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Spaniens Krise und die Kinder

Reiner Wandler 16. Oktober 2013

Die Krise in Spanien ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Konservativen sparen mittlerweile auch da, wo es ihnen einst als Tabu galt. Familien und Kinder leiden besonders unter den Kürzungen.

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Verteilung von Schulranzen an die Kinder Wohnungsloser in Sevilla (Foto: afp)
Bild: Cristina Quicler/AFP/Getty Images

Wenn Lourdes De Abajo auf die Krise zu sprechen kommt, hört sie nicht mehr auf: "Als die Schule losging und die Tochter neu eingekleidet werden, das Unterrichtsmaterial gekauft werden musste, wurde es am Monatsende eng. Die Zuschüsse für die Schulspeisung gibt es nicht mehr - das sind 90 Euro im Monat. Die Zuschüsse für den Kauf von Schulbüchern wurde ebenfalls gestrichen." De Abajo ist Musiklehrerin an einem Gymnasium in einem Dorf bei Madrid. Die 39-Jährige verbringt ihren Feierabend mit ihrem Mann Luis Luna und der dreijährigen Tochter Alma im Retiro-Park im Herzen der spanischen Hauptstadt. "Die Lebensqualität ging in den letzten Jahren stark zurück, weil die Preise für Grundnahrungsmittel, Strom, Wasser und Gas steigen", klagt Lourdes De Abajo.

Unterbezahlte Lehrer

Dann mischt sich ihr Mann Luis Luna ein, der nach knapp zwei Jahren Arbeitslosigkeit seit zwei Wochen eine Zweidrittelstelle hat - ebenfalls als Lehrer: "Unsere Gehälter werden nicht mehr an die Inflation angepasst und wurden zudem gekürzt." Den Beamten in Spanien wurden seit Beginn der Krise die Löhne und Gehälter um insgesamt zehn Prozent gekürzt. Ausserdem wurde das Weihnachtsgeld gestrichen. "Insgesamt sind das mehr als zwei komplette Monatslöhne, die wir verloren haben", rechnen die beiden vor.

Während De Abajo verbeamtet ist, hat Luna keine feste Stelle. "Wir Lehrer ohne Beamtenstelle leben ständig zwischen Arbeitslosigkeit und prekären Arbeitsverträgen", sagt Luna, der auch noch Unterhalt für eine Tochter aus erster Ehe zahlen muss: "In dieser Situation eine Zukunft für mich und meine Töchter zu planen ist schwierig."

Seit es immer enger wird in der Haushaltskasse geht das Paar kaum noch aus. Kino, Theater, Konzerte sind Fremdwörter und Auslandsreisen haben sie seit Jahren keine mehr unternommen. "Ich verzichte wo ich nur kann, damit es zumindest der Kleinen an nichts fehlt", sagt De Abajo.

Luis Luna und seine Frau Lourdes De Abajo am Rande einer Protestveranstaltung in Madrid (Foto: DW/Reiner Wandler)
Luis Luna (Mitte) und seine Frau Lourdes De Abajo (vorne rechts) am Rande einer Protestveranstaltung in MadridBild: DW/R. Wandler

Erosion der Mittelschicht

Dabei klagen die beiden eigentlich auf einem hohen Niveau. Sie gehören nach wie vor zur Mittelschicht. Doch auch "die Situation der Mittelschicht in Spanien zeichnet sich durch die zunehmende Verarmung und wachsende soziale Ungleichheit aus" erklärt Juan José López von der spanischen Caritas. Zusammen mit vier Kollegen erstellt der Soziologe einen alljährlichen Sozialbericht. Die Mittelschicht werde immer verletzlicher, seit 2007 die Krise in Spanien begann, haben Studien ergeben. "Noch kann man sie nicht als arm bezeichnen, aber wir haben eine allgemeine Verarmung erlebt, die vor allem auf dem Rücken der Mittelschicht ausgetragen wurde. Die Kinder und Jugendlichen in der Mittelschicht sind natürlich auch von dieser Entwicklung der Verarmung und Ungleichheit betroffen. Spanien ist mittlerweile das Land mit den größten sozialen Unterschieden ihn Europa."

Die Zahlen sind erschreckend. Während im vergangenen Jahr die Zahl der spanischen Millionäre um 13,2 Prozent stieg, leben 21,1 Prozent der Spanier unterhalb der Armutsgrenze, davon drei Millionen sogar in extremer Armut, mit weniger als 30 Prozent des Durchschnittseinkommens. Bei den Kindern sind es sogar 26,7, die in Armut leben. 26 Prozent der Spanier haben keine Arbeit, über 400.000 haben ihre Wohnung durch Zwangsräumungen verloren oder stehen kurz davor. Der Lebensstandard sinkt unaufhaltsam durch weitere Kürzungen und steigende Steuern und Abgaben. "Das Gesundheitswesen, die Bildung werden zunehmend privatisiert. Der Schulbesuch wird teurer, für Medikamente muss mehr bezahlt werden. Das öffentliche System, das für eine gewissen Gleichheit sorgt, verschwindet nach und nach", beschwert sich Caritas-Mann López.

Juan José López von der spanischen Caritas (Foto: DW/Reiner Wandler)
Caritas-Studienautor López: "Verarmung auf dem Rücken der Mittelschicht"Bild: DW/R. Wandler

Sparkurs bei Bildung und Gesundheit

Dabei versprach die konservative Regierung von Mariano Rajoy, als sie Ende November 2011 gewählt wurde, ausdrücklich weder beim Schulsystem noch dem Gesundheitswesen zu kürzen. Das ist längst Geschichte. Das Gesundheitsministerium hat in den letzten beiden Haushalten weit mehr eingespart, als andere Ressorts. "Die Regeluntersuchungen bei den Kindern wurden bis auf die Impfungen zusammengestrichen", weiß De Abajo. Einst gab es mit drei Jahren eine letzte allgemeine Pflichtuntersuchung im Programm der Betreuung von Kleinkindern. Für Alma gilt das nicht mehr. Eine Streichung einzelner Impfungen ist im Gespräch.

"Und für Alma fanden wir keinen öffentlichen Kindergarten", berichtet De Abajo. Die Einrichtungen für Kinder, die jünger als drei Jahre sind, wurden fast alle privatisiert. Rund 500 Euro kosten sie im Monat. "Ganze 45 öffentliche Plätze gab es in unserem Stadtteil", beschwert sich De Abajo.

Dann mischt sich ihr Mann ein. 83.000 Stellen seien in den letzten Jahren an den öffentlichen Schulen gestrichen worden. Die Klassenstärke wurde um zehn Prozent erhöht, kranke Lehrer werden erst nach zwei Wochen ersetzt, bis dahin fällt der Unterricht aus. "Ich wurde an eine Schule geschickt, nachdem das Schuljahr bereits begonnen hatte. In eine Klasse mit Kindern, die Probleme haben, und die eigentlich Betreuung von Anfang an brauchen, damit sie nicht den Faden verlieren. Insgesamt fehlten sieben Lehrer. Die Situation ist nur noch wenig vom absoluten Desaster entfernt", schimpft Luna.

Luis Luna mit Tochter Alma und seiner Frau Lourdes De Abajo (Foto: DW/Reiner Wandler)
Luis Luna mit Tochter Alma und seiner Frau Lourdes De AbajoBild: DW/R. Wandler