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Stammzellforschung ohne Bürokratie

12. Oktober 2009

Junge deutsche Wissenschaftler zieht es in die USA. Dort arbeiten sie am Whitehead Institut in Cambridge im Team des bekannten Biologen Prof. Rudolf Jaenisch. Ohne Auflagen und Hindernisse wie in Deutschland.

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Bild: Bergmann

Wer in Deutschland mit Stammzellen forschen will, hat es nicht leicht. Das Embryonenschutzgesetz verbietet, in Deutschland Embryonen zu Forschungszwecken zu nutzen. Stammzellen dürfen eingeführt werden, allerdings nur, wenn sie vor dem 1. Mai 2007 hergestellt wurden. Anders in den USA. Dort sind die Forschung und auch das Herstellen von Stammzellen aus Embryos erlaubt.

US-Präsident Bush hatte allerdings in einer präsidialen Anordnung verboten, dass dies mit öffentlichen Geldern geschehen darf. Sein Nachfolger Barack Obama hat diesen Erlass im Frühjahr aufgehoben. Ein weiterer Vorteil für die US-amerikanische Forschung, zum Beispiel am Whitehead Institut in Cambridge in den Laboren des renommierten Stammzellenforschers Rudolf Jaenisch.

Schild an einem der Labore von Professor Jaenischs Gruppe (Foto: Bergmann DW)
Bild: Bergmann

Dort treffen sich 30 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einmal in der Woche in einem fensterlosen Konferenzraum im vierten Stock. Sie besprechen ihre Forschungsergebnisse. Es geht um Stammzellforschung und sie beschäftigen sich mit der Frage, wie man erwachsene Zellen so umprogrammieren kann, dass sie wieder zu embryonalen Stammzellen werden. Das Verfahren funktioniert bereits, doch es gibt noch viele Fragen.

"Noch können diese umprogrammierten Zellen, iPS-Zellen genannt, die richtigen embryonalen Stammzellen nicht ersetzen", erklärt der Chef der Gruppe, Stammzellforscher Rudolf Jaenisch. Man müsse noch immer neue embryonale Stammzellen aus menschlichen Embryos herstellen, denn: "Es ist bisher noch nicht bekannt, was eigentlich der Goldstandard für eine embryonale Stammzelle ist." Das heißt; man weiß noch nicht, wie genau eine optimale embryonale Stammzelle eigentlich aussieht, nach deren Vorbild man eine iPS-Zelle erzeugen will.

Diskussion am Whitehead Institut in Cambridge Massachusetts
Bei den wöchentlichen Treffen der post-docs wird heftig diskutiert. Rechts im Bild: Frank Soldner, 40, aus Stuttgart. Der Mediziner wollte eigentlich nur für zwei oder drei Jahre in die USA kommen, ist jetzt aber bereits seit sechseinhalb Jahren hier. Aus Deutschland ist er weggegangen, weil die Forschung mit humanen Stammzellen damals "nur unter ganz großen Restriktionen" möglich war.Bild: Bergmann

Frischer Wind durch Obamas Entscheidung

Doch um die Nutzung der embryonalen Stammzellen, die als Abfallprodukt bei der künstlichen Befruchtung anfallen, gibt es Streit. US-Präsident George W. Bush verbot weitgehend die Förderung der Embryonen-Forschung mit öffentlichen Mitteln. So musste also mit privaten Geldern ein eigenes Labor gebaut werden, erklärt Jaenisch: "Das musste physisch, administrativ und personell getrennt werden." Eine "völlig idiotische Bürokratie", so der Biologe, die die Arbeit erschwert habe.

Weil Präsident Obama Bushs Einschränkungen zum großen Teil wieder aufgehoben hat, werde diese Bürokratie aber in Kürze wegfallen, freut sich Jaenisch. Also Schluss mit getrennten Laboren, doppelten Geräten und Studenten, die bei Vorträgen von Kollegen "weghören" müssen, weil diese ihre Ergebnisse mit der verbotenen Forschung erzielt hatten. Dass wieder öffentliche Gelder fließen, sei "sehr wichtig", sagt Jaenisch, denn diese Gelder hätten die Wissenschaft in den USA zu einer der besten der Welt gemacht.

Menschliche embryonale Stammzellen (Foto: Public Library of Science/Wikipedia)
Grund für viele deutsche Nachwuchswissenschaftler, Deutschland zu verlassen: Menschliche embryonale StammzellenBild: Public Library of Science / Wikipedia

Auch der 33-jährige Dirk Hockemeyer begrüßt die Einstellung Obamas gegenüber der Wissenschaft und der Stammzellforschung. Die Anweisung des Präsidenten ist für den Forscher vor allem eine klare politische Aussage: "Für meine persönliche Arbeit bedeutet dieses Statement, dass man sagt, wir wollen das machen und es ist auch in Ordnung, dass wir daran arbeiten."

Viele Deutsche am Institut

Hockemeyer ist einer von Professor Jaenischs jungen Mitarbeitern, die sich jeden Donnerstag im Whitehead Institut gegenseitig ihre Forschungsergebnisse präsentieren, sie hinterfragen und kritisieren. Er ist nicht der einzige Deutsche, den es an das weltbekannte Institut gezogen hat. Der 32-jährigen Judith Staerk, die in Rostock und Marburg studiert und in Brüssel ihren Doktor gemacht hat, gefällt vor allem, dass man hier in den USA auch jungen Leuten viel zutraut und Verantwortung überträgt. Sie kann sich vorstellen, nach ihrer Arbeit in Jaenischs Labor wieder nach Europa zurückzugehen, "aber nicht nach Deutschland", sagt sie, weil dort die Arbeit mit embryonalen Stammzellen eingeschränkt sei. "Ich möchte mir von der Politik nicht vorschreiben lassen, mit welchen Linien ich arbeiten darf und mit welchen nicht."

Und der 32-jährige Mathias Pawlak fragt sich, ob man in Deutschland die Folgen der Verbote auch zu Ende gedacht hat: "Wenn irgendwann einmal mit humaner embryonaler Stammzellforschung wirklich durchschlagende Erfolge erzielt werden, die dann auch Therapien ermöglichen, sagt dann Deutschland, ok, wir nutzen die jetzt auch?"

Rudolf Jaenisch sitzt entspannt mit verschränkten Armen hinter dem Kopf (Foto: Bergmann DW)
Rudolf Jaenisch ganz entspannt ...Bild: Bergmann

Ein optimaler Forschungsstandort

Rudolf Jaenisch erklärt, dass die Arbeit mit embryonalen Stammzellen in Deutschland möglich, aber schwierig ist und dass alle vier Wissenschaftler, die in den letzten Jahren seine Gruppe verlassen haben, in Amerika geblieben seien: "Ich kann mir vorstellen, dass manche meiner Mitarbeiter nicht nach Deutschland gegangen sind, weil sie Angst hatten, in einen bürokratischen Sumpf zu geraten, der die Dinge einfach erschwert."

Noch etwas anderes gefällt den jungen Biologen und Medizinern am Whitehead Institut, das direkt neben dem Massachusetts Institut für Technologie, dem ebenfalls renommierten MIT, liegt: Die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Hier ist es kein Problem, erklärt Professor Jaenisch, sich von den Physikern, Mathematikern oder Informatikern nebenan Computersimulationen oder mathematische Modelle für die Forschung an den Stammzellen erstellen zu lassen.

Großes Engagement für die Mitarbeiter

Dorothea Maetzel (Foto: Bergmann DW)
Dorothea MaetzelBild: Bergmann

Die 30-jährige Bonnerin Dorothea Maetzel ist erst seit Juni in Cambridge und schon jetzt sehr angetan. Wer in der Gruppe von Rudolf Jaenisch arbeitet, sagt sie, müsse sich in Wissenschaftlerkreisen nicht lange vorstellen. Das würde vieles erleichtern. Aber auch sonst sei die Zusammenarbeit einfacher als in Deutschland, wenn man Eigeninitiative zeigt: "Wenn man sich darum bemüht, sich zu vernetzen, geht es viel schneller." Und auch ihrem Chef gibt sie gute Noten: "Ich war überrascht, wie viel er im Labor ist", sagt sie. Es heißt ja immer, große Chefs seien selten da, aber ihre Erfahrung sei eine andere. "Wenn er da ist, ist er oft im Labor, er geht sehr viel durch die Reihen."

Und Mathias Pawlak, der bei Jaenisch sogar seinen Doktor gemacht hat, ergänzt: "Wenn ich ihn gefragt habe, ob er eine Minute Zeit hat, dann kann ich mich an keinen einzigen Moment erinnern, wo er gesagt hat - ich hab jetzt keine Zeit!". Dabei muss der renommierte Biologe Jaenisch viel Zeit mit dem Einsammeln von Forschungsgeldern verbringen und auch die Lehre darf nicht zu kurz kommen. Aber Jaenisch sagt selbst: "Ich rede jeden Tag viele Stunden mit den Leuten. Ich weiß also ziemlich genau, was in jedem Experiment vor sich geht."

Die Arbeit mache ihm noch immer Spaß, sagt der 67-jährige, und so lange das Geld fließt und die Forschungsergebnisse relevant seien, wolle er noch weiter machen. Schließlich finde in und um Boston die "aufregendste" Forschung überhaupt statt. Allerdings habe er, der vor 25 Jahren das Whitehead Institut mitgründete, schon daran gedacht, wieder nach Deutschland zurück zu gehen. Auch in den USA gebe es schließlich viele Dinge, die ihm nicht gefallen. Aber an der liberalen Ostküste sei das Leben noch auszuhalten und schließlich sei das Gras immer dort grüner, wo man gerade nicht sei, meint er verschmitzt und seine blassblauen Augen lächeln: "Meine Frau meint: das Beste wäre, wenn man in Amerika arbeiten kann und in Deutschland abends nach Hause geht."

Autorin: Christina Bergmann

Redaktion: Judith Hartl