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Sooooo deutsch

Stephan Bachenheimer 17. August 2006

(Vor-) Urteile über die Deutschen gibt es genug - natürlich auch in den USA: ordentlich, strebsam, manchmal preußisch penibel. Aber sind wirklich nur die Deutschen so?

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Wir wissen es alle: Amerikaner lieben die Freiheit und sehen entspannt über lästige Regeln hinweg. Dagegen wir Deutschen: wir bleiben als Fußgänger vor der roten Ampel stehen, selbst wenn kein Auto kommt, wir sind regelversessen und als Aufpasser genetisch vorprogrammiert. Wir alle bemühen uns, die Klischees abzuschütteln - leider auch die Amerikaner.

Ich weiß noch das Datum. Es war der 31. Dezember 1999, gegen zehn Uhr abends. "Du bist sooo deutsch", schüttelte meine amerikanische Freundin den Kopf, weil ich den Mietwagen nicht in einer Anwohnerparkzone in Miami abstellen wollte. "Kein Mensch schleppt drei Stunden vor dem Jahrtausendwechsel das Auto ab." Sie hätte genauso gut sagen können "Du Spießer". Selbstverständlich ließ ich das Auto in der Verbotszone stehen. Und sie sollte Recht behalten. Das Auto wurde erst eine Stunde vor Mitternacht abgeschleppt. Soooo deutsch. Meine Freundin kicherte.

Bloß nicht diskutieren

Auch Amerika hat eben seine Regeln und Verbote. Geschriebene und Ungeschriebene. Die ungeschriebenen Regeln kennt jeder Amerikaner. Zum Beispiel, dass man mit der Polizei nicht diskutiert. Man sagt "Yes Sir" und "No Sir". Alles andere würde als Widerstand ausgelegt werden. Genauso zackig geht es bei der Durchsetzung der Geschriebenen Regeln zu. Und "No Tolerance" ist ein beliebtes Schlagwort, mit dem die Grenze zwischen Ordnungswidrigkeit und Straftat aufgehoben wird.

Ansche Hedgepeth, eine 12-jährige Schülerin aus Washington, wollte mit einer Tüte Pommes in die Washingtoner U-Bahn einsteigen. Ein Fall für die Cops. Weil das Essen und Trinken in der U-Bahn verboten ist, wurde die 12-jährige festgenommen, in Handschellen gelegt und in ein Gefängnis gebracht. Barry McDevitt, Chef der U-Bahn Polizei, lobte das beherzte Eingreifen der Beamten. Im benachbarten Virginia nahmen Polizisten bei einem "No-Tolerance"-Einsatz angetrunkene Kneipenbesucher direkt am Tresen fest. Der Vorwurf: Betrunkenheit an einem öffentlichen Ort. Ich weiß: Sie glauben, ich hätte das falsch übersetzt. Ok, googlen sie selbst, Stichwort Mike Heidig und Fairfax Police.

Regeln und verbieten

Es fiel mir gerade wieder auf, letztes Wochenende im kleinen Freibad im Washingtoner Stadtteil Georgetown. Die Dame an der Kasse ist von Verbotsschildern eingerahmt. Das Mitnehmen von Elektronik, Handys, Walkman ist nicht erlaubt." "I-Pods nicht erlaubt". "Getränke nicht erlaubt." "Spielbälle müssen vom Bademeister genehmigt werden." Verunsichert zog ich mich auf eine Liege zurück, um eine Zeitung durchzublättern. Aber es dauerte nicht lange. "Sir!" Die Bademeisterin blinzelte mich missbilligend an. "Sie dürfen hier keine Zeitung lesen." "Wie bitte?" "Sie dürfen hier keine Zeitung lesen, denn sie könnte bei Wind wegfliegen."

Ich ließ unauffällig mein Handtuch über die illegale Wasserflasche gleiten und war dankbar, dass mein im Rucksack geschmuggeltes Handy ruhig vor sich hin schlummerte. Sooo deutsch. Dann fiel mir wieder meine Freundin ein. Ex-Freundin, genau genommen. Wir haben uns schon vor langer Zeit getrennt.