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Verpasste Chance

21. Dezember 2009

Allein in Sri Lanka kamen durch den Tsunami im Dezember 2004 mehr als 35.000 Menschen um. Doch das gemeinsame Leid führte nicht zu mehr Verständnis unter den verfeindeten Volksgruppen.

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Frau vor den Trümmern ihres Hauses im Norden Sri Lankas (Foto: ap)
Hilfslieferung: Ehepaar vor ihrem neuen WassertankBild: DW

Geschickt windet die 55-jährige Chandrawathi Kokosfasern mit Hilfe eines Rades zu stabilen Seilen. Mit dem Herstellen von Matten, Seilen und Teppichen aus Kokosfasern verdienen sich viele Frauen in Sri Lanka seit jeher ein Zubrot. Chandrawathis fünf Kinder sind bereits aus dem Haus, doch ihre beiden Enkel spielen ein paar Meter entfernt von ihr miteinander.

Verwüstung in der südwestlichen Stadt Galle nach dem Tsunami (Foto: dpa)
Die südwestliche Stadt Galle nach dem TsunamiBild: dpa

Chandrawathi lebt in einem kleinen Dorf in der Nähe der Touristenhochburg Galle im Süden Sri Lankas, etwas mehr als einen Kilometer von der Küste entfernt. Noch immer denkt sie mit Schaudern an den 26. Dezember 2004, den Tag, der ihr Leben schlagartig veränderte. "Natürlich kann ich mich noch an den Tag erinnern. Und es macht mir immer noch Angst. Das Wasser kam ganz plötzlich - und dann sah ich die vielen Leichen."

Deutliches Gefälle

Nach Indonesien war Sri Lanka das am zweitstärksten vom Tsunami betroffene Land. Mehr als 35.000 Menschen verloren ihr Leben, eine halbe Million wurde obdachlos. Viele internationale Hilfsorganisationen wollten angesichts des großen Leids helfen. So erhielt auch Chandrawathi von der deutschen Hilfsorganisation Malteser International eine Toilette und einen Tank um Regenwasser aufzufangen. Ihr Dorf bekam einen neuen Brunnen.

Tsunami-Opfer in einer Notunterkunft (Foto: ap)
Tsunami-Opfer in einer NotunterkunftBild: AP

So kam der gut entwickelte, auch touristisch erschlossene und von Singhalesen dominierte Süden schnell wieder auf die Beine. Im seit jeher weniger entwickelten und schlecht zu erreichenden Norden und Osten sieht es aber auch fünf Jahre nach dem Tsunami ganz anders aus.

Viele Schulen, die mühsam nach dem Tsunami aufgebaut wurden, wurden in den letzten Monaten des Bürgerkrieges erneut zerstört. Gerhard Serafin war Landeskoordinator der Malteser in Sri Lanka. "Die ethnische Zersplitterung des Landes fällt sofort auf", erinnert er sich. "Und die Trennung zwischen Singhalesen, Tamilen und Muslimen ist auch nach wie vor da."

Auf dem Rücken der Zivilbevölkerung

Verwüstete Häuser in Mullaittivu (Foto: ap)
Verwüstete Häuser in MullaittivuBild: dpa

Immer wieder wurde in der Vergangenheit von Friedensaktivisten und Entwicklungshelfern kritisiert, die Regierung Sri Lankas habe überhaupt kein Interesse daran, auch der Bevölkerung im Norden nach dem Tsunami schnell zu helfen. Colombo befürchte, dass Hilfsgelder in dem damals von der tamilischen Rebellenorganisation LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) kontrollierten Landesteil von den Rebellen zweckentfremdet werden könnten. Die Bevölkerung dort wurde also doppelt bestraft. Die LTTE-Rebellen nutzen dies für ihre Propaganda und für ihren Kampf, der erst 2009 endgültig endete.

Auch jetzt - nach dem militärischen Sieg der Regierung über die LTTE - sitzt dieser Stachel der Erinnerung noch immer tief, erklärt Jahan Perera vom "National Peace Council of Sri Lanka" in Colombo. "Viele Singhalesen glauben, der Frieden im Land sei wieder hergestellt. Aber Tamilen und Muslime sehen das ganz anders." Vertreter der ethnischen Minderheiten hätten das Gefühl, keine politische Macht zu besitzen und nicht mit entscheiden zu dürfen, in welche Richtung das Land steuert. "Und das führt in ihnen zu einer Art Groll. Wenn die Menschen nicht an einem Strang ziehen und sich ein Teil der Bevölkerung ständig beklagt, dann kann sich ein Land nicht geschlossen und schnell weiter entwickeln."

Wahlen als neue Chance?

Karte: Die vom Tsunami betroffenen Gebiete (Foto: dw)
Die vom Tsunami betroffenen Gebiete

Für den 26. Januar 2010 hat der Präsident Sri Lankas, Mahinda Rajapakse, Präsidentschaftswahlen angekündigt. In weiten Teilen des Landes wird er nach dem militärischen Sieg über die LTTE als Volksheld verehrt, genießt regelrechten Popstar-Status. Nicht einmal Analysten hätten seinen Sieg für möglich gehalten. Und selbst viele Tamilen sind erleichtert über das Ende des nervenzehrenden Bürgerkriegs. Immer wieder waren auch Zivilisten zwischen die Fronten geraten.

Dennoch haben viele Tamilen Angst vor der Zukunft, leben trotz einer leichten Entspannung der Lage weiterhin in Flüchtlingslagern unter schwierigen Bedingungen. Basil Rajapakse, der Bruder des Präsidenten, ist auch der politische Berater von Mahinda Rajapakse. Die Integration der Tamilen auch in den politischen Entscheidungsprozess sei wichtig, betont er. "Wir haben viele tamilische Minister in unserer Regierung. Wenn erst einmal die Demokratisierung richtig angelaufen ist, dann wird auch der Norden voller Möglichkeiten sein. Und in Asien wird Sri Lanka schon bald ganz weit vorne sein." Noch aber hat Sri Lanka einen weiten Weg vor sich. Fünf Jahre nach dem Tsunami steht das Land vor einer ungewissen Zukunft.

Autorin: Priya Esselborn
Redaktion: Esther Broders