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Starker Staat

Ingo Mannteufel27. Oktober 2002

Falls nicht noch viele befreite Geiseln am eingesetzten Gas sterben, dürfte die erfolgreiche Befreiungsaktion das Ansehen von Putin stärken. Die Aussichten für die Menschen in Tschetschenien sind dagegen eher düster.

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Erfolg der russischen StaatsmachtBild: AP

Die Lage in der Uliza Melnikowa schien aussichtslos: Mehr als 700 Geiseln in einem verminten Gebäude in der Hand von rund 50 schwerbewaffneten Terroristen. In den vergangenen Tagen gingen fast alle Beobachter davon aus, dass eine Stürmung des Musical-Theaters in einer blutigen Katastrophe enden würde. Gemessen an diesen Befürchtungen ist die Befreiungsaktion wohl erfolgreich zu nennen.

Voller Erfolg

Vladimir Putin
Russlands Präsident Vladimir PutinBild: AP

Der Einsatz der Spezialkräfte scheint auch in politischer Hinsicht für Präsident Putin ein voller Erfolg zu sein. Durch die Geiselnahme war er in eine Zwickmühle geraten: Ein Eingehen auf die politischen Forderungen der tschetschenischen Terroristen hatte Putin von Anfang an ausgeschlossen. Es wäre als eine Niederlage ausgelegt worden. Und der gerne von einem "starken Staat" sprechende Putin wäre als erpressbar erschienen - mit herben Folgen für seine Popularität in Russland. Dabei verdankt er doch seinen Aufstieg 1999 zum Ministerpräsidenten und später zum Präsidenten gerade seiner harten Haltung in der Tschetschenien-Frage. Und: Ohne den hohen Zuspruch der russischen Bevölkerung zu Putin sind die notwendigen schmerzhaften Reformen nicht durchsetzbar.

Ein Blutbad unter den Geiseln - entweder durch die Geiselnehmer oder auch durch einen frühzeitigen und rücksichtslosen Einsatz der Sicherheitskräfte - hätte aber ähnliche Folgen für Putins Beliebtheit gehabt: Es wäre wieder einmal deutlich geworden, dass für den russischen Staat der einzelne Mensch nicht zählte. Putins Popularität hätte also auch so starke Risse bekommen. Deshalb erklärte Putin in den vergangenen Tagen das Leben der Geiseln zur höchsten Priorität.

Frisches Vertrauen

Die erfolgreiche Befreiungsaktion hat Putin aus dieser schwierigen politischen Situation befreit. Das Vertrauen der russischen Bürger in den russischen Präsidenten dürfte gestärkt worden sein - falls nicht noch viele Geiseln an den Folgen des eingesetzten Gases sterben sollten.

Krieg in Tschetschenien
Der Krieg in Tschetschenien geht weiter, die Chancen auf Verhandlungen sind geringer als zuvor

Wenig Änderung verspricht der Ausgang der Geiselnahme für die harte russische Politik in Tschetschenien. Es ist sogar mit einer Verschärfung des russischen Militäreinsatzes zu rechnen. Und das vermutlich mit Zustimmung der russischen Bevölkerung. Denn die verbreitete Feindseligkeit gegen "Personen kaukasischer Nationalität" ist durch die brutale Geiselnahme nicht geringer geworden.

Im Süden nichts Neues

Mit ihrer Terroraktion gegen unschuldige Zivilisten haben die tschetschenischen Kämpfer dem Anliegen einer Kompromisslösung des Problems im Nordkaukasus geschadet. Denn die Hardliner in der russischen Führung können sich voll bestätigt sehen: Der 1997 demokratisch gewählte Präsident Tschetscheniens, Aslan Maschadow, hatte noch wenige Tage vor der Geiselnahme in einem Interview erklärt, er kontrolliere fast alle bewaffneten Einheiten der tschetschenischen Rebellen. Zwar ist ungeklärt, ob das auch für den Anführer des Geiselkommandos, Mowsar Barajew, galt. Die russische Führung hat Maschadow jedenfalls zum Drahtzieher der Aktion erklärt. Baldige Verhandlungen mit ihm sind nun noch weniger wahrscheinlich als vorher. Und andere Verhandlungspartner auf Seiten der tschetschenischen Kämpfer gibt es nicht.