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Deutsche Fußballsprache: Kirschen, Buden, Auflaufkinder

Susanne Spröer
13. Juni 2018

Foul im Strafraum? Penalty! Nicht in Deutschland: Da heißt es Elfmeter. Auch, wenn jetzt im deutschen TV die Spiele der FIFA-Fußball-WM der Frauen kommentiert werden. Warum das so ist, weiß Historiker Christoph Marx.

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Frauenfußball Nationalmannschaft Deutschland Gruppenbild
Bild: Getty Images for DFB/S. Widmann

Christoph Marx ist Historiker und Autor des 2018 erschienenen Buches "Der springende Punkt ist der Ball. Die wundersame Sprache des Fußballs". Im Gespräch mit Susanne Spröer erzählte der Hobbykicker letztes Jahr der DW, wie sich in Deutschland eine ganz eigene Fußballsprache entwickelt hat.

DW: Herr Marx, Sie sind Experte für Fußballsprache. In Deutschland heißt es ja "Torhüter" und "Ecke", in der Schweiz oder Österreich spricht man von "Goalie" und "Corner". Wie kommt das?

Christoph Marx: In Deutschland hat der Deutschlehrer Konrad Koch aus Braunschweig das Spiel eingeführt, der es sich zu seiner Passion gemacht hatte, eine deutsche Fachsprache im Fußball zu etablieren. Denn am Ende des 19. Jahrhunderts galt Fußball im deutschen Kaiserreich als englisches Spiel. Und er hat es als seine Aufgabe gesehen, dieses Spiel mit deutschen Ausdrücken zu "verdeutschen".

So heißt der Torhüter hier "Torhüter" und nicht mehr "Goalkeeper", der "Linesman" wurde zum "Linienrichter", "Offside" wurde zu "Abseits". Das sind alles Begriffe, die heute im Deutschen völlig gängig sind. Aber in der Schweiz und in Österreich, wo es nicht zu diesem Purismus kam, sind sehr viel mehr Anglizismen übrig geblieben. 

Wie hat sich das denn praktisch durchgesetzt?

Konrad Koch hat dann - typisch deutsch - 1903 ein Pamphlet verfasst, einen großen Aufsatz, dem alle Vereine zustimmen mussten. Das hat dazu beigetragen, dass auf deutschen Fußballplätzen auch wirklich deutsche Begriffe verwendet wurden. Das ging bis in Kleinigkeiten hinein. Es hieß also nicht "passen", sondern "abgeben". Der Spieler durfte nicht sagen: "Pass zu mir", sondern "Gib zu mir ab", was man heute wahrscheinlich lächerlich findet. Das war eine sehr ernste Angelegenheit. Man muss wissen, dass es zunächst eine große Opposition gegen dieses Spiel gab. Und da war es notwendig zu sagen, das ist nicht nur ein englisches Spiel. Zu dieser Zeit sprach man von Fußball als der "englischen Krankheit", es galt irgendwie als nicht-deutsch, Turnen war damals richtig "deutsch". 

Eine Zeichung: Fußballspiel Dresden gegen Berlin 1892
Fußball in der Frühzeit: Spiel Dresden gegen Berlin 1892Bild: gemeinfrei

Turnen war ja durch den "Turnvater" Friedrich Ludwig Jahn Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland populär geworden. Warum ist denn Fußball bei Sportbegeisterten nicht mit offenen Armen aufgenommen worden?

Fußball war damals wirklich noch nicht bekannt. Es entstand als eine Art Rugby-Spiel Mitte des 19. Jahrhunderts in England an den Colleges und galt als eher elitärer Sport. Es ist erst langsam, im späten 19. Jahrhundert, in Deutschland populär geworden. Das erste Fußballspiel, das es nachweislich hier gab, war 1874 in Braunschweig. 1874 ist schon relativ spät. Und es galt als irgendwie obskur, hatte noch bis weit ins 20. Jahrhundert Legitimationsprobleme. Am Anfang hatte Fußball ja auch einen pädagogischen Anspruch: Er galt auch der Erziehung und der Wehrfähigkeit der Jugend, das hat dem Zeitgeist entsprochen. 

Stichwort Wehrfähigkeit: Es gibt im Fußball viele militärische Begriffe, wie Tore "schießen" oder "Zweikampf". Wieso? 

Die Sprache ist metaphorisch, weil es eine Ähnlichkeit im Ziel des Spieles gab. Auch im Fußball geht es ja darum, den Gegner zu schlagen, zu überwinden, auszutricksen. Fußball entstand zu einer Zeit, als Krieg noch relativ üblich war und man so sofort verstanden hat, um was es ging. Wenn man zum Beispiel von "Abnutzungskampf" spricht, auch ein kriegerischer Begriff: Dem entsprechen im Fußball Situationen, in denen es darum geht, den Gegner müde zu spielen. 

Fußballsprache speist sich auch aus anderen Bereichen: Die Schwalbe kommt aus der Tierwelt, mit der Bananenflanke sind wir in der Natur

Ja, die Schwalbe… die ist ja eher ein eleganter Vogel und steht für etwas so Grobes im Fußball. Die "Schwalbe" soll den Flug metaphorisieren, wenn man ein Foul vortäuscht. 

Im Englischen heißt das ja "to dive", tauchen – und der deutsche Fußballer und ehemalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann wurde von der britischen Presse gern "The diver" genannt…

Jürgen Klinsmann fällt auf den Rasen
Läuft Klinsmann noch - oder macht er gleich seinem Spitznamen "The Diver" alle Ehre? Bild: picture-alliance/H. Rudel

Genau, der Taucher. Das war auch sehr schön selbstironisch, was in England natürlich besonders gut ankam. Auch, wie er nach seinen Toren immer ironisch darauf angespielt hat, indem er über den Rasen gerutscht ist. Das ist aus dem jeweiligen kulturellen Umfeld entstanden und hat sich durchgesetzt, ohne dass man richtig sagen kann, der oder der hat das erfunden. Dann haben es alle gesagt. 

Welche Rolle spielen denn dabei Journalisten und die Öffentlichkeit?

Auf jeden Fall, wie jetzt auch verstärkt die Social Media, hat der Journalismus enorm zur Schaffung neuer Begriffe beigetragen. Wie zum Beispiel beim "Abstiegsgespenst". Solche Begriffe, die Journalisten geprägt haben, sind dann von allen übernommen wurden, weil sie halt auch sehr schön sind.  

Sie erzählten ja, wie sich am Anfang die deutsche Fußballsprache von den englischen Bezeichnungen abgegrenzt hat. Geht es jetzt wieder in die umgekehrte Richtung - mit Begriffen wie "One Touch-Fußball" oder "Derby"?

Ja, das ist so. "Derby" kommt aus dem Englischen, das ist auch eine Folge der Internationalisierung. Früher gab es vor allem deutsche Trainer in der Bundesliga, die dann auch Deutsch gesprochen haben. Inzwischen gibt es hier auch internationale Trainer, die der deutschen Sprache nicht so mächtig sind, aber versuchen, Deutsch zu sprechen, um sich zu integrieren. Wobei es immer wieder zu merkwürdigen Neubildungen kommt in diesem "Globalisierungssprech".

Ein Beispiel dafür ist die Redewendung "Ich habe fertig", mit der der ehemalige Bayern-Trainers Giovanni Trappatoni eine Pressekonferenz beendet hat. Sie ist inzwischen im allgemeinen Sprachgebrauch… 

Christoph Marx
Autor, Historiker und Fußballfan Christoph Marx Bild: Regine Peter

Genau, das ist schon fast dudenfähig: Jeder weiß, was damit gemeint ist, obwohl es grammatikalisch falsch ist. Genau wie beim "No Look-Pass", das sind halt so Mischungen aus dem Englischen und Deutschen, die durch Spieler mit verschiedenen Sprachen entstanden sind. 

Was ist denn Ihr Lieblingsbegriff in der Fußballsprache?

Einer meiner absoluten Lieblingsbegriffe ist der berühmte "Fußballgott", weil er eine Weisheit ausdrückt: dieses Unberechenbare, trotz dieser ganzen Verwissenschaftlichung Unkalkulierbare, Irrationale, Emotionale. Und das drückt das Wort auf eine sehr ironische Weise und trotzdem treffend aus. 

Und es entstehen immer wieder neue Begriffe: Seit 2014 gibt es ja in Brasilien ein geflügeltes Wort: 7:1, bezogen auf die Niederlage Brasiliens gegen Deutschland im Halbfinale…

Ja, das ist sehr schön, man muss nur noch "7:1" sagen und es steht sinnbildlich für die absolute Katastrophe. Aber ein 7:1 wird es in einer WM definitiv nicht mehr geben, da lege ich mich mal fest. Wer hätte gedacht, dass es dieses 7:1 jemals geben würde? Das ist Fußball. Und das ist jetzt die Phrase aller Phrasen (lacht). 

Das Gespräch führte Susanne Spröer.

Zum Weiterlesen:

Christoph Marx: Der springende Punkt ist der Ball. Die wundersame Sprache des Fußballs, Berlin 2018

Peter Schlobinski: Geht raus und sprecht Fußball! Kleines Wörterbuch der Fußballsprache, Mannheim 2011