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SPD: "Laufzeitverlängerung spaltet Republik"

29. Oktober 2010

Die Grünen tragen Trauerflor, Stadtwerke protestieren mit Anzeigen gegen die Regierung, Tausende demonstrieren vor dem Bundestag. Union und FDP bleiben aber hart und beschließen längere Laufzeiten für Atomkraftwerke.

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Proteste vor dem Bundestag (Foto: dapd)
Die Mehrheit ist gegen längere LaufzeitenBild: dapd

SPD-Chef Sigmar Gabriel befand sich auf dem Boden der Tatsachen, als er den Regierungsparteien CDU und FDP im Bundestag entgegenschmetterte: "Sie spalten die Gesellschaft, wo sie sich längst schon einig war." Denn in der Tat: Mehr als 60 Prozent der Bundesbürger haben in verschiedenen Umfragen immer wieder bestätigt, dass sie gegen längere Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke sind.

Entsprechend groß war der Protest an diesem Donnerstag (28.10.2010), an dem die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundestag die Verlängerung der Laufzeiten für die 17 deutschen Atomreaktoren durchgesetzt hat. Nicht nur bei der Opposition im Bundestag.

Sigmar Gabriel (Foto: dapd)
'Sie spalten die Gesellschaft', wettert GabrielBild: dapd

Schon am Morgen sind Aktivisten der Umweltschutzorganisation Greenpeace der CDU buchstäblich aufs Dach gestiegen. Mehrere Aktivisten besetzen symbolisch die CDU-Zentrale in Berlin und hissten ein Banner. Darauf zu sehen: Die Parteivorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel, die dem Chef des Atomenergie-Konzerns RWE, Jürgen Großmann, zuprostet. "CDU – Politik für Atomkonzerne" stand unter dem Bild.

Magere Zeiten für Stadtwerke

Vor dem Bundestag demonstrierten mehrere tausend Bürger gegen die Entscheidung – und auch die lokalen Energie-Versorger, die Stadtwerke, haben in ganzseitigen Anzeigen in mehreren Zeitungen deutlich gemacht, was sie von der Entscheidung halten: nämlich gar nichts.

Denn viele Stadtwerke haben in den vergangenen Jahren massiv in erneuerbare Energien und moderne Technologien investiert – unter der Prämisse, dass die Atomkraftwerke bald abgeschaltet werden. Laufen die AKWs nun tatsächlich zwölf Jahre länger als ursprünglich gesetzlich vorgesehen, fürchten viele Stadtwerke die Pleite.

Trittin: Sicherheit gefährdet

Und so attackierten Politiker von SPD, Grünen und Linkspartei die Rücknahme des Atomausstiegs denn auch als Angriff auf die Ökostrom-Branche – und als Gefährdung der Sicherheit und Gesundheit von Millionen Menschen. So beschuldigte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin Bundesumweltminister Norbert Röttgen, er komme seiner Verantwortung für die Reaktorsicherheit nicht nach. Die Bundesregierung wolle eine "laxe Form der Atomaufsicht" ins Bundesgesetz übernehmen.

Norbert Röttgen (Foto: dapd)
'Alles parteipolitisches Geschrei', so RöttgenBild: dapd

Der so gescholtene Umweltminister verteidigte dagegen die Laufzeitverlängerung und das dazugehörige "Energiekonzept" als "zukunftsweisend" - und warf SPD und Grünen parteipolitische Stimmungsmache vor. Eigentlich, so Röttgen, hätten SPD und Grüne überhaupt kein Konzept und keine Argumente außer des Missbrauchs der Debatte. "Gar nichts bieten Sie an - in Wahrheit sind Sie energiepolitische Blindgänger. Sie stellen die Parteiinteressen vor die Interessen des Landes", polemisierte Röttgen. Die Menschen wollten aber kein parteipolitisches "Geschrei".

Opposition will klagen

Dem "Geschrei" dürften allerdings bald Taten folgen. Denn die Opposition will die Laufzeitverlängerung mit allen – juristischen - Mitteln verhindern. Sie hält den Beschluss nämlich nicht für verfassungskonform, da der Bundesrat an der Entscheidung nicht beteiligt wurde. "Wir werden dieses Gesetz beim Bundesverfassungsgericht zu Fall bringen", sagte Gabriel.

Jürgen Trittin (Foto: dapd)
Trittin sorgt sich um die SicherheitBild: dapd

Die SPD-geführten Länder Berlin, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen kündigten umgehend Verfassungsklagen an. Wegen Missachtung der Länderinteressen sei ein Rechtsstreit vor dem Bundesverfassungsgericht unausweichlich geworden, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und die rheinland-pfälzische Umweltministerin Margit Conrad (SPD) äußerten sich ähnlich. Auch Brandenburgs Umweltministerin Anita Tack (Linke) nannte die Laufzeitverlängerung eine "energiepolitische Fehlentscheidung".

Wie aussichtsreich die Verfassungsklagen sind, ist unter Juristen höchst umstritten. Doch selbst wenn die Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert – dass der Atom-Beschluss von diesem Donnerstag von Dauer sein wird, ist eher unwahrscheinlich. Denn einen Regierungswechsel wird das Atomgesetz wohl kaum überstehen – und glaubt man den aktuellen Umfragen, ist ein Wechsel 2013 alles andere als utopisch.

Autor: Manfred Götzke

Redaktion: Stephan Stickelmann/Reinhard Kleber