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Sommerlicher Machtkampf

Shi Ming / (wga)19. Juli 2002

Alljährlich versammeln sich im Hochsommer die politischen Führer Chinas im Badeort Beidaihe - streng abgeschirmt von der Öffentlichkeit. Nicht einmal das genaue Datum der Klausur an der Küste ist bekannt.

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Präsident Jian Zemin vor der chinesischen Fahne (Foto: AP)
Amtsmüde? - Chinas Präsident Jiang ZeminBild: AP

Auf dem Programm steht diesmal die Vorbereitung des 16. Parteitags der Kommunistischen Partei im Herbst. Dem Vernehmen nach soll dort die oberste Spitze mitsamt Parteichef Jiang Zemin durch neue, jüngere KP-Funktionäre ersetzt werden. Der Kampf um die Macht wird sich also bei der vermutlich letzten großen Versammlung vor dem Parteitag zuspitzen.

Ursprünglich wollte Jiang Zemin, KP-Chef, Staatspräsident und Vorsitzender der mächtigen Militärkommission, den Wechsel in China auf personelle Veränderungen beschränken. Die Linie lautete: Alle Über-Siebzigjährigen sollen aus dem Politbüro ausscheiden. Es scheint aber anders zu kommen: Kaum jemand kümmert sich noch um die Frage der Altersgrenze, die natürlich auch mit darüber entscheidet, wer im Machtkampf bleiben darf und wer gehen muss. Zudem heißt es aus gut informierten Kreisen, Jiang selbst werde zwar wie angekündigt als Staatschef zurücktreten aber entgegen bisherigen Annahmen KP-Chef bleiben.

Zweifel an der Autorität

Jiangs ursprüngliches Kalkül war, programmatische Diskussionen würden nur stören. Doch die Rechnung scheint nicht aufzugehen. Denn die von Jiang angestrebte Integration von so genannten progressiven Privatunternehmern, sprich Kapitalisten, in die Kommunistische Partei scheint jetzt strittig. Ein Indikator dafür: Vor einigen Wochen meldeten sich die ranghöchsten Militärs zu Wort und bekundeten in einem Zeitungsartikel massive Unterstützung für Jiang Zemin. So etwas geschieht im autoritär regierten China nicht zufällig oder routinemäßig. Vielmehr lässt es annehmen, dass einflussreiche Politiker innerhalb der KP die Autorität des Präsidenten anzweifeln.

Touristen am Strand von Beidaihe (Foto: AP)
Auch Touristen wissen den Badeort Beidaihe, östlich von Peking, zu schätzenBild: AP

Klare Rückschlüsse auf den politischen Trend geben in China auch die Publikationen der "Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften". Auch hier hat sich ein Wandel vollzogen. Faktisch rührt keiner der namhaften Sozialwissenschaftler noch die Werbetrommel für Chinas Teilnahme am Globalisierungsprozess. Niemand traut sich mehr, die Privatisierung offensiv als Fortschritt zu loben.

Sozialer Sprengstoff

Ein gefundener Anlass dafür sind die zahlreichen opferreichen Unfälle in Chinas Kohlegruben und anderen Betrieben. Sie werden, nicht zu Unrecht, mit skrupelloser Profitgier in Verbindung gebracht - auch in der weitgehend gesteuerten chinesischen Presse. Sie berichtete in fast jedem der bekannt gewordenen Fälle über eine umfangreiche Bestechung lokaler Parteikader durch Privatunternehmer. Vor dem Hintergrund, dass in China in den letzten Jahren bis zu 40 Millionen städtische Angestellter und Arbeiter und über 100 Millionen Bauern ihre Jobs verloren haben, sind solche Meldungen sozialer Sprengstoff. Mit welchen politischen Mitteln die KP allerdings Chinas zahlreiche gesellschaftliche Konflikte lösen und wie sie die Interessen der verarmenden Bevölkerungsmehrheit repräsentieren will, bleibt bisher im dunkeln.

Genau diese Frage steht demnächst bei der Versammlung der politischen Elite in Beidaihe und im Herbst auf dem 16. Parteitag im Zentrum. Die Aussicht auf eine programmatische Einigung zwischen "Klassenkampf" und Modernisierungskurs ist eher schlecht. Nicht nur für den parteiinternen Machtkampf ist dieser neue Richtungsstreit entscheidend. Sein Ausgang hat auch großen Einfluss auf Chinas künftige gesellschaftspolitische Ausrichtung und bestimmt mit über die weitere Modernisierung und Außenöffnung des Landes.

Autor: Shi Ming
Redaktion: Wim Abbink