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Soziale Herkunft ist wichtig für Bildungserfolg

23. Juni 2010

Nach dem ernüchternden PISA-Test aus dem Jahr 2000 gibt es in Deutschland einen neuen Schulbildungsvergleich. Aber die Ergebnisse sind anders als erhofft: Die soziale Herkunft bestimmt immer noch den schulischen Erfolg.

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Lehrerin am Pult vor Schülerinnen und Schüler des Abiturjahrgangs 2009 (Foto: dpa)
Neuer Bildungstest belegt starkes Süd-Nord-Gefälle in DeutschlandBild: picture-alliance/ dpa

Was können Deutschlands Schüler? Als vor zehn Jahren die sogenannte PISA-Studie (Abkürzung für Programme for International Student Assessment - die internationale Schulleistungsstudie der OECD) durchgeführt wurde, da wurde erstmals überprüft, welche Kenntnisse und Fähigkeiten deutsche Schülerinnen und Schüler gegen Ende ihrer Pflichtschulzeit erworben haben.

Scrabbelbrett mit den Wörtern Pisa und Schule (Archivfoto: dpa)
In Deutschland wird der nationale PISA-Test mit einem neuen Ländervergleich abgelöstBild: dpa

Deutsch- und Englischkenntnisse im Test

Alle erinnern sich: Das Abschneiden der deutschen Pennäler war schlecht, der internationale Vergleich deprimierend und daher musste sich etwas ändern.

In Berlin sind am Mittwoch (23.06.2010) die Ergebnisse eines neuen Schulleistungsvergleiches der Bundesländer vorgestellt worden. Im Auftrag der Kultusministerkonferenz wurden in den Jahren 2008 und 2009 rund 36.000 Schülerinnen und Schüler an fast 1500 Schulen deutschlandweit auf ihre Kenntnisse in Deutsch und Englisch überprüft. Orthographie und Textverständnis beim Lesen und Hören – diese Fähigkeiten wurden abgefragt.

Großes Süd-Nord-Gefälle

Die Schüler aus dem Süden Deutschlands schnitten – wie bei ähnlichen Studien zuvor – am besten ab. Sie lagen bei der Prüfung weit vor ihren Altersgenossen aus den anderen Bundesländern. Wie schon bei früheren PISA-Bundesländervergleichen stellten die Forscher vom Berliner Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) ein großes Leistungsgefälle zwischen dem Norden und dem Süden der Bundesrepublik fest.

Beim Leseverständnis im Fach Deutsch - der wichtigsten Schlüsselkompetenz für das Lernen - hatten bayerische Schüler gegenüber Gleichaltrigen aus Bremen im Schnitt einen Wissensfortschritt von mehr als einem Schuljahr. Beim mündlichen Textverständnis betrug der Abstand sogar fast eineinhalb Jahre.

Schüler schreibt an der Tafel (Archivfoto: dpa)
Schüler aus Arbeiterfamilien haben schlechtere ChancenBild: picture-alliance/ dpa/dpaweb

Nachteile für Arbeiterkinder

Erneut belegt der Test die extrem hohe Abhängigkeit des Bildungserfolgs der Schülerinnen und Schüler von ihrer jeweiligen sozialen Herkunft. Bundesweit hat ein Kind aus der Oberschicht gegenüber einem Schüler aus einer Facharbeiterfamilie auch bei gleicher Intelligenz und gleichem Lernvermögen eine viereinhalb mal so große Chance, ein Gymnasium zu besuchen.

Besonders ausgeprägt ist das Bildungsgefälle in Baden-Württemberg und Bayern, wo die Chancen von Akademikerkindern gegenüber gleichintelligenten Facharbeiterkindern 6,6 beziehungsweise 6,5 mal so hoch sind. Negativ-Werte in Sachen sozialer Förderung werden auch in Niedersachsen (5,8 mal), Schleswig-Holstein (5,6) und Nordrhein- Westfalen (5,5) erreicht - während in Berlin mit 1,7 der beste Wert erzielt wird.

Vier Schülerinnen an Schulpulten (Archivfoto: Bilderbox)
Migrantenkinder müssten besser gefördert werdenBild: BilderBox

Migranten schneiden schlechter ab

Fast 18 Prozent aller Neuntklässler in Deutschland haben laut der Untersuchung einen Migrationshintergrund - in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen werden Spitzenwerte um 30 Prozent erreicht. Dabei fanden die Forscher erhebliche Lernunterschiede zwischen den jeweiligen nationalen Gruppen.

Jugendliche türkischer Herkunft erzielten in der Schlüsselkompetenz Lesen/Textverständnis die schlechtesten Werte, während zugewanderte Jugendliche aus Polen und aus der ehemaligen Sowjetunion deutlich besser abschnitten. Innerhalb der einzelnen Herkunftsgruppen wurde zudem eine erhebliche Spreizung der Leistungen festgestellt.

Deutschfähigkeiten liegen im Soll

Als Reaktion auf die Studie hat Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) angekündigt, dass die Defizite bei der Chancengerechtigkeit im bayerischen Bildungssystem beseitigt werden. Denn trotz des Spitzenplatzes im Bildungsvergleich der Länder haben Akademikerkinder in Bayern im Vergleich mit Facharbeiterkindern eine sechsmal bessere Chance auf den Besuch einer höheren Schule. Spaenle erklärte, man wolle die Teilhabegerechtigkeit verbessern. Dabei setze die Staatsregierung auf individuelle Förderung, um soziale Nachteile von Kindern aus sozial schlechter gestellten Haushalten und Zuwandererfamilien zu vermindern.

Grafik zu den Schülerleistungen im Fach Deutsch in den 16 Bundesländern (Grafik: DW)
In drei Kategorien wurden die Schüler im Fach Deutsch getestet

Der Leiter der Studie, der Berliner Bildungsforscher Olaf Köller, betonte, dass trotz der unterschiedlichen Studienergebnisse alle Bundesländer bei der Vermittlung der Deutsch-Kompetenzen im Soll lägen. Die Lesefähigkeit entspreche beispielsweise den Ergebnissen der letzten Pisa-Untersuchung. Problematisch bleibe die Entwicklung bei Schülern mit Migrationshintergrund. Auch die Schere zwischen den durchschnittlich leistungsstärkeren Mädchen und den schwächeren Jungen bleibe bestehen. Keine Rolle für die Leistungsfähigkeit der Schüler spielt den Wissenschaftlern zufolge die in einigen Bundesländern schon eingeführte Reduzierung der Gymnasialzeit um ein Jahr.

Aufmerksamkeit für Bildung gestiegen

Der deutsche PISA-Forscher Jürgen Baumert hat nach Bekanntwerden der Ergebnisse eine "konsequente Frühförderung" und noch mehr individuelle Hilfen für sogenannte Risiko-Schüler in Deutschland verlangt. Kinder aus Migrantenfamilien und aus bildungsfernen Schichten benötigten noch mehr Unterstützung, sagte Baumert dem Berliner "Tagesspiegel" (Mittwochsausgabe).

Dabei hätten die nunmehr seit fast zehn Jahren in Deutschland regelmäßig vorgelegten Schultests einen Mentalitätswandel in Politik und Öffentlichkeit bewirkt, sagte der Schulforscher weiter. "Die Aufmerksamkeit für Bildung ist größer und differenzierter geworden und die deutsche Überheblichkeit hat einen Dämpfer erhalten."

Schüler schreibt nach alter und neuer Rechtschreibung verschiedene Wörter auf ein Blatt (Archivfoto: dpa)
Auch in die Lehrerfortbildung müsste investiert werdenBild: dpa

GEW: Lehrerförderung fehlt

Die Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marianne Demmer, warf den Kultusministern vor, sich nur unzureichend um die Förderung der Lesekompetenz gekümmert zu haben. "Seit 10 Jahren geschieht kaum etwas mit System", sagte Demmer. Zwar gebe es mittlerweile eine Sammlung von 90 Seiten Literaturhinweisen und über 100 Projekten in den Bundesländern. Eine jüngste Online-Befragung unter den Lehrern habe jedoch gezeigt, dass drei Viertel der Pädagogen die Förderkonzepte gar nicht oder nur vom Hörensagen kennen. Demmer: "Es blühen 1000 bunte Blumen, aber bei Investitionen in die Lehrerfortbildung ist Fehlanzeige."

Die Entwicklung bundeseinheitlicher Bildungsstandards durch die Kultusministerkonferenz war eine Folge des ersten deutschen PISA- Schocks nach dem Test aus dem Jahr 2000. Deutschland hatte bei dem internationalem Leistungsvergleich in der wichtigen Schlüsselkompetenz Lesen/Textverständnis nur mäßig abgeschnitten.

Ergebnisse des internationalen PISA-Test im Winter 2010

Das Thema PISA ist aber in Deutschland damit nicht beendet. Gut neun Jahre nach der Bekanntgabe des ersten Tests, sollen im Dezember 2010 die Ergebnisse des vierten, internationalen PISA-Test veröffentlicht werden. Dieser wurde im Mai 2009 in Deutschland durchgeführt.

Autorin: Marion Linnenbrink (dpa)
Redaktion: Martin Schrader

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