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Spielen Konzerne ein "Hungerroulette"?

Stephanie Höppner 19. Mai 2013

Die Hilfsorganisation Oxfam protestiert gegen Lebensmittelspekulationen. Ihr Vorwurf: Banken und Versicherungskonzerne sind für die Preisschwankungen bei Lebensmitteln mitverantwortlich.

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Leinensäcke gefüllt mit Reis (Foto: Fotolia)
Bild: Fotolia/Rhombur

Die Spekulation mit Lebensmitteln ist ein Milliarden-Geschäft: Über Fonds können Banken, Hegdefonds und institutionelle Anleger auf Preisentwicklungen von Agrarrohstoffen wetten. Etwa elf Milliarden Euro sollen auf dem deutschen Markt in spekulative Finanzprodukte mit Bezug zu Lebensmitteln angelegt worden sein, davon etwa 6,2 Milliarden über den Versicherungskonzern Allianz.

Dessen Tochter Pimco  - eine Kapitalanlagegesellschaft - ist mit drei Fonds in dem Bereich aktiv. Zwei kleinere Fonds liegen bei der Allianz Global Investors, die Vermögensverwaltung ist ebenfalls eine Tochter der Allianz. Laut der Hilfsorganisation Oxfam soll die Allianz zusammen mit der Deutschen Bank die deutsche Marktführerschaft in dem Bereich eingenommen haben.

Proteste vor Hauptversammlung

Mit Kartoffelsäcken, rot-weißen Sperrbändern und einer Glücksrad-Scheibe aus Pappe - Aufschrift: "Allianz Casino" - protestierte Oxfam deshalb vergangene Woche vor der Hauptversammlung des Versicherungskonzerns Allianz in München. Der Vorwurf: Die Allianz betreibe ein "Hungerroulette". So lautet auch der Titel einer Studie, die die Organisation veröffentlichte und in der sie die Geschäfte des Konzerns und anderer Geldinstitute wie der Deutschen Bank scharf kritisiert. Diese - so die These der Studie - sollen mit ihren Spekulationen das Auf und Ab von Lebensmittelpreisen verschärfen.

"Aus unserer Sicht gibt es sehr viele Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass Spekulation eben ein weiterer Faktor ist, der auf den Wellen dieser langfristigen Preisentwicklung aufsetzt, und dort, wo Kurven nach oben oder nach unten gehen, diese einfach stärker ausschlagen", sagt David Hachfeld, Handelsexperte von Oxfam und Autor der Studie. Auch andere Hilfsorganisatoren wie zum Beispiel Foodwatch prangern die Rohstoffspekulation an.

Eine Gruppe Demonstranten demonstriert in München vor der Allianz-Hauptversammlung (Foto: dpa)
Oxfam-Mitarbeiter nutzen die Allianz-Hauptversammlung für ihren ProtestBild: picture-alliance/dpa

Preissteigerungen um 300 Prozent

Enorme Preissteigerungen zeigen sich bereits jetzt in der ganzen Welt. So erhöhten sich in den vergangenen Jahren in Äthiopien die Maispreise um fast 200 Prozent, der Weizen in Somalia verteuerte sich um 300 Prozent und im Sudan um 90 Prozent. Die Folgen steigender Preise sind fatal: Denn gerade in den ärmeren Teilen der Erde geben Menschen bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus - ein paar Cent mehr für einen Sack Getreide können so schon eine Existenzkrise auslösen. Schon jetzt hungern nach UN-Angaben weltweit rund 870 Millionen Menschen. Vor allem Frauen und Kinder sind betroffen. Stark fallende Preise könnten wiederum den Markt kaputt machen und die Bauern in den Ruin stürzen.

Die Allianz glaubt jedoch nicht, dass sie für das heftige Aussschlagen der Preise mit verantwortlich ist - im Gegenteil.  "Wir beraten unsere Kunden, antizyklisch zu investieren. Und wenn man sich das Investitionsverhalten der Kunden anschaut - also wann sie kaufen, wann sie verkaufen - dann zeigt sich, dass unsere Kunden bei fallenden Preisen kaufen und bei steigenden Preisen verkaufen", sagt Nicolai Tewes, Senior Vice President Corporate Affairs bei der Allianz SE .

Für den Markt habe dies eine "preisglättende Wirkung", sagt Tewes. Auch Konzernchef Michael Diekmann hatte die Kritik zurückgewiesen. Am Terminmarkt würden keine Rohstoffe, sondern ausschließlich Risiken zukünftiger Preisänderungen gehandelt. "Landwirte sichern sich so gegen zu niedrige Preise ab und Käufer gegen zu hohe", sagte er.

Umstrittene Forschung

Unterstützung erhalten die Allianz und andere Institute zum Beispiel von Wirtschaftsethiker Ingo Pies aus Halle, der insgesamt über 30 Studien aus dem Zeitraum 2010 bis 2012 zu dem Thema ausgewertet hat. Seine These: Es sind vor allem andere Faktoren - wie zum Beispiel steigende Nachfrage nach Fleisch oder Biosprit  - für die Preissteigerungen verantwortlich. Das Papier sorgte jedoch für heftige Kritik. So warf ihm Heiner Flassbeck, Chef-Ökonom der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) vor, schlichtweg falsch zu sein. Foodwatch-Chef Thilo Bode hielt dem Forscher entgegen, dass die Auswahl der Studien zu einseitig sei.

Zapfhahn an einer Tankstelle (Foto: dapd)
Umstrittener Kraftstoff: Auch Biosprit erhöht die Nahrungsmittelpreise, glauben ForscherBild: dapd

Auch Hilfsorganisationen wie Oxfam oder Misereor erklärten, entsprechende wissenschaftliche Studien seien einseitig und lieferten "Unschuldsmythen". So lange es um ein existenzielles Thema wie Hunger gehe, müsse die Beweislast der Unschädlichkeit von Anlageprodukten bei den Geldinstituten liegen, sagte Misereor-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon.

Politik soll eingreifen

Trotz der widersprüchlichen Argumente im Für und Wider der Agrarspekulation: Viele Banken haben für sich mittlerweile beschlossen, aus dem Bereich auszusteigen. Die Landesbanken von Baden-Württemberg und Berlin, die Commerzbank und die Deka-Bank haben sich bereits aus dem Geschäftsbereich zurückgezogen. Auch die DZ-Bank und der Fondsanbieter Union Investment wollen ihre Produkte auslaufen lassen. Für Oxfam-Handelsexperte David Hachfeld geht das noch nicht weit genug: "Wir wünschen uns von der Politik, dass sie wieder zu einer angemessen Regulierung der Märkte zurückkommt."