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"Spaltung des Landes überwinden"

8. April 2002

– Parteichef der ungarischen Sozialisten bei Spitzendiskussion mit konservativen FIDESZ-Kontrahenten

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Budapest, 8.4.2002, BUDAPESTER ZEITUNG, deutsch

In der vergangenen Woche fanden kurz vor Wahlkampfschluss die zwei mit Spannung erwarteten Spitzenpolitiker-Debatten statt. Am Donnerstag (4.4.) Abend trafen sich in der Budapester Wirtschaftsuniversität die Parteivorsitzenden von Fidesz und MSZP, Zoltan Pokorni und Laszlo Kovacs. Einen Tag später lieferten sich an gleicher Stelle Ministerpräsident Viktor Orban und der Premierkandidat der Sozialisten, Peter Medgyessy, ein verbales Duell.

Die Debatte am Donnerstag Abend wurde nach vorheriger Auslosung von Laszlo Kovacs eröffnet. Er begann mit einer Bewertung der vergangenen vier Jahre, die er gleich eingangs als "vier Jahre der verlorenen Möglichkeiten" bezeichnete. Obwohl die Regierung eine gut funktionierende Wirtschaft übernommen habe, habe sie den Menschen weniger gegeben, als möglich gewesen wäre. Während die Wirtschaft im Jahre 2000 beispielsweise um 5,4 Prozent gestiegen sei, wuchsen die Reallöhne im gleichen Zeitraum nur um 1,4 Prozent. Unter der Fidesz-Regierung hätten die Unterschiede zwischen arm und reich weiter zugenommen.

Es folgte eine lange Aufzählung von Gebieten, auf denen die Regierung nach Meinung von Kovacs versagt habe. Unter anderem nannte er die Landwirtschaft, das Gesundheitswesen und den Autobahnbau. Das Wachstumstempo der Wirtschaft sei weit unter den anfangs verkündeten sieben Prozent geblieben und weise inzwischen eine sinkende Rate auf. Gleiches gelte für die Investitionen.

Im Gegensatz zu dieser Einschätzung bezeichnete Zoltan Pokorni die Zeit der Orban-Regierung als "schöne und aufregende Jahre." Von den Plänen am Anfang konnte sehr viel umgesetzt werden. "Deswegen können wir mit reinem Gewissen stolz auf diesen Zeitraum zurückschauen", so der Fidesz-Parteivorsitzende. Besonders hervor hob er die Streichung der Studiengebühren. Zum Autobahnbau merkte er an, dass sich gegenwärtig 170 Kilometer im Bau befinden und im Herbst übergeben werden. Außerdem habe die bürgerliche Regierung bedeutende Summen in den Bau von Dämmen investiert, während unter Ex-Premier Gyula Horn nur fünf Kilometer fertiggestellt worden waren.

Zum Autobahnbau merkte Kovacs an, dass nach dem Regierungswechsel 1998 deshalb auf diesem Gebiet zwei Jahre lang nichts geschah, weil die neue Regierung nach Möglichkeiten gesucht hatte, beim Weiterbau öffentliche Ausschreibungen zu umgehen. Die Autobahnen, die zur Zeit gebaut werden, würden nach Informationen von Kovacs anderthalb Mal so viel Steuergelder pro Kilometer verschlingen wie die unter Horn gebauten. "Während der Fidesz damit argumentiert, dass der Nutzen früher in die Taschen von ausländischen Generalunternehmen wanderte, wissen wir heutzutage überhaupt nicht mehr, wo er bleibt", so Kovacs in Anspielung auf die undurchsichtigen Firmengeflechte, in deren Händen der Autobahnbau heute liegt.

Vom Moderator nach den größten Unterschieden zwischen den beiden großen Parteien befragt, führte Kovacs zu aller erst die unterschiedliche Demokratieauffassung an. Konkret nannte er die Beschneidung der Kontrollfunktion des Parlaments, die sich unter anderem in der starken Reduzierung der Zahl der Plenarsitzungen und in der Ablehnung aller von der Opposition angeregten Untersuchungskommissionen zeige. Außerdem kritisierte Kovacs, dass die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien nicht mehr neutral sei. Für den Fall eines Wahlsiegs kündigte Kovacs an, die Einflussnahme der Parteien auf diese Medien zu beenden. Zur Frage der Medien merkte Pokorni an, dass eine internationale Organisation mit dem Namen Freedom House die Presse unter der Regierung Orban als "frei" bezeichnete, während diese unter Horn nur die Bezeichnung "teilweise frei" bekommen hatte.

Eine längere Polemik entfaltete sich zwischen beiden Seiten zur Frage der Verwendung von Steuergeldern. Dabei unterstellte Kovacs unter anderem, dass Steuergelder für Wahlkampfzwecke des Fidesz entfremdet würden. So seien die Marketingausgaben im Rahmen des Szechenyi-Plans in den ersten beiden Monaten dieses Jahres acht Mal höher als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Und das, obwohl der Plan damals noch frisch war, durchaus also mehr Marketing gebraucht hätte. Die von Kovacs in diesem Zusammenhang genannte Zahl von 1,5 Mrd. Forint wurde von Pokorni entschieden bestritten. Seinen Informationen zufolge würde es sich nur um 258 Mio. Forint handeln. Davon entfallen 153 Mio. Forint auf das Marketing für die Studentenkredite.

Als einen konkreten Fall von Veruntreuung sprach Kovacs den an diesem Tag von der Tageszeitung "Nepszabadsag" aufgedeckten Skandal um die Gelder für das Millenniumsfeuerwerk an. Diese Umwandlung von Steuergeldern in private Gelder für gewisse Familien sei nach Meinung des MSZP-Chefs nur die "Spitze des Eisbergs." Auf den Einwand von Pokorni, dass es doch eigenartig sei, dass die Angelegenheit gerade jetzt, unmittelbar vor den Wahlen an die Öffentlichkeit komme, entgegnete Kovacs nur wortkarg: "Pech!" Abschließend erklärte Pokorni zu diesem Thema, dass er sich als Fidesz-Vorsitzender mit ruhigem Gewissen der Untersuchung durch den Staatlichen Rechnungshof stelle.

Zu Beginn des Schlussworts steckte sich Kovacs unter Applaus eine grün-weiß-rote Kokarde ans Revers. Diese war in den Tagen nach dem Nationalfeiertag am 15. März von den Nationalkonservativen als Symbol verwendet worden. Sollte die MSZP von den Wählern die Regierungsverantwortung übertragen bekommen, werde man sich vom ersten Tag an dafür einsetzen, die Spaltung des Landes zu überwinden, unterstrich Kovacs diese Geste. "Die Sozialisten sehen die Schaffung der nationalen Einheit als ihre wichtigste Aufgabe an", so der Parteivorsitzende.

Auch Pokorni sprach sich in seinem Schlusswort dafür aus, die Lagerhaltung zu beenden. Die Wahlen würden nicht zwischen den Parteien verlaufen, sie würden in den Seelen eines jeden Menschen entschieden. Abschließend bat er die Wähler, egal welcher Partei sie ihre Stimme auch geben mögen, auf jeden Fall wählen zu gehen. "Vergessen Sie nicht, Sie haben das letzte Wort", so Pokorni. (ykk)