1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Sorgen bei den Erben Dunants

Oliver Samson2. Dezember 2003

Das internationale Rote Kreuz trifft sich in Genf mit allen Unterzeichnerstaaten der Genfer Konvention zur Vier-Jahres-Konferenz. Zum Feiern ist niemandem zu Mute.

https://p.dw.com/p/4OIa
Helfen helfen: Rotes Kreuz und Roter HalbmondBild: AP

Ein Maß an Menschlichkeit inmitten der Schrecken des Krieges zu bewahren – das war die Idee von Henry Dunant, nachdem er 1859 Augenzeuge der Schlacht von Solferino wurde. Dunants Idee ging in zwei Richtungen: Zum einen sollte ein internationaler Vertrag Regeln setzen, um die Opfer des Krieges zu schützen, zum anderen sollte eine neutrale Organisation tätige Hilfe leisten.

1864 wurde der Vertrag als Genfer Konvention "zur Verbesserung des Loses der Verwundeten" unterzeichnet. Die von Dunant erdachte Organisation bekam dort ein rotes Kreuz auf weißem Grund als Kennzeichen zugedacht – die umgedrehte Schweizer Flagge.

Moralisch, politisch und rechtlich schwierige Zeiten

Seitdem darf die Schweiz und besonders Genf - zumindest institutionell - als Heimat der humanitären Hilfe gelten. Auf der 28. Internationalen Konferenz des Roten Kreuzes vom 2. bis 6. Dezember 2003 sollen folgerichtig auch genau dort die etwa 1900 Delegierten Henry Dunants Erbe in politisch, rechtlich und moralisch schwierigen Zeiten bewahren helfen.

Humanitäre Hilfe ist zu einem höchst komplexen Politikfeld geworden: Die Aufwendungen haben sich von 376 Millionen im Jahr 1970 auf 5,76 Milliarden Dollar im Jahr 2002 gesteigert. In ähnlichem Ausmaß vermehrte sich die Zahl der Hilfsorganisationen. Den Überblick zu bewahren fällt ebenso schwer wie die Hilfe zu koordinieren – so strömten etwa nach dem Ende der Kampfhandlungen mehr als 300 Hilfsorganisationen in den Kosovo. Kritiker erheben Vorwürfe über den vorgeblichen "humanitären Imperialismus des Westens" und über politische Instrumentalisierung der Hilfe - in der Politikwissenschaft wird deshalb ernsthaft die Frage diskutiert, ob humanitäre Organisationen selbst zu einem Konfliktproblem geworden seien.

"Das Rote Kreuz gibt es gar nicht"

Auch die Mutter aller Hilfsorganisationen ist nicht gerade übersichtlich strukturiert. "Das Rote Kreuz gibt es als solches gar nicht", sagt Florian Westphal, Sprecher des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Man spricht beim Roten Kreuz lieber von einer "Bewegung", die sich in drei Teilen gliedert. Das IKRK ist für die humanitäre Hilfe in Kriegsgebieten zuständig. Die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften (IFCR) kommt etwa bei Naturkatastrophen zum Einsatz. Und dann gibt es noch 181 nationale Rot-Kreuz-Organisationen - respektive Roter-Halbmond-Organisationen, wie sich die Hilfsorganisation in der islamischen Welt nennt.

Es geht um Normen

Vertreter aller Unterorganisationen der "Bewegung" kommen in Genf nun mit den Delegierten der 191 Staaten zusammen, die die Genfer Konvention unterzeichnet haben – und die das Rote Kreuz zum großen Teil finanzieren. Beim IKRK machten 2002 Spenden von Regierungen 84,3 Prozent des Budgets von 938,7 Millionen Schweizer Franken (605 Millionen Euro) aus. Größter Geber ist die USA mit etwa 130 Millionen Euro.

Hinzu kommen supranationale Geber wie etwa die europäische Kommission, sowie öffentliche und private Quellen. Finanziell steht das IKRK nicht schlecht da – trotz des Irak-Krieges. Im März 2003 hatte das IKRK noch einen dringenden Appell an die Geberländer gerichtet, die zusätzlichen erwarteten Kosten von etwa 100 Millionen Euro zu tragen. "Dem Appell folgten dann auch Taten", sagt Westphal. Zum Abschluss des Jahres 2003 erwartet er eine ausgeglichene Bilanz – und so soll es in Genf auch mehr um Normen gehen, als um Summen.

Düstere Bilanz

Unter dem Motto "Die Menschenwürde schützen" sollen die Teilnehmer die Entwicklungen seit der letzten Konferenz 1999 diskutieren, Ziele festlegen und Wege finden, wie diese umzusetzen sind. Zu Feiern wird es dabei wenig geben: Auf der gerade zu Ende gegangenen Generalversammlung der IFCR hatte Präsident Juan Manuel Suárez del Toro eine düstere Bilanz gezogen: Anschläge auf Mitarbeiter wie das verheerende Attentat auf das Büro des IKRK in Bagdad im August 2003, die wachsende Politisierung von Hilfsleistungen und der generell schwindende Respekt vor dem Roten Kreuz würden eine neue Arbeitsweise nötig machen. Zumal mit der AIDS-Katastrophe und dem zunehmendem Terror gegenüber Zivilisten die humanitären Herausforderungen eher wachsen. "Wir hoffen, dass wir von den Staaten den nötigen Spielraum für die humanitäre Arbeit bekommen und klar machen können, dass diese nicht instrumentalisiert werden darf", so Westphal.