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Spaniens Protest wandelt sich

Hans-Günter Kellner4. April 2014

Ein Ende der Sparmaßnahmen fordern die Gewerkschaften. Ihrem Protestaufruf folgten dennoch vergleichsweise wenige Spanier. Das Misstrauen gegenüber Institutionen ist groß, linke Bewegungen erstarken vor der Europawahl.

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Ein Demonstrant schlägt auf eine Trommel (Foto: Hans-Günter Kellner/DW)
Bild: Hans-Günter Kellner

"Propaganda", "Lüge", "Taschenspielertricks" – wer in Spanien nach den jüngsten Erfolgsmeldungen über die wirtschaftliche Entwicklung des Landes fragt, erntet im besten Fall ein Kopfschütteln, meist aber Hohn und Unverständnis. Das war nicht anders bei der Demonstration der spanischen Gewerkschaften gegen die aus ihrer Sicht von der EU verordneten Austeritätspolitik und Haushaltskürzungen.

Dabei hatten die Arbeitsämter erst Anfang dieser Woche wieder einen erneuten Rückgang in der Arbeitslosenstatistik gemeldet. Die Politiker sprachen vom besten März seit 2006. Faktisch bedeutete das gerade einmal 16.620 weniger Menschen ohne Arbeit- bei insgesamt 4,8 Millionen Erwerbslosen nicht mehr als Tropfen auf dem heißen Stein.

"Hier gibt es keine Arbeit"

Auch die drei Freundinnen Nerea, Itziar und Sonia spüren den Aufschwung am Arbeitsmarkt nicht, empfinden ihre Zukunftsaussichten als deprimierend. So bekomme ihr Vater seit einigen Wochen kein Arbeitslosengeld mehr, sondern nur noch eine staatliche Hilfe in Höhe von 400 Euro, erzählt Nerea. Ihre Mutter verdiene als Museumswärterin noch 600 Euro im Monat. "Große Sprünge können derzeit nicht machen", sagt die 20-Jährige.

Spanische Demonstranten mit Flaggen und Banner (Foto: Hans-Günter Kellner/DW)
Tausende Spanier haben in mehr als 50 Städten des Landes demonstriertBild: Hans-Günter Kellner

Immerhin: Noch sind die drei Freundinnen in der Ausbildung und machen dafür gerade ein unbezahltes Praktikum in einer Gemeindeverwaltung. Aber ein Anschlussvertrag ist für keine von ihnen in Sicht. Freiwerdende Stellen werden derzeit nicht besetzt.

Auch mit Hochschulabschluss sei es nicht leichter, berichtet Itziar. "Da kannst du noch so viel studieren und einen Master nach dem anderen machen. Du musst das Land verlassen. Hier gibt es keine Arbeit, auch nicht für die höher Qualifizierten."

Renten sind oft das letzte Einkommen

Die Beschäftigten einer großen Hotelkette ziehen mit dem Demonstrationszug vorbei. Das Unternehmen drohe dem kompletten Zimmerservice mit Entlassungen, wenn die Mitarbeiter nicht auf die Hälfte ihres Einkommens verzichten, sagt eine Angestellte. Doch es sind nicht viele, die protestieren. Auch in Spanien haben die Gewerkschaften in den Hotels einen schweren Stand.

Obwohl sie von der Arbeitslosigkeit nicht unmittelbar betroffen sind, finden sich unter den Demonstranten auch zahlreiche Rentner. Sechs ihrer sieben Enkelkinder seien ohne Arbeit, berichtet die rüstige Toñi, die sich bei ihrer Freundin Lola untergehakt hat. Aber anderen gehe es noch schlimmer. Sie kenne viele Familien, die von der Rente der Großeltern lebten. "Manche holen ihre alten Leute sogar wieder aus den Altersheimen zu sich nach Hause, weil die Rente das einzige Einkommen der Familie ist", erzählt sie.

Gewerkschaften warnen vor Deflation

Spanische Demonstranten mit Flaggen und Banner (Foto: Hans-Günter Kellner/DW)
Auch die Beschäftigten der Getränkeindustrie demonstrierten...Bild: Hans-Günter Kellner

Die Gewerkschaften, für die die Kundgebung in Madrid nur der Auftakt zu einem europaweiten Aktionstag war, rufen nach einem Marshallplan für Südeuropa, fordern ein europäisches Investitionsprogramm zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Die Angst vor solchen kostspieligen Vorhaben und steigender Inflation habe in Spanien direkt ins Gegenteil geführt: In die Deflation, zu sinkenden Preisen, sagt Toni Ferrer von der Gewerkschaft UGT.

Die bisherige Politik der EU-Kommission und der Troika habe in Europa zu 27 Millionen Arbeitslosen geführt, zu einer Perspektivlosigkeit für acht Millionen Jugendliche, sagt er lautstark. Der Ruf solle bis zu den Europawahlen am 25. Mai nicht verhallen. Ferrer: "Entweder bekommt Europa eine Wirtschaftsregierung oder Europa hat keine Zukunft."

Wachsender Erfolg für alternative Bewegungen

Allerdings: Mehr als ein paar tausend Menschen nehmen an der Kundgebung in Madrid nicht teil. Das heißt nicht, dass die Kritik an der Sparpolitik keine Mehrheit fände. Vielmehr ist in Spanien das Misstrauen gegenüber allen politischen Institutionen stark gewachsen - und damit auch gegenüber den Gewerkschaften. Eine Kundgebung aus dem Umfeld der "Protestbewegung der Empörten" hatte dagegen erst Ende März noch die Madrider Innentadt völlig blockiert. Solche alternativen Bewegungen geben immer häufiger den Ton an - und hoffen auch auf Erfolg bei der Europawahl. Neben den Sozialisten werben am 25. Mai inzwischen vier linke Formationen um Stimmen. Die größten Erfolgschancen werden "Podemos" eingeräumt.

Spanische Demonstranten mit Flaggen und Banner (Foto: Hans-Günter Kellner/DW)
...in Madrid wurde eine Fabrik trotz guter Geschäftszahlen geschlossenBild: Hans-Günter Kellner

"Wir Südeuropäer wollen nicht zu einer Kolonie werden, wir wollen den Reichen nicht das Bier zapfen und Häppchen servieren", sagt Podemos-Sprecher Pablo Iglesias, Politikprofessor an der Madrider Complutense-Universität. Europa habe den Süden zur Periphärie erklärt, in der die jungen Leute nur noch unter prekären Bedingungen arbeiten könnten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. "Wir wollen ein Europa, das auch dem Süden seine Würde lässt", sagt Iglesias und kündigt an, als Europa-Abgeordneter den linken griechischen Politiker Alexis Tsipras zum Kommissionspräsidenten zu wählen. "Er verkörpert für mich den Schrei des Südens nach Würde und auch die Hoffnung, dass man anders regieren kann."

Von der wirtschaftlichen in die politische Krise

Trotz der markigen Töne ist "Podemos" aber keine linksradikale Partei, vielmehr ein Versuch, politische Theorie aus den Labors der Universitäten in die Parlamente zu tragen. Die Partei fordert eine Überprüfung der spanischen Schulden, Verhandlungen mit den Gläubigern, eine Begrenzung der Lobbies in Europa oder ein Mandat für die Europäische Zentralbank nach dem Vorbild der US-Notenbank.

Die Demoskopen tun sich noch schwer mit der sich rasch wandelnden politischen Landschaft in Spanien. Verlässliche Umfragewerte fehlen für die neuen Parteien. Aber die beiden großen Volksparteien, die regierenden Konservativen auch wie die Sozialisten, kommen in den Umfragen des staatlichen Meinungsforschungsinstitus CIS nicht mehr über jeweils 12 Prozent hinaus. Und das könnte am 25. Mai die Chance "Podemos" und Co sein.