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Stammzellspender

8. September 2011

Weltweit zählt die Datenbank für Stammzellspender rund 15 Millionen Mitglieder. Jeder einzelne von ihnen ist bereit, mit seinen Stammzellen einem Unbekannten das Leben zu retten, so auch der 26-jährige Fabian Scherle.

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Der 26-jährige Student Fabian Scherle (Foto: DW/Scherle)
Spenden war für ihn eine SelbstverständlichkeitBild: DW

"Es ist das Gefühl, dass man zumindest einmal etwas Großartiges bewirkt hat, selbst wenn man bei allem anderen im Leben versagen würde", sagt Fabian Scherle nach seiner Knochenmarkspende. Nicht nur für den Empfänger, sondern auch für ihn als Spender sei es ein großes Glück gewesen, dass seine Stammzellen die richtigen für einen Leukämiekranken waren.

Übereinstimmende Gewebemerkmale sind wie ein Lottogewinn

Die meisten Blutstammzellen – also Zellen, aus denen sich das Blut entwickelt - befinden sich im Knochenmark. Doch sie können einem Patienten nur dann helfen, wenn seine Gewebemerkmale mit denen des Spenders genau übereinstimmen. Bei Geschwistern liegt die Wahrscheinlichkeit, dass diese Merkmale passen, bei unter 30 Prozent. Bei Menschen, die nicht miteinander verwandt sind, ist so eine Übereinstimmung schon eher wie sechs Richtige im Lotto. Fremdspender sind in Deutschland in verschiedenen regionalen Registern für Knochenmarkspender eingetragen sowie in einem zentralen Register in Ulm.

Früher suchte er selbst Spender

Zu den regionalen Registern gehört auch die Spenderzentrale der Uniklinik in Düsseldorf. Dort hat Fabian jahrelang gearbeitet und damit sein Studium finanziert. Eine seiner Aufgaben: Er kontaktierte potentielle Spender. Kurz nach seinem letzten Arbeitstag dann der entscheidende Anruf: Fabian selbst kam als Stammzellspender für einen Patienten aus Italien in Frage.

Dr. Johannes Fischer (Foto: DW/Scherle)
Dr. Johannes Fischer, Uni-Klinik DüsseldorfBild: DW

Schon mit 19 hatte er sich in einer Spenderdatei registrieren lassen. Dazu wurde ihm eine Blutprobe für die Analyse der Gewebemerkmale entnommen. Diese medizinischen Daten werden anonymisiert an nationale und internationale Transplantationszentren weitergegeben, die global miteinander vernetzt sind. "Der Spender weiß höchstens, in welches Land seine Stammzellen transportiert werden, aber nicht, wer sie bekommt", so Dr. Johannes Fischer. Er ist der medizinische Leiter der Düsseldorfer Knochenmarkspenderzentrale. "In dem Augenblick geht es nur um die Behandlung des Erkrankten, unabhängig von Hautfarbe, Ethnie oder Religion."

Verantwortung für ein Menschenleben

Plötzlich trat also ein großer Unbekannter in Fabians Leben: ein Patient aus Italien, der an Leukämie litt und der durch seine Gewebemerkmale Fabians genetischer Zwilling ist. Zur Stammzellspende gab es zwei Möglichkeiten: entweder eine kurze Operation unter Vollnarkose, bei der Knochenmark aus dem Beckenkamm entnommen wird, oder eine sogenannte Stammzell-Apherese. Dabei wird die Stammzellbildung durch ein Medikament erhöht, ein Teil der Stammzellen kann dann aus dem Blutkreislauf entnommen werden. Doch oftmals sind die Heilungschancen größer, wenn der Patient direkt das Knochenmark erhält. Deshalb entschied sich Fabian für diese Methode.

"Sämtliche Risiken waren mir bekannt. Aber die erschienen mir sehr gering", erinnert sich der Lehramtsstudent. Nach Angaben der Stefan-Morsch-Stiftung, die seit 1986 die erste deutsche Datei für Knochenmark- und Stammzellenspender betreibt, birgt lediglich die Vollnarkose während des Eingriffs ein gewisses Risiko. Also machte Fabian nur der Gedanke Angst, dass er wegen einer plötzlichen Erkrankung nicht zur Spende zugelassen werden könnte. Am Wochenende vor der Operation verzichtete er auf die Geburtstagsparty seiner Schwester, weil im Verwandtenkreis gerade ein Grippevirus grassierte: "Ich wusste, dass ich - wenn ich diese Grippe in genau dem falschen Moment bekomme - nicht würde spenden können, und dass es um ein Menschenleben ging", sagt Fabian. Das sei eine so große Verantwortung wie man sie selten im Leben trage.


Das Immunsystem des Spenders tötet die Leukämiezellen ab

Laborantinnen arbeiten mit Stammzellen in einem Labor (Foto: AP)
Laborarbeit mit StammzellenBild: AP

Wenn es zur Spende kommt, habe der Patient die Chance auf ein neues Leben, so Dr. Fischer von der Uniklinik Düsseldorf: "Das sich entwickelnde Immunsystem vom Spender erkennt die bösartigen Leukämiezellen und tötet sie ab." Der Patient wird auf die Stammzellspende vorbereitet, indem sein ohnehin sehr geschwächtes Immunsystem durch eine hoch dosierte Chemotherapie noch weiter heruntergefahren wird. "Wenn er die gesunden Stammzellen dann nicht bekommt, ist er jeder Infektion schutzlos ausgeliefert", erklärt Dr. Johannes Fischer. Das gleiche einem Todesurteil.

Die Operation dauert nicht einmal eine Stunde. Als Fabian wieder aus der Narkose aufwacht, sind die Kuriere mit dem Transplantat schon unterwegs nach Italien. Die Stammzellen werden dann durch die Venen direkt in das Blut des Patienten geleitet.

Gemeinsam den Krebs besiegen

Wenige Monate nach dem Eingriff erhält Fabian eine bewegende Nachricht: Der italienische Patient hat die Transplantation gut überstanden und kann den Krebs besiegen.

Persönlich kennenlernen dürfen sich Spender und Empfänger allerdings frühestens in zwei Jahren. Vorher gilt in Deutschland, Italien und anderen europäischen Ländern weiterhin die Anonymitäts-Regel. Unter anderem, weil der Zustand des Patienten normalerweise erst nach diesen zwei Jahren wirklich stabil ist. Andere Staaten – zum Beispiel China – verbieten jeglichen Kontakt zwischen Spender und Patienten.

Fabian wünscht sich, seinen genetischen Zwilling aus Italien eines Tages zu treffen. Doch der Kontakt sollte dann lieber vom Patienten und dessen Familie ausgehen, so Fabian. "Ich fände es unangebracht, mich selber zu melden und zu sagen, hallo, ich bin der Lebensretter, huldigt mir!"

Denn schließlich habe er einfach nur getan, was für ihn selbstverständlich ist. Und genau das ist die Antwort des zukünftigen Philosophielehrers auf Fragen, die er schon jetzt im Praktikum mit seinen Schülern bespricht: Gibt es universale ethische Werte? Was ist wirklich wichtig? Und was macht uns als Menschen aus?

Autorin: Alexandra Scherle
Redaktion: Gudrun Heise/Sabine Faber