1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Sorge vor Bio-Terroristen

Konstantin Klein5. Dezember 2001

Aus Angst vor weiteren Bioterror-Anschlägen stocken die USA ihre Impfvorräte gegen Pocken massiv auf. Allerdings findet die Bedrohung in den Medien bisher einen größeren Niederschlag als im Alltagsleben.

https://p.dw.com/p/1SIx
Bild: AP
Tom Ridge, der Sonderbeauftragte für Heimatverteidigung der US-Regierung, hat ein Problem: Er muss die Amerikaner vor Bedrohungen warnen, die er nicht näher bezeichnen kann; die Amerikaner andererseits beweisen, dass sie nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen sind. So öffnen die allermeisten Amerikaner ihre Post schon längst wieder ohne Mundschutz und Gummihandschuhe.

Nur wenig mehr als ein Prozent der US-Bürger hat sich zum Schutz gegen eine Milzbrand-Infektion prophylaktisch mit Antibiotika eingedeckt; und auch die Zahl der Impfungen gegen die Pocken ist nicht merkbar angestiegen, seit die Amerikaner feststellen mussten, dass sie auf ihrem Kontinent nicht sicher vor terroristischen Anschlägen sind.

Gefährlicher als Milzbrand

Dabei stellt ein Anschlag mit Pockenviren tatsächlich eine viel größere Gefahr dar als die bereits aufgetretenen Milzbrand-Verseuchungen. Ist die Krankheit einmal ausgebrochen, sind Pockenkranke hoch ansteckend. Experten vermuten, dass im Laufe der Geschichte mehr Menschen an Pocken gestorben sind als an der Schwarzen Pest und anderen Seuchen; allein im 20. Jahrhundert forderte die Seuche 500 Millionen Menschenleben.

Ältere US-Reisende werden sich erinnern: ein Visum stellten die US-Konsulate weltweit erst aus, wenn der Antragsteller eine Pockenschutzimpfung nachweisen konnte. Ein striktes Impfprogramm sorgte dafür, daß die USA seit 1949 pockenfrei blieben; seit 1980 gelten die Pocken weltweit als ausgerottet. Zu klinischen Zwecken und im Bereich der Biowaffenforschung werden jedoch noch Virenstämme gehalten - Viren aus einem derartigen Stamm, in einem Ballungsgebiet freigesetzt, könnten eine Infektionswelle auslösen, wie sie in der Geschichte der Menschheit nicht vorgekommen ist.

Prophylaxe läuft auf Hochtouren

Auf einen Terrorangriff mit Pockenviren bereiten sich die USA schon seit Wochen vor - geistig durch ausführliche und erstaunlich detaillierte Diskussionen in Fernsehen, Hörfunk und Presse, welche - aus Sicht möglicher Terroristen - Vorteile Pocken gegenüber Milzbrand haben, wenn man denn nach einem Mittel für einen Bioterror-Angriff sucht; und auch prophylaktisch tut die Regierung, was sie tun muss.

Geimpft werden soll aber niemand, solange nicht Pockenfälle auftreten. Der Grund: Der Impfstoff, den früher jeder Amerikaner und Amerikabesucher zwangsweise verabreicht bekam, hat Nebenwirkungen, die bis hin zur tödlichen Encephalitis reichen können. Deshalb sollen die Ampullen mit dem Impfstoff wirklich erst dann benutzt werden, wenn erste Ansteckungen bekannt geworden sind - bis zu fünf Tage nach der Ansteckung soll der Stoff noch wirksam sein.

Fortschritte in der Pharma-Forschung

Unterdessen sind Wissenschaftler des US-Militärs auf der Suche nach weiteren Behandlungsmethoden; ihr Argument: vor 20 Jahren, als die Pocken noch "natürlich" auftraten, gab es kaum Medikamente, die Viruserkrankungen wirksam bekämpfen konnten. Die Pharmaforschung hat seitdem gewaltige Fortschritte gemacht; und die Funktionsweise gewisser Viren ist sich grundsätzlich so ähnlich, dass ein bereits entwickeltes Medikament auch eine Pockeninfektion in Grenzen halten könnte.

Im Zentrum für Seuchenkontrolle und -vorsorge, einer Einrichtung der amerikanischen Bundesregierung, wird inzwischen ein Plan aus den siebziger Jahren aktualisiert, mit dem damals Pockeninfizierte identifiziert, isoliert und behandelt werden sollten. Der ursprüngliche Plan ging von eingeschleppten Pockenviren aus; der neue Plan muss davon ausgehen, daß eine große Menge von Viren gezielt freigesetzt wird. Massenimpfungen soll es aber auch nach dem neuen Plan erst dann geben, wenn feststeht, daß eventuelle Pockeninfektionen nicht nur Einzelfälle sind.