Bürgerrechte und Verbraucherfragen. Sie ist stellvertretende Vorsitzende eines gemischten Ausschusses, dem europäische und türkische Parlamentarier angehören.