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Stasi-Akten: Mehr als eine Behörde

Marcel Fürstenau11. April 2016

Seit 25 Jahren wird das gerettete Erbe des DDR-Geheimdienstes archiviert und erforscht. Eine wichtige Aufgabe, die künftig in einer anderen Organisationsform weitergehen wird. Aus Berlin Marcel Fürstenau.

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"Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen" steht auf einem Wegweiser in der Nähe von Rostock (Foto: picture alliance/dpa)
So lautet die Amtsbezeichnung des Chefs der Behörde, die es in der bestehenden Form bald nicht mehr geben sollBild: picture-alliance/dpa

Unumstritten war der Umgang mit den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR nie. Das konnte auch nicht anders sein. Nie zuvor ist die Hinterlassenschaft eines Geheimdienstes mehr oder weniger öffentlich seziert worden. Versuche, das zu verhindern, gab es in den entscheidenden Monaten der friedlichen Revolution 1989/90 in beiden Teilen Deutschlands. Im Osten hatten die Täter schon begonnen, Akten zu vernichten. Bürgerrechtler verhinderten Schlimmeres, indem sie die Stasi-Zentralen in Berlin und anderen DDR-Bezirken stürmten.

Ohne ihr mutiges Eingreifen wäre es ein Jahr nach der deutschen Wiedervereinigung kaum zur Gründung der Stasi-Akten-Behörde gekommen. Denn Joachim Gauck hätte nichts mehr zu verwalten gehabt. Der amtierende Bundespräsident war von 1991 bis 2000 der erste vom Parlament gewählte "Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik". Schon in der letzten DDR-Volkskammer hatte sich Gauck als Vorsitzender eines Sonderausschusses um die Kontrolle der MfS-Auflösung gekümmert.

Gaucks Triumph vor Gericht

Wäre es nach Helmut Kohl gegangen, dem Kanzler der Einheit, hätten die Stasi-Akten unter Verschluss bleiben sollen. Dahinter müssen nicht zwangsläufig politische oder gar persönliche Motive gesteckt haben. Es entsprach schlicht dem westdeutschen (Rechts)Verständnis, staatliche Akten mit solcher Brisanz als Verschlusssache zu behandeln. Die früheren DDR-Bürgerrechtler hingegen wollten vor allem den Opfern der SED-Diktatur Einblick in die über sie angelegten Unterlagen ermöglichen.

Gauck erstritt 1992 vor dem Berliner Verwaltungsgericht sogar noch einen weiteren Sieg: Dem für seine Behörde geschaffenen Gesetz wurde Vorrang gegenüber dem Bundesdatenschutzgesetz eingeräumt. Das erleichtert seitdem den Einblick in viele Akten, die sonst unter Hinweis auf personenbezogene Informationen unzugänglich wären.

Regale voller Akten in der Berliner Stasi-Unterlagen-Behörde (Foto: picture alliance/dpa)
Historisches Material am historischen Ort: Akten in der Berliner Stasi-Unterlagen-BehördeBild: picture-alliance/dpa

Dass die Stasi-Unterlagen-Behörde im Großen und Ganzen eine weltweit bestaunte Erfolgsgeschichte ist, daran besteht 25 Jahre nach ihrer Gründung kein Zweifel. Vielen Ländern in Osteuropa, aber auch in Lateinamerika und im Nahen Osten, dient sie als Vorbild für den Umgang mit der eigenen Diktatur-Vergangenheit. Mit Hilfe der Akten können Täter entdeckt und rechtlich belangt werden. Opfer können nachweisen, wie ihnen aus politischen Gründen Berufswege versperrt wurden. So ist von Fall zu Fall auch Wiedergutmachung möglich - wenigstens finanziell.

Akten dienen auch der Rehabilitierung

Die Archivierung, Erforschung und Öffnung der Stasi-Akten hat nicht zuletzt den Charakter eines breit angelegten Programms zur individuellen und gesellschaftlichen Rehabilitierung. Denn natürlich gab es in der DDR trotz hunderttausender Spitzel auch viele Menschen, die sich widersetzten und eine Zusammenarbeit mit dem allgegenwärtigen Geheimdienst ablehnten. Diese helle Seite stärker zu beleuchten, war schon im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens ein wichtiges Anliegen der Behörde. Und es gewann im Laufe der Zeit an Bedeutung.

Amtierender und ehemalige Beauftragte für die Stasi-Akten: Roland Jahn, Marianne Birthler, Joachim Gauck (v.l.n.r.) (Foto: Reuters)
Aus DDR-Bürgerrechtlern wurden Stasi-Beauftragte: Roland Jahn, Marianne Birthler, Joachim Gauck (v.l.n.r.)Bild: Reuters/Nacarino

Die Zeit der großen Enthüllungen ist lange vorbei. Gauck-Nachfolgerin Marianne Birthler und der seit 2011 amtierende Roland Jahn richteten den Fokus noch stärker auf den Aspekt der Diktatur-Erforschung. Dafür liefern die Stasi-Akten einmaliges Material. Eine Menge ist schon erforscht, aber es gibt noch viel zu entdecken. Das wird mittelfristig in neuen organisatorischen Strukturen passieren. Am Dienstag legte eine vom Bundestag eingesetzte Experten-Kommission in Berlin ihre Empfehlungen vor.

Stasi-Akten bleiben zugänglich - so oder so

Die Akten sollen demnach ins Bundesarchiv überführt werden. Als Zeitpunkt nannte der Kommissionsvorsitzende, Sachsen-Anhalts früherer Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU), das Jahr 2021. Dann hätte der im kommenden Jahr neu zu wählende Bundestag eine Legislaturperiode lang Zeit, die Reform umzusetzen. Einen Bundesbeauftragten in der bisherigen Form wird es wahrscheinlich nicht mehr geben. Die Rede ist nun von einer Ombudsperson, die sich um Anliegen von Stasi-Opfern kümmern könnte.

Befürchtungen, mit dem Ende der Akten-Behörde solle das Kapitel Stasi geschlossen werden, scheinen unbegründet zu sein. Auch künftig wird jeder einen Antrag auf persönliche Akten-Einsicht stellen können. Und Forscher können weiterhin aufschlussreiche Fakten zu Tage fördern und veröffentlichen.

Vieles davon landete bislang in der Stasi-Mediathek. Aktuelles Beispiel ist der Umgang mit der Reaktor-Katastrophe in Tschernobyl am 26. April 1986. "Alles unter Kontrolle halten" sind die online abrufbaren Dokumente überschrieben. Passt bestens zum Reizwort "Stasi".