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Stark sein und stark sein wollen

Alexander Kudascheff21. Januar 2003

Deutschland und Frankreich feiern ihre Partnerschaft. Und sie feiern sie zu Recht, meint Alexander Kudascheff. Wenn auch mit gewissen Einschränkungen und Abstrichen.

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40 Jahre Elysee-Vertrag - das heißt auch, 40 Jahre deutsch-französischer Gemeinsamkeit, deutsch -französischer Aussöhnung. Und es heißt auch: Seit 40 Jahren arbeitet der deutsch-französische Motor für Europa. Denn: Ob die gemeinsame politische Akte, die Vollendung des Binnenmarkts, die Einführung des Euro, der Aufbau europäischer militärischer Strukturen, die Osterweiterung - alle großen Marksteine des europäischen Einigungsprozesses haben immer den deutsch-französischen Anlasser gehabt.

Hatten früher Bonn, heute Berlin und Paris die selben Ideen, denselben Willen, dieselben Interessen, und waren bereit, sie gemeinsam umzusetzen, dann ging es in Europa mächtig voran. Das war am besten im Oktober letzen Jahres in Brüssel zu beobachten. Damals gingen alle davon aus, dass sich Deutsche und Franzosen beim Thema Agrarpolitik so verhaken würden, dass - so Pessimisten - selbst das Projekt der europäischen Erweiterung auf dem Spiel stehen könnte - und sie verrechneten sich gewaltig. Denn Chirac und Schröder einigten sich recht unspektakulär bereits vor dem Gipfel.

Und beide mussten Federn lassen - die Franzosen mussten einsehen, dass das "Immer-weiter-so" in der zu teuren europäischen Agrarpolitik an ihr Ende gekommen ist, die Deutschen mussten einsehen, dass radikale Reformen in der Landwirtschaft nicht gegen Frankreich und seine eigene landwirtschaftliche Tradition - manche sprechen sogar von einem landwirtschaftlichen Mythos - nicht durchsetzen zu sind. Also haben Deutschland und Frankreich das Thema elegant vom Tisch geschoben. Die Erweiterung war damit perfekt. Das wußten alle. Und sie konnten nicht mehr als daneben stehen, Beifall klatschen - und verhalten murrenn.

Denn wenn sich Deutschland und Frankreich einig sind, so ein europäisches Gebot, dann kann man nur schwer dagegen angehen. Die anderen Ländern bringen jedenfalls nicht das politische Gewicht mit wie die beiden. Das wird sich auch bei der Diskussion über den deutsch-französischen Vorschlag einer Doppelspitze von Kommissions-und Ratspräsident zeigen. Erst werden viele murren. Sie werden von einem Direktorat sprechen. Vom Wunsch der beiden ganz Großen, alles zu bestimmen. Und dann wird sich der Rest der Europäer im Club über den Vorschlag beugen, ihn erst ganz anständig, dann immer besser finden. Und zum Schluss wird ungefähr das herauskommen, was Chirac und Schröder wollten.

Die beiden hatten übrigens am Anfang Probleme miteinander. Sie verstanden sich nicht - politisch und menschlich. Schröder neigte mehr zu Blair, glaubte, er könne das Koordinatensystem Europas verschieben - zu einer deutsch-englischen Achse. Strategisch und taktisch weit gefehlt. Denn: Frankreichh konterte mit einer Charmeoffensive in Richtung London und neutralisierte damit den deutschen Wunsch nach einem Partnerwechsel. Das Ergebnis: Nichts ging mehr.

Das wurde deutlich beim Gipfel in Nizza. Da wollte die EU ihr institutionelles Gleichgewicht neu balancieren. Unter anderem sollte festgelegt werden, wer wieviele Stimmen im Rat hat. Und da die Stimmengewichtung nach Größe geht, war allen klar: Deutschland, mit 80 Millionen Einwohnern um ein Viertel größer als Frankreich, bekommt mehr Stimmen zugestanden. Allen? Nein, Frankreich war das nicht klar. Es bestand auf gleicher Stimmenzahl. Und der Gipfel wäre fast kollabiert. Doch von da an sahen beide ein : man muss mehr, intensiver, konstruktiver miteinander reden. Es begann der Blaesheim-Prozess ( Blaesheim ist ein Ort im Elsaß, in dem man mehr als gut essen kann), man sah sich öfter, man verstand sich besser.

Nun, nachdem Chirac die Wahl mit Glanz, Schröder mit Mühe gewonnen hat, scheint sich auch das menschliche Miteinander einzustellen. Vielleicht aber auch, weil Schröder Chirac heute mehr denn je braucht. Deutschlands rot-grüne Regierung hat sich mit ihrem kategorischen, ihrem rigorosen Nein diplomatisch ins Abseits gestellt. Frankreich dagegen ist die Schlüsselfigur im Kreis des Sicherheitsrates - mit seinem elastischen Nein, das Washington nicht völlig verprellt hat. Und so schaut Brüssel in diesen Tagen wieder nach Paris: Nicht nur weil Deutsche und Franzosen den Elysee-Vertrag feiern, nein auch, weil dort der starke Mann Europas sitzt: Frankreichs Staatspräsident Jaques Chirac.