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Soziokultureller Autolack

Stephanie Mersmann, dpa19. Oktober 2002

Wer sich ein rotes Auto kauft, kauft sich nicht nur einfach ein rotes Auto. Er verrät auch etwas über seine Persönlichkeit. Das meinen jedenfalls die Farbpsychololgen der Autolack-Hersteller.

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Hier stehen fünf Jahre Entwicklungsarbeit - nur für den LackBild: AP

Den größten Teil des Jahres treibt sich Renate Weber in der Weltgeschichte herum. Auf Flohmärkten, Messen und Ausstellungen, in Museen, Kinos und Archiven geht die 60-Jährige auf die Jagd. Auf der Suche nach Farben. Denn die bunten Töne sind ihr Metier und ihre Profession: Renate Weber ist Farbdesignerin beim Chemiekonzern BASF Coatings in Münster. Ihre Aufgabe ist es, jedes Jahr Dutzende neuer Farbtöne für Autolacke zu entwickeln. Die Münsteraner Lack-Tochter des Ludwigshafener BASF-Konzerns ist weltweit einer der größten Autolack-Hersteller.

Schwarz nicht gleich schwarz

Und Weber muss sich etwas einfallen lassen - schließlich will der Markt Jahr für Jahr mit Innovationen versorgt werden und ein Mercedes soll nicht das gleiche Schwarz tragen wie ein BMW. "Manchmal entdecke ich auf einem Markt ein Möbelstück mit einer interessanten Farbe oder in einem Magazin das Foto von einem Couture-Kleid", erzählt Weber. "Das Fundstück wird dann gekauft, abgemalt oder ausgeschnitten und dann geht's ins Farbtonlabor."

Im Labor wird gemischt und gerührt, bis die Farbe den Vorstellungen der Kreativen entspricht. Erst nach einer zweijährigen Testphase, Gesprächen und Abstimmungen mit den Automobil-Herstellern und nach der Produktionsphase werden die neuen Farben letztlich auf den Autos spazieren gefahren - fünf Jahre, nachdem Renate Weber die erste Idee mit nach Hause brachte.

Kantig, kühl und maskulin

Um heute schon zu wissen, was übermorgen Trend wird, betreibt die Designerin Marktforschung: "Farben und Formen hängen eng zusammen. Werden bei den Automobil-Messen also kantige Fahrzeuge präsentiert, ist es klar, dass auch die Farben eher kühl und maskulin sein müssen", erläutert Weber in der Fachsprache. "Es gibt gewisse weltweite Grundkonstanten in der Farbwahrnehmung", erläutert Max Kobbert, Wahrnehmungspsychologe an der Kunstakademie Münster. Demnach werde etwa Blau fast immer als passive, Rot hingegen als aktive Farbe bewertet - egal ob der Betrachter von der europäischen oder von der afrikanischen Kultur beeinflusst ist.

Braun up to date

"Diese Konstanten werden allerdings von den Trends überlagert. Dies sind kurzlebige Modeerscheinungen, die kaum tiefenpsychologisch zu begründen sind," erklärt Kobbert. Aber etwas von dem in der Psyche fixierten Farbempfinden bleibe trotzdem immer erhalten: "Trotz Trends und Anpassung an den Mainstream wird ein aktiver Typ immer eher ein rotes Auto fahren, auch wenn zur Zeit braun up to date ist."

Das Wichtigste sind für Weber allerdings die gesellschaftlichen Entwicklungen. Dafür analysiert sie sowohl Gegenwart als auch Vergangenheit. "Wir wollen herausfinden, welchen gesellschaftlichen Entwicklungen welche Farben entsprechen. Zur Aufbruchsstimmung der 60er Jahre passten zum Beispiel poppige Farben," meint Weber.

Spaßgeneration nicht mehr zeitgemäß

Für das Jahr 2002 hatte die Farbdesignerin ein sehr technisches Ambiente mit eher kühlen, metallischen Farben prognostiziert. Die derzeitigen Trends geben ihr Recht: 2001 waren 38,5 Prozent der Autos auf deutschen Straßen silberfarben. Knallbunte Farben für die Spaßgeneration hingegen sind nicht mehr zeitgemäß.

Übersetzung gesellschaftlicher Trend

Die Kollektionen für das Jahr 2005, die in diesem Jahr den Kunden vorgestellt werden, bestehen vor allem aus gedeckten Tönen in Silber und Gold, Porzellanweiß und hellem Blau und Grün. "Mit dieser Palette übersetzen wir die gesellschaftlichen Trends in Farben," erläutert die Designerin. "Die Menschen sehnen sich nach mehr Ruhe - das spiegeln die neuen, zurückgenommenen Autofarben wider."

Weber sieht sich weder als Trendsetterin noch als eine Art kreative Wahrsagerin: "Als Designerin spüre ich die zukünftigen Trends auf und bereite ihnen den Weg. Wer aber letztendlich entscheidet, was modern wird, ist der Kunde."