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Sommerzeit ist Einmachzeit

Stephan Hille, Moskau16. August 2005

Im Sommer werden die Russen von Problemen der besonderen Art geplagt: Gurken, Knoblauch, Erdbeeren: alles wird eingemacht. Einmachgläser russisch "Banka" bergen aber auch manchen Geldschein.

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"Hilfe, ich habe 50 Kilogramm Erdbeeren geerntet. Was soll ich damit machen?" fragte kürzlich eine verzweifelte Radio-Hörerin in der Fragestunde einer Garten-Sendung. "Warum haben Sie denn so viele Erdbeeren gepflanzt, wenn Sie nicht wissen, was Sie damit tun sollen?", fragte die Moderatorin zurück. "Letztes Jahr haben meine Stauden gar deine Beeren angesetzt", sagte die Frau kleinlaut. "Da hab ich noch mehr gepflanzt und dieses Jahr sind alle voller Früchte".

Hegen und Pflegen der Beete

Stephan Hille

Seit Wochen haben Sendungen rund um Garten, Gemüse und Früchte Hochsaison. Denn Sommerzeit ist in Moskau Datscha-Zeit. Statt im stickigen Moskau zu sitzen, verabschieden sich die Moskauer während der Schulferienmonate Juli und August auf ihre Datschen. Dort braten sie natürlich abends Schaschlik und trinken den einen oder anderen Wodka dazu, aber sie hegen auch ihre Gemüse-Beete und pflegen die Fruchtbäume.

Vom Frühsommer an sind die Ausfallstraßen aus Moskau hinaus mit Straßenständen gesäumt, an denen es vor allem zwei Dinge zu kaufen gibt: Holzkohle (für den Schaschlik) und Einmachgläser (für die Ernte). Dazu laufen zu den besten Sendezeiten in Radio und Fernsehen Koch- und Einmachtipps. Kaum ein Heft, das nicht noch raffinierter Gewürzmischungen präsentiert, kaum eine Internet-Seite, die nicht die besten Tipps aus Großmutters Zeiten auflistet.

"Banka" als Bank

In russische Einmachgläser kommen gesalzene Gurken, sauer eingelegte Knoblauchzehen, Früchtekompott, Konfitüren und manchmal sogar Geld. Die "Banka", wie das Einmachglas auf Russisch heißt, gilt gerade unter Babuschkas, den Omas, als perfektes Aufbewahrungsmittel für Bargeld. Entweder wird das Geld luftdicht verpackt und dann in einem Gurkenglas verpackt oder das Geld wird einfach so in ein Glas gesteckt und hinter die Reihe der vollen Gläser versteckt.

Die "Banka" gewinnt trotz schnell wachsendem Bankensystem in Russland gegen die Bank als Aufbewahrungsmittel. Wie eine kürzlich durchgeführte Umfrage zeigte, bewahren noch immer 59 Prozent der Russen ihr Geld bar auf. Ob im Gurken- oder im Knoblauchglas wurde allerdings nicht gefragt, dafür aber, in welcher Währung: Nur jeder fünfte Befragte spart Rubel, die übrigen teilen sich in zwei gleich große Gruppen, die ihr Erspartes in US-Dollar und Euro getauscht aufbewahren.

Leckeres Likörchen

Doch zurück zur Frau mit den 50 Kilogramm Erdbeeren. Das im Radiostudio versammelte Expertenkollektiv brauchte einige Zeit, bis es sich einig war, was mit den Erdbeeren zu tun sei. Denn Konfitüre hatte die Frau noch vom vorletzten Jahr. Tiefkühlen ging nicht, weil sie keinen Kühler

hat. "Na, dann legen Sie sie doch einfach in Wodka ein. Ein bisschen Zucker dazu, drei Wochen in der Kühle stehen lassen und abfiltern. Fertig ist der hochprozentige Erdbeerlikör."