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Umstrittenes Gesetz

8. Januar 2009

Albanien tut sich schwer mit der Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit. Das gilt auch für das neue Stasi-Gesetz, durch das ehemalige Spitzel aus öffentlichen Ämtern entfernt werden sollen.

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Hitzige Debatte um Stasi-GesetzBild: BilderBox

Vor kurzem hatte die regierende Demokratische Partei (PD) von Ministerpräsident Sali Berisha das Thema gegen den Widerstand der oppositionellen Sozialistischen Partei erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Am 22. Dezember stimmte die Parlamentsmehrheit schließlich dem Gesetz mit dem Titel „Zur Reinheit der Hohen Verwaltungsbeamten und gewählten Volksvertreter" zu. Noch steht die Unterschrift von Präsident Bamir Topi aus. Die Opposition setzt ihren Protest gegen das Gesetz fort und hat angekündigt, notfalls Organklage vor dem Verfassungsgericht zu erheben.

Ziel des Gesetzes ist es festzustellen, ob leitende Persönlichkeiten in Politik, Justiz und Universitäten vor Dezember 1990 in den Diensten der damaligen kommunistischen Geheimpolizei gestanden haben. Enttarnte Spitzel sollen aus ihren jetzigen Ämtern entfernt werden. Auch soll jeder Bürger das Recht auf Auskunft erhalten, ob über ihn Akten angelegt wurden. Ein Recht auf Akteneinsicht sieht das Gesetz jedoch nicht vor.

Späte Aufarbeitung

Der Abgeordnete der Demokratischen Partei und Vizepräsident der Parlamentarischen Gruppe der Europäischen Volkspartei im Europarat, Aleksander Biberaj, kritisiert die albanische Politik. Lange habe diesbezüglich Passivität geherrscht: „Wir sind sehr verspätet. Ich habe einige Male gesagt, der albanischen Politik hat der politische Wille gefehlt.“ Ein solcher Prozess der Durchleuchtung habe in fast allen postkommunistischen Ländern stattgefunden und müsse auch in Albanien durchgeführt werden. Biberai fügte hinzu, es sei eine moralische, aber auch eine politische Frage.

Ablehnung bei den Sozialisten

Die sozialistische Opposition lehnt den Gesetzentwurf kategorisch ab. Tenor der Kritik: Das „Reinheitsgesetz" verletze die Menschenrechte und sei verfassungswidrig. Die regierende Mehrheit wolle das Justizsystem lähmen, um die gerichtliche Klärung diverser Korruptionsaffären der Demokratischen Partei zu vereiteln. Damit zielt die Opposition auf die Befürchtung ab, Dutzende Rechtsanwälte, Staatsanwälte und Richter könnten aus ihren Ämtern entfernt werden. In albanischen Medien ist die Rede von 25 Staatsanwälten und einigen Mitgliedern des Verfassungsgerichts.

Für den sozialistischen Abgeordneten und Justiz-Experten Marko Bello ist das Gesetzesvorhaben inakzeptabel: Ihm zufolge kann ein mit einfacher Mehrheit verabschiedetes Gesetz die Mandate der Verfassungsrichter und Staatsanwälte nicht beenden. Bello mutmaßt, „dass es sich hier um eine Hexenjagd handelt, die nichts mit Prinzipien und Moral zu tun hat. Man kann nicht alle Staatsanwälte auf einmal verurteilen. Derjenige, der seine Kompetenzen überschritten hat, muss die Verantwortung übernehmen."

Justizmitarbeiter protestieren

Verteidigung in eigener Sache betreiben auch die Standesorganisationen der Anwälte und Staatsanwälte. In einer Mitteilung des albanischen Anwaltforums heißt es, das Justizsystem werde durch die Anwendung eines solchen Gesetzes immensen Schaden nehmen. Die Anwälte argumentieren, dass sie korrekt, ehrlich und prinzipientreu gearbeitet hätten. Sie hätten nur die Verfassung und gültige Gesetze angewendet.

Der albanische Politikwissenschaftler Egin Ceka ist an der Universität Wien tätig. Er kennt die Position der Anwälte: „Eine solche Rechtfertigung riecht nach Verteidigung der Interessen der Richter und der Staatsanwälte.“ Es sei bekannt, dass viele Personen, die schon vor 1990 Richter oder Staatsanwälte waren, auch heute noch im Justizsystem tätig seien. „Wenn sie in Verbrechen verwickelt waren, dann können sie nicht mehr Staatsbedienstete sein", lautet seine Position.

Vergangenheit bleibt Streitthema

Ceka weist daraufhin, dass die Frage nach Schuld und Verantwortung der Juristen in Sachen Bewältigung der kommunistischen Vergangenheit ein Streitpunkt geblieben ist. „Diese Frage wurde von den Wissenschaftlern in den Ländern Ost- und Südosteuropas kontrovers diskutiert. Sie ist aber ungelöst geblieben."

Die albanische Öffentlichkeit ist skeptisch, ob die Politik eine endgültige Antwort geben wird. In der Bevölkerung ist die Meinung verbreitet, das Thema Überprüfung von Amtsträgern sei längst zum Teil des politischen Kalküls geworden sei: Diejenigen, die keine weiße Weste hätten, seien erpressbar und folglich leicht für bestimmte politische Interessen zu instrumentalisieren.

Lindita Arapi