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Srebrenica-Opfer verklagen niederländischen Staat

5. Juli 2006

Weil niederländische Blauhelm-Soldaten die muslimische Bevölkerung in Srebrenica nicht ausreichend geschützt haben, klagen Angehörige der Opfer gegen die Niederlande. Ein deutscher Anwalt vertritt die Hinterbliebenen.

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Die Hinterbliebenen können nicht vergessenBild: dpa

Gemeinsam mit einem Kollegen vertritt der deutsche Rechtsanwalt Axel Hagedorn die Interessen von rund 8.000 Hinterbliebenen des Massakers von Srebrenica. Mit einer Sammelklage will er erreichen, dass die Opfer Schadensersatz von den Niederlanden erhalten. Nach Auffassung der Betroffenen sind die niederländische Regierung und die Vereinten Nationen mitverantwortlich für den Massenmord an der muslimischen Bevölkerung in der UN-Schutzzone Srebrenica im Jahr 1995. DW-RADIO/Bosnisch sprach mit Hagedorn.

DW-RADIO: Glauben Sie, dass die Klageschrift gute Aussichten auf Erfolg hat?

Axel Hagedorn: Ja, auch relativ gute Aussichten. Natürlich ist das etwas, was nicht tagtäglich passiert, aber trotzdem glauben wir, dass wir gute Aussichten haben.

Was sind Ihre wesentlichen Vorwürfe an die Niederlande und an die UNO?

Es gibt natürlich zahlreiche Vorwürfe, und wenn ich dies zusammenfassen würde, würde ich mich auf drei Punkte konzentrieren. Das eine ist, dass die Enklave aufgegeben wurde, ohne den Einsatz, den die Menschen in der Enklave, die ja schließlich in einem safe area saßen, von den Blauhelmen erwarten durften. Das Zweite ist das Unterlassen von Hilfe an die Menschen, die dann massenhaft in Richtung Truppenlager in Potocari geflüchtet sind. Und der dritte Punkt ist das ungenügende Melden von Vorkommnissen. Weil, wenn man das mehr gemeldet hätte, wäre wohl auch ein Einsatz erfolgt.

Die niederländische Regierung behauptet, dass ihre Soldaten nichts von bevorstehenden Gräueltaten gewusst hätten. Und wenn sie etwas gewusst hätten, hätten sie nichts tun können. Wie wollen Sie das Gegenteil beweisen?

Wir glauben, dass wir ausreichend Zeugenaussagen haben, die das Gegenteil beweisen. Darüber hinaus: Wenn man den so genannten NIOD-Rapport liest – also vom Niederländischen Institut für Kriegsdokumentation: Dieses Institut hatte damals einen Auftrag, um eine Untersuchung zu machen, was in Srebrenica und dieser Enklave passiert ist. Die haben das so detailliert gemacht, dass man es teilweise gar nicht mehr lesen kann. Allerdings wurden diese vielen Details – und das ist meine Überzeugung – nicht immer richtig zusammengefasst. Das heißt, man hat Details an der einen Stelle, aber an der anderen Stelle hat man Details, die wenn man sie zusammensetzt vielleicht zu einem anderen Ergebnis führen würden, als es der NIOD-Rapport gemacht hat. Da kann man sich drüber streiten. Jedenfalls geht es darum, dass sich auch daraus ergibt, dass es genug Punkte gibt, die Zeugen deutlich gemacht haben oder man es hätte mindestens wissen müssen.

Sie haben auch angekündigt, für Betroffene eine Stiftung zu gründen, die dann ermöglichen würde, eine Massenklage einzureichen. Was bedeutet das konkret und wie sollen wir uns das vorstellen?

Es wird eine Stiftung gegründet, weil man nach niederländischem Recht mit einer Stiftung eine Massenklage einreichen kann, wenn die Fälle vergleichbar sind. Nun glauben wir, dass ganz viele Familien, Familienmitglieder der Verstorbenen oder Vermissten ähnliche Fälle haben und man damit diese Massenklage einreichen kann. Dafür muss man eine Stiftung gründen, in diesem Gründungsprozess sind wir gerade. Wir sind sehr weit, wir warten noch auf die notariellen Urkunden. Diese vertritt dann sehr viele Familienmitglieder der Opfer. Wir nehmen dann zehn Fälle von zehn Frauen, deren individuelles Schicksal wir beschreiben, weil wir der Meinung sind, man kann nicht 8.000 Fälle beschreiben, dann würde man sozusagen versanden. Es geht darum, dass man den Fokus behält über das gesamte Geschehen. Aber es gibt Einzelfälle, die wir dokumentieren. Auch in der Sammelklage der Stiftung werden auch noch Einzelfälle aufgenommen werden.

Es wird voraussichtlich auch ein zweites Verfahren geben und in diesem geht es dann um die Höhe der Entschädigungen. Um wie viel Geld geht es da und was bedeutet das überhaupt für die Betroffenen?

Man muss sich das so vorstellen: So eine Stiftungsklage kann nach niederländischem Recht nur eine Feststellungsklage sein. Das heißt, es wird dann festgestellt, dass der niederländische Staat bzw. die Vereinten Nationen nicht ihren Verpflichtungen nachgekommen sind und schadensersatzpflichtig sind. Das ist die eine Klage. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es keine Gespräche darüber geben wird, um zu einer Einigung zu kommen. Im Augenblick scheint mir das noch sehr früh, weil es natürlich unheimlich schwer ist, getötete Familienmitglieder in Geld auszudrücken. Wie will man das machen, wir haben Mandanten, die haben zahlreiche Familienmitglieder verloren, also es geht weit über die 30. Wie will man das in Verhältnis setzen zu Menschen, die ein, zwei oder drei Familienmitglieder verloren haben. Das ist so schrecklich, dass man das ganz schwer messen kann. Es ist ein ganz komplexes Thema. Es ist schwer und muss als zweiter Schritt gesehen werden und der kann dann kommen, wenn dann die Haftung überhaupt geklärt ist.

Das Interview führte Belma Fazlagic
DW-RADIO/Bosnisch, 6.7.2006, Fokus Ost-Südost