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Trauer und Demonstrationen in der Türkei

11. Oktober 2015

Nach dem folgenschwersten Attentat in der jüngeren Geschichte des Landes haben Tausende Menschen gegen die Erdogan-Regierung demonstriert. Laut neuesten Angaben wurden fast 100 Menschen getötet und knapp 250 verletzt.

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Demonstration gegen Erdogan in Istanbul nach dem Anschlag (Foto: rtr)
Bild: Reuters

"Dieb - Mörder - Erdogan" skandierten aufgebrachte Demonstranten in Istanbul. Die 10.000 Menschen im Zentrum der Millionenmetropole machten Präsident Recep Tayyip Erdogan für den Anschlag auf die regierungskritische Friedenskundgebung in Ankara vom Samstagvormittag mitverantwortlich. In Sprechchören wurde die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK zu Vergeltungsaktionen aufgefordert. Die Polizei war mit einem massiven Aufgebot vor Ort, schritt aber nicht ein.

Auch in anderen türkischen Städten gingen tausende Menschen auf die Straße, so in Izmir, Batman, Urfa, Van und im überwiegend von Kurden bewohnten Diyarbakir. Dort kam es laut Augenzeugen zu Ausschreitungen. Die Polizei setzte Tränengas ein.

Demonstration in Istanbul (Foto: AP)
Zu Tausenden strömen sie in Istanbul auf die Straße, um gegen Erdogan zu demonstrierenBild: picture-alliance/AP Photo

Spontane pro-kurdische Demonstrationen gab es nach dem Doppelanschlag auch in mehreren Städten Deutschlands, darunter Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main und Stuttgart. Die Sicherheitskräfte sprachen von einem friedlichen Verlauf.

Kurdenpartei HDP gibt Regierung Mitschuld

Die Zahl der Toten des Anschlags in Ankara stieg nach offiziellen Angaben auf 95. Die pro-kurdische Partei HDP sprach von 97 Todesopfern. Fast 250 Menschen wurden verletzt. Die HDP war - drei Wochen vor der Neuwahl des Parlaments - nach eigener Einschätzung Ziel des Terroranschlags und machte der islamisch-konservativen Führung des Landes schwere Vorwürfe. HDP-Chef Selahattin Demirtas sprach von einem Angriff des Staates auf das Volk. "Ihr seid Mörder. An Euren Händen klebt Blut", erklärte er.

Demirtas kritisierte, die AKP-Regierung habe weder den Anschlag auf pro-kurdische Aktivisten im Juli im südtürkischen Suruc noch den auf eine HDP-Wahlveranstaltung im Juni in Diyarbakir aufgeklärt. Das Attentat von Suruc, bei dem 34 Menschen getötet wurden, hatte die Regierung IS-Terroristen zugeschrieben. Die Dschihadisten bekannten sich jedoch nicht dazu. Kurz nach diesem Anschlag eskalierte der Konflikt zwischen der PKK und der türkischen Regierung, mehrere hundert Menschen wurden seither getötet.

Erdogan verspricht Aufklärung

Staatschef Erdogan, der eine dreitägige Staatstrauer ausrief, sicherte umfassende Aufklärung zu. Er sprach von einem "abscheulichen Anschlag" auf Einheit und Frieden des Landes. Der Wahlkampf wurde unterbrochen. Die Regierung geht von zwei Selbstmordattentätern aus. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu nannte als mögliche Urheber der verheerenden Bluttat die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS), die PKK oder zwei linksextremistische Terrorgruppen.

Gegen Demokratie und Frieden

In westlichen Staaten wurde der Anschlag auch als Angriff auf Demokratie und Meinungsfreiheit verurteilt. Sollte sich bestätigen, dass es sich wie vermutet um die Taten von Terroristen handele, "dann handelt es sich um besonders feige Akte, die unmittelbar gegen Bürgerrechte, Demokratie und Frieden gerichtet sind", schrieb Bundeskanzlerin Angela Merkel an Davutoglu. Bundespräsident Joachim Gauck sprach von einem "Anschlag auf die Menschlichkeit, die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt".

US-Präsident Barack Obama bekräftigte in einem Telefonat mit Erdogan die Solidarität der Amerikaner mit der türkischen Bevölkerung im Kampf gegen Terrorismus, wie das Weiße Haus mitteilte.

se/cw (afp, dpa, rtr)