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Spurensuche in Osteuropa

Silke Bartlick26. September 2004

Einfall der Hitlerarmee in Polen 1939, Vertreibung deutscher Minderheiten aus Polen und Tschechien: Bis heute ist das deutsch-östliche Verhältnis belastet. "Schluss damit!" fordern Wissenschaftler auf beiden Seiten.

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Bissig: Das polnische Polit-Magazin WPROST (Direkt)Bild: AP

"Die Deutschen und der Osten, das ist beides: ein Mythos und ein Trauma", sagt der deutsche Historiker Karl Schlögel. Jahrhunderte lang hätten Deutsche aller sozialen Schichten in den östlichen Ländern Mitteleuropas gelebt, so Schlögel. Sie hätten dort Landschaften kultiviert und Städte gebaut, Rechtssysteme entwickelt sowie Künste und Wissenschaften befördert. Dann aber sei der Bruch gekommen: das 20. Jahrhundert mit Vertreibungen, Deportationen, mit dem Judenmord, den Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges und der Verschiebung zahlreicher Grenzen.

Kein Revisionismus

Kantstatue
Kant in Kaliningrad: Der deutsche Philiosoph wurde im heute russischen Königsberg geboren.Bild: dpa

Nach 1945, sagt Schlögel, sei Ostforschung auf Frontforschung reduziert gewesen. Aber seit 1989 ist alles anders: Nicht mehr "Feindbeobachtung", sondern Verstehen ist das Ziel. Mit einem Mal ging es nicht mehr in erster Linie um Rechtfertigungen und Entlarvungen, sondern um möglichst wahrheitsgetreue Berichte und Erzählungen. Auch die Erweiterung der Europäischen Union mache die Aufarbeitung des gemeinsamen kulturellen Erbes immer wichtiger.

"Wie aber kann man darüber sprechen", fragt Schlögel, "ohne den Verdacht zu riskieren, man wolle die Grenzen neu ziehen?" Indem man, so Kulturstaatsministerin Christina Weiss, das Erbe als Chance verstehe, um mittels der Erinnerung eine gemeinsame Zukunft zu gestalten.

Vor dem Mauerfall: Einseitige Geschichtsdarstellung

Seit 1989, sagt die polnische Historikerin Anna Wolff-Poweska, habe ihr Land viele Werte neu entdeckt, gerade auch durch die Globalisierung. Dazu gehört in vielen polnischen Städten das kulturelle Erbe der ehemaligen deutschen Mitbürger. "Auf beiden Seiten der Oder-Neiße-Grenze", so die polnische Historikerin, " war der Grundsatz verbindlich, die Geschichte dieser Gebiete einseitig darzustellen: entweder germano- oder polonozentrisch." Der demokratische Umbruch in Mittel-Osteuropa und der Fall der Berliner Mauer hätten das ganze Elend ans Licht gebracht.

Inzwischen ist vieles auf dem Weg zum Besseren: Heute wird im schlesischen Wroclaw wieder ganz selbstverständlich auch sein früherer Städtename, Breslau, genannt. Die Bewohner haben in den letzten Jahren viel Mühe darauf verwendet, Kulturdenkmäler der einst deutschen Stadt zu restaurieren. Das Fremde, sagt Christina Weiss, sei hier Teil der lokalen Identität geworden. Ähnliches gilt für das lettische Reval/Tallinn, das russische Königsberg/Kaliningrad oder die siebenbürgische Hermannstadt/Sibiu in Rumänien.

Grenzübergreifende Kulturprojekte

Bad Muskau (Sachsen): Blick auf das im Jahre 1520 erbaute Schloss im Fürst-Pückler-Park
Grenz-Kultur: Bad Muskauer Schloss im Fürst-Pückler-Park.Bild: dpa

"Vor zehn oder zwanzig Jahren ist es noch undenkbar gewesen, als Tourist oder Arbeitnehmer hin- und herzureisen", sagt Karl Schlögel. Heutzutage kann sich jeder, der will, im Nachbarland umsehen. Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren mehrere Projekte zur Erforschung des gemeinsamen Kulturerbes gefördert - von der Konservierung barocker Altäre bis zur Restaurierung von Kirchen oder des Thomas-Mann-Hauses in Nidden auf der Kurischen Nehrung (Lettland). Die romantische Parkanlage des Fürsten Hermann von Pückler im sächsischen Bad Muskau, die sich auf beiden Seiten der Neiße erstreckt, wird von deutschen und polnischen Landschaftsdenkmalpflegern restauriert. Kürzlich haben die deutsche und polnische Regierung bei der UNESCO gemeinsam den Antrag auf Eintragung des Parks in die Liste des Weltkulturerbes gestellt.