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Spekulationen über das Supervirus

Rafael Heiling16. Februar 2005

In New York macht sich Angst breit. Angst vor einem neuen HI-Virus. Der Aids-Erreger soll aggressiv und gegen fast alle Medikamente resistent sein. Viren-Experten äußern sich aber zurückhaltend über die Gefahr.

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Experten sind uneins über die Gefahr des neuen Aids-ErregersBild: dpa

Das neuartige HI-Virus vom Stamm 3-DCR HIV wurde in New York bei einem Mann Mitte Vierzig entdeckt. Er hatte sich höchstwahrscheinlich bei einer so genannten Bare-Back-Party angesteckt, bei der Männer treffen, um ungeschützt Sex zu haben.

Das Erschreckende an der neuen Virus-Variante: Schon zwei Monate nach der Party - im Dezember 2004 - brach bei dem New Yorker die Krankheit aus. Gewöhnlich dauert dieser Prozess etwa acht Jahre. Und: Das Virus widersteht offenbar 19 von 20 Aids-Medikamenten.

Resistenzen sind nicht ungewöhnlich

HIV infizierte menschliche T-Zelle
Eine HIV-infizierte menschliche T-ZelleBild: AP

Der Direktor des New Yorker Gesundheitsamts, Thomas Frieden, sieht "ein potenziell gewaltiges Problem" und spricht von einem "Alarmruf für alle". New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg rief alle Bürger zu größter Vorsicht auf. Andere Viren-Experten wollen noch nicht von einem "Super-Virus" sprechen - dafür würden ihnen schon allein verlässliche und detailliertere Daten fehlen, erklärt Ulrich Marcus, stellvertretender Leiter des Fachgebiets HIV am Robert-Koch-Institut.

"Prinzipiell ist es so, dass HI-Viren Resistenzen gegen alle Medikamente entwickeln können", sagt Marcus. "Das ist nichts Ungewöhnliches und nichts Neues." Für Johannes Löwer, den Präsidenten des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), ist "die eigentliche Überraschung, dass Wissenschaftler bisher davon ausgingen: Je mehr Resistenzen vorliegen, desto weniger aggressiv ist das Virus." Das sei hier aber anders - möglicherweise: "Man muss schon noch Fragezeichen dahinter setzen."

Ausbruch in Monaten - oder Jahren

AIDS-Medikament
Dass ein Virus gegen Aids-Medikamente resistent ist, kommt oft vor, sagen Wissenschaftler. Ausschließen könne man die Entstehung eines Supervirus aber nichtBild: AP

Dass die Krankheit bei dem Mann außerdem so schnell ausbrach, ist für Klaus Korn auch nicht unbedingt neu. "Die Zeit zwischen Infektion und Ausbruch kann variieren, zwischen einigen Monaten und zehn Jahren", sagt der Leiter der Diagnostik am Institut für klinische und molekulare Virologie der Uni Erlangen.

Bei Menschen mit einem schwächeren Immunsystem könne Aids besonders schnell ausbrechen. Der betroffene Mann soll angeblich aufputschende Methamphetamine genommen haben, die die Abwehrkräfte des Körpers herabsetzen. "Man muss natürlich wissen, ob der Patient durch Begleitkrankheiten oder anderes zu einem Ausbruch beigetragen hat", erklärt Löwer.


Denkbar, aber ungewiss

"Das Virus stammt wohl ursprünglich von einem Aids-Patienten, der mit vielen Medikamenten behandelt wurde", schätzt Korn. Und deshalb habe das Virus so viele Resistenzen entwickeln können, bevor es den New Yorker befiel. Außerdem sei es theoretisch möglich, dass beim Verkehr zweier HIV-Infizierter sich das Erbgut der beiden Viren-Versionen mische. "Aber die Frage ist, wie oft das alles vorkommt. Wenn sich 1000 damit infizieren, erkranken dann zehn? Oder nur einer?" So lange man das nicht genau wisse, sei die Gefährlichkeit des neu entdeckten Virus schwer einzuschätzen.

Marcus hält es "prinzipiell für denkbar", dass ein gefährlicheres HI-Virus entstanden sei. Aber bisher sei zu vieles unklar. Der Ursprung des Virus beispielsweise wird wohl lange im Dunkeln bleiben: Angeblich hatte der infizierte Amerikaner Sex mit mehreren hundert Männern, schreibt die "New York Times". Und von vielen kenne er nicht einmal den Namen.

Löwer hat noch eine weitere Vermutung: "Man hat den Eindruck, dass die Nachricht dazu benutzt wird, um den Risikogruppen zu sagen: Nehmt Aids nicht auf die leichte Schulter." Selbst wenn sich das Virus dann als weniger gefährlich herausstellen sollte, sagt der PEI-Präsident: "Der Appell ist berechtigt."