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Sozialer Prozess statt Eventmaschine

Johannes Beck / Porto Alegre 23. Januar 2003

Das Weltsozialforum ist entstanden als Anti-Bewegung - gegen das elitäre Weltwirtschaftsforum, gegen den "Neoliberalismus", gegen die Welthandelsorganisation WTO. Doch es ist mehr als das.

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Meinungsaustausch auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre

Inzwischen hat das Weltsozialforum eine eigene Dynamik entwickelt, die weit über ein reines Gegentreffen zu Davos hinausgeht: 126 Länder, 5.500 Organisationen und 30.000 Delegierte auf dem dritten Weltsozialforum in Porto Alegre im südbrasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul. Rekordzahlen, die für Francisco Whitaker, Mitglied des Organisationskomitees, die Attraktivität dieses Treffens der Globalisierungsgegner beweisen.

Jede Meinung ist gefragt

Das Forum könne die Menschen besonders gut mobilisieren, da es keine übergeordnete Leitung habe, die alles vorgebe, sagt Whitaker: "Es handelt sich vielmehr um eine horizontale Bewegung, in die jeder seine Ideen und Erfahrungen einbringen kann."

Für sechs Tage kommen Aktivisten von Nicht-Regierungsorganisationen aus der ganzen Welt zusammen, um auf über 1.700 Workshops, Podiumsdiskussionen und Theateraufführungen Alternativen zum bestehenden Wirtschaftssystem zu diskutieren. Das Weltsozialforum selbst bezieht dabei ausdrücklich keine eigene Position, sondern versteht sich als Plattform für die Präsentation von Ideen.

Bunt gewürfelte Teilnehmer

Neben Nichtregierungsorganisationen wie ATTAC, eine internationale Bewegung zur Besteuerung von Finanztransaktionen, finden sich kirchliche Hilfsorganisationen wie die deutsche Misereor und Gewerkschaften wie der amerikanische Dachverband AFL-CIO (American Federation of Labor-Congress of Industrial Organizations). Sie alle vereint die Ablehnung des derzeitigen Wirtschaftssystems: "Während in Davos ein elitärer Zirkel unter Ausschluss der Öffentlichkeit daran arbeitet, die neoliberale Globalisierung von oben voranzutreiben, suchen die Menschen in Porto Alegre nach Wegen in eine humanere, gerechtere Welt", gibt Attac-Pressesprecher Malte Kreutzfeldt die Richtung vor.

So viele wie möglich einbinden

Die größte Abordnung stellen die Gast gebenden Brasilianer mit 19.500 Delegierten, danach folgen die USA mit 1.100 sowie Argentinier und Franzosen mit jeweils etwa 700 Teilnehmern, sagt Candido Grzybowski vom Organisationskomitee: "Der Gigantismus hier muss aber nicht heißen, dass wir dadurch auch automatisch mehr Teilnehmer aus Indien, Asien oder Afrika bekommen." Für das Organisationskomitee sei es aber wichtig, dass möglichst viele Kontinente und Regionen in den Prozess des Weltsozialforums eingebunden werden, betont Grzybowski: "Daher haben wir begonnen, regionale Foren außerhalb Brasiliens aufzubauen." In den vergangenen Monaten fanden bereits über 50 Veranstaltungen statt, darunter das Europäische Sozialforum im italienischen Florenz, das Asiatische Forum im indischen Hyderabad oder das afrikanische im äthiopischen Addis Abeba.

Im Chaos liegt die Kraft?

Wenn dort oder in Porto Alegre nicht immer alles optimal klappt, Veranstalter von Workshops auch eine Woche vor Beginn noch nicht wissen, wo diese stattfinden, Termine kurzfristig verschoben werden, dann liegt dies laut Francisco Whitaker an der Struktur des Weltsozialforums. Man sei eben nicht Davos: "Davos ist eine Eventmaschine: Die produzieren einfach mal ein Treffen in Buenos Aires oder in Rio, kommen mit all ihrem Geld, bauen das Ding auf, laden die Teilnehmer ein und fertig. Wir dagegen sind keine Eventmaschine, wir sind ein sozialer Prozess."

Aber auch ein sozialer Prozess kostet etwas: So schlägt das Weltsozialforum von Porto Alegre mit 3,5 Millionen Dollar zu Buche, finanziert größtenteils durch Teilnehmerbeiträge und Spenden. Und hier sind auch die Globalisierungskritiker gar nicht mehr so Kapitalismus feindlich: Insgesamt 400.000 Dollar Spenden für die Organisation des Forums kamen von der Großbank Banco do Brasil und dem brasilianischen Ölkonzern Petrobrás.