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Stammtisch-Diplomatie

Christoph Driessen, dpa20. Oktober 2002

In der Europäischen Union geht es im Grunde zu wie im Irish Pub. Das haben Iren in den vergangenen Wochen von ihren Politikern wieder und wieder gehört. Und was lehrt sie das?

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Live aus dem Irish Pub: Musik kennt keine GrenzenBild: AP

Wer sich zig Runden Guinness ausgeben lässt und dann davonschleicht, wenn er selbst an der Reihe ist, wird bald von den anderen geschnitten. Eben das würde nun auch Irland drohen, sollte der EU-Reformvertrag von Nizza dort zum zweiten Mal abblitzen, warnten die Politiker.

Wie die mir, so ich euch

Das Land, das seit seinem Beitritt vor 29 Jahren nahezu 50 Milliarden Euro aus Brüssel kassiert habe, könne jetzt unmöglich den Ländern Osteuropas die Tür vor der Nase zuschlagen. Diese Botschaft ist beim Wähler offenbar angekommen. Nach den ersten Ergebnissen haben die Iren im zweiten Anlauf doch noch für den Vertrag gestimmt und damit die Osterweiterung der Union ermöglicht. "Dreieinhalb Millionen Europäer auf der westlichsten Insel des Kontinents bestimmten das Schicksal von 100 Millionen anderen Europäern im Osten", wunderte sich der britische "Observer". Politische Größen wie Lech Walesa, Vaclav Havel, Nelson Mandela und dazu Rockstar Bono umwarben die Wähler zwischen Ballinskellig und Tipperary. Irland hatte eine "Verabredung mit der Geschichte, war im "Guardian" zu lesen.

Denkt an die "Brüder und Schwestern im Osten"!

Die Länder Osteuropas "verdienen das gleiche Glück wie die Iren", warb Alt-Premier Albert Reynolds. Doch nicht jeder schien es ihnen zu gönnen: Nicht nur Nationalisten warnten in den vergangenen Wochen vor einem Zustrom billiger Arbeitskräfte aus dem Osten. Das klingt seltsam im einstigen klassischen Auswandererland Europas: In den USA und Großbritannien leben heute zehn Mal mehr Irischstämmige als die Insel selbst Einwohner hat. Aber es fällt eben schwer, sich damit abzufinden, dass die EU-Subventionen künftig in andere Länder fließen werden. Die Iren seien "wie Junkies, denen Entzug droht", zitierte die "Financial Times" einen EU Politiker.

Stimmungsmache Rechts wie Links

Es gibt auch andere Befürchtungen, etwa um die traditionell strikte Neutralität, die schon den britischen Premierminister Winston Churchill im Zweiten Weltkrieg zur Weißglut gereizt hatte. Seltsam nur wiederum, dass die pazifistischen Töne ausgerechnet aus der Partei Sinn Féin kamen, die als politischer Arm der nordirischen Terror Organisation IRA gilt. Auch das Argument der irischen Grünen, die EU bedrohe die Natur, erschien vielen nicht stichhaltig: Fast alle irischen Umweltbestimmungen gehen auf EU-Gesetze zurück.

Ein schlechter Nachgeschmack bleibt dadurch, dass die Iren zwei Mal über denselben Vertrag abstimmen mussten, weil das erste Ergebnis nach Ansicht ihrer Politiker falsch war. Frei nach dem Demokratieverständnis des US Autopatriarchen Henry Ford: Jeder darf stimmen, was er will, solange es Ja ist. Letztlich, so urteilte der euroskeptische "Daily Telegraph" aus London, seien die Iren ein "Opfer moralischer Erpressung" geworden.