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China Intellektuelle

12. Januar 2012

Fachlich gebildet, kritisch und vor allen Dingen unabhängig – diese Eigenschaften machen einen Intellektuellen aus. Der Sinologe Thomas Zimmer hat die Spielräume chinesischer Intellektueller unter die Lupe genommen.

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Der chinesische Dissident und Bürgerrechtler Liu Xiaobo. (Foto: dpa)
Liu Xiabo - Symbolfigur des unbeugsamen chinesischen IntellektuellenBild: picture alliance / dpa

Intellektuelle in China leben gefährlich. Die Entwicklung des Landes als kritischer Geist zu begleiten ist zwar notwendig, aber die Spielräume sind begrenzt. Ein falsches Wort der Kritik – und schon drohen unangenehme Konsequenzen: Hausarrest, körperliche Gewalt oder Verhaftung. Im Rahmen der Ringvorlesung "China – Mensch, Welt Macht" an der Universität zu Köln hat der Sinologe Thomas Zimmer am Dienstag (10.01.2012) einen Vortrag über die Spielräume der heutigen chinesischen Intellektuellen gehalten. Zimmer beginnt mit einer Zuspitzung: Seit der Kulturrevolution habe sich die Situation für Intellektuelle in China nicht grundlegend verändert. Der Sinologe erkennt zwar an, dass der politische Spielraum heute größer ist als vor 30 Jahren. "Nur am politischen System hat sich grundsätzlich nichts geändert." Es gebe weiterhin nur eine Partei. Und die gehe immer wieder mit Formulierungen an die Öffentlichkeit, dass an ein Mehrparteiensystem nicht zu denken sei, so Zimmer.

Fehlende Distanz zur Macht

Vielen Intellektuellen in China fehle die Distanz zur Macht, kritisiert der Kölner Sinologe. Die Kommunistische Partei bindet Akademiker und Professoren an sich, setzt sie in politische Ausschüsse, Denkfabriken oder politische Ämter. Mit Kritik an der Regierung halten sich viele aus Sorge um lukrative Posten daher zurück. Auf Kritik aus dem Ausland reagieren etliche umgekehrt mit übersteigertem Patriotismus oder gar Nationalismus.

Der Sinologe Dr. Thomas Zimmer (Foto: Juan Ju)
Dr. Thomas Zimmer ist Sinologe an der Kölner UniversitätBild: Juan Ju

Doch es gibt auch in China unabhängige, kritische und öffentlichkeitswirksame Intellektuelle. Zimmer hebt hier den Künstler Ai Weiwei und den Friedensnobelpreisträger von 2010, Liu Xiaobo, besonders hervor. Liu Xiaobo habe immer wieder die fehlende Unabhängigkeit vieler Intellektueller in China kritisiert, betont Zimmer. "Liu ist zweifellos ein Intellektueller, und einer, der ernstgenommen werden sollte, eben weil er sich nicht versteckt." Liu Xiaobo bringe seine Kritik vehement zum Ausdruck, er wirke ehrlich und überzeugend. "Und er ist bereit, dafür einen hohen Preis zu zahlen."

Liu Xiaobo ist einer der Initiatoren und Autoren der "Charta 08", eines Manifests, in dem Meinungsfreiheit und demokratische Reformen in China gefordert werden. 2009 wurde Liu zu elf Jahren Haft verurteilt. Zimmer kann allerdings verstehen, dass nicht alle Intellektuellen bereit sind, einen solch hohen Preis zu zahlen wie Liu Xiaobo. Zu tief säßen die leidvollen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte.

Die neue Generation Internet

Internetcafé in Peking (Foto: dpa)
Internetcafé in PekingBild: picture alliance/dpa

Der neueste und inzwischen wichtigste Spielraum chinesischer Intellektueller ist das Internet. Über Microblogs erreichen sie Tausende von Menschen. In Foren finden lebhafte und offene Diskussionen statt. Zwischen Internetnutzern und Zensurbehörden ist ein regelrechter Wettkampf entstanden: Die Behörden löschen, die Nutzer erstellen neue Beiträge. Im Internet entstehen neue ironische Begriffe, mit denen die Ideologie der kommunistischen Partei verhöhnt wird, hat Zimmer beobachtet. Die Nutzer tauschen nur ein Schriftzeichen aus, schon ändert sich die Bedeutung eines Begriffes, die Aussprache aber bleibt gleich. Gleichzeitig erschwert das den Behörden die Zensur. Besonders junge Blogger nutzten das Mittel der Ironie in ihren Texten, erklärt Thomas Zimmer. "Es entsteht eine neue Generation von jungen Menschen, die aus eigener Erinnerung von den materiellen Schwierigkeiten, von den politischen Schwierigkeiten der Vergangenheit überhaupt nichts mehr mitbekommen haben."

Diese weltweit vernetzten jungen Menschen werden ein ganz eigenes Selbstbewusstsein entwickeln, ist sich Thomas Zimmer sicher. Und: Sie werden die Entwicklung der chinesischen Gesellschaft prägen.

Autor: Christoph Ricking
Redaktion: Matthias von Hein/HS