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Steinbrück gelingt Etappensieg

Wolfgang Dick14. April 2013

Der Parteitag der SPD in Augsburg sollte positive Stimmung für den Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten machen. Es durften viele Bürger und Nicht-Parteimitglieder kommen. Die erlebten eine Aufbruchstimmung.

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Peer Steinbrück auf dem SPD-Parteitag in Augsburg Foto: Reuters
Bild: Reuters

Schon nach dem ersten Satz von Peer Steinbrück erhoben sich Besucher spontan von ihren Sitzen. Zwei Minuten tosender Applaus. Dabei hatte der in den letzten Wochen viel kritisierte Herausforderer von Kanzlerin Angela Merkel nur gesagt, dass er Kanzler werden wolle. Das war nichts Neues. Aber die Art und Weise, wie Peer Steinbrück dies gleich ohne Vorworte noch einmal auf den Punkt brachte, riss mit.

Auch Dieter und Renate Mathes hatten so einen Auftritt nicht erwartet. "Er hat uns heute wirklich für den Wahlkampf mobilisiert", sagen die beiden Rentner. Sie waren schon sehr früh aufgestanden, um nachzusehen, woher die schlechten Sympathiewerte der SPD kommen. Nach neusten Umfragen führender Meinungsforschungsinstitute würden 63 Prozent der Deutschen, wenn heute Bundestagswahl wäre, lieber Angela Merkel von der CDU wählen als Peer Steinbrück von der SPD. Ähnlich sieht es im Augenblick auch bei den Parteiverhältnissen aus. Die regierende Union liegt mit 42 Prozent vor der SPD mit nur 27 Prozent der Wählergunst. Nach denselben Zukunftsprognosen wird aber der Union ihr bisheriger Koalitionspartner, die FDP, abhanden kommen.

Besucherpaar aus einem SPD-Ortsverein in Bayern Foto: DW
Mitglied in einem SPD-Ortsverein in Bayern: Ehepaar MathesBild: DW

Das wäre die Chance für die Sozialdemokraten, die mit der Partei Bündnis 90/Die Grünen bei der Bundestagswahl am 22. September dieses Jahres gewinnen wollen. Deshalb spricht auf dem Parteitag der SPD mit Claudia Roth auch eine der beiden Bundesvorsitzenden der Grünen ein Grußwort. Die bisherige Regierung sei die schlechteste aller Zeiten, sagt Roth, und wirft Kanzlerin Angela Merkel soziale Kälte vor. Roth will für Deutschland nicht nur einen Regierungs- sondern einen "Systemwechsel". Peer Steinbrück ergänzt später, dass er für einen menschenverachtenden Kapitalismus keine Zukunft mehr sieht. Sein Motto heißt: Mehr "wir" als "ich".

Peer Steinbrück auf dem SPD-Parteitag in Augsburg Foto: Reuters
Steinbrück konnte viele Besucher von sich überzeugenBild: Reuters

Absage an Reichtum für wenige

Peer Steinbrück will in Deutschland für mehr Gerechtigkeit Steuergelder umverteilen. Dazu wurde auf dem Parteitag ein Wahlprogramm verabschiedet, das bei den Superreichen mehr Geld eintreiben soll. Weil in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes aber nur acht Prozent der arbeitenden Bevölkerung mehr als 100.000 Euro verdienen, soll ein ganzes Paket an Maßnahmen ergänzend die benötigten Finanzen aufbringen. Die gesamte Finanzwelt soll gezähmt und manche Bankgeschäfte gar verboten werden. Finanzspekulanten sagt Steinbrück den Kampf an. Dafür möchte er mehr in die Bildung investieren und Familien besser unterstützen. Insgesamt sieht er noch zu große Bevölkerungsteile in Deutschland sozial benachteiligt. Mieten und Energiepreise sollen deshalb staatlich geregelt bezahlbar gehalten werden.

Viele Programmpunkte kommen nicht von den Delegierten. Sie sind auch von interessierten Bürgern, die keine Parteimitglieder sind, selbst erarbeitet worden. Das soll die 150 Jahre alte Partei der Sozialdemokraten volksnäher werden lassen. Viele Besucher beim Parteitag sehen darin eine reine Show. Maren und Sven allerdings finden das eigentlich gut. Auch sie sind von dem kämpferischen und sehr aufgeräumt wirkenden SPD Kanzlerkandidaten angetan. Dabei gibt Maren zu, keine klassische SPD-Wählerin zu sein. Nur wie sich das ganze Programm finanzieren soll, ist ihnen nicht ganz klar. In der deutschen Presse wird das SPD Wahlprogramm als "Wohlfühlpaket" oder "Gerechtigkeitsattrappe" bezeichnet. Frank-Walter Steinmeier erklärt dazu im Interview mit der Deutschen Welle: "Das, was wir vorhaben, ist finanziell zu schaffen. Wir haben das alles durchgerechnet."

Junge Besucher in Augsburg Foto: DW
Wie diese jungen Leute kamen viele aus Neugier nach AugsburgBild: DW

Mehr Diplomatie für deutsche Außenpolitik

Frank-Walter Steinmeier leitet die SPD Fraktion im Bundestag, war im Jahr 2009 selbst schon einmal Kanzlerkandidat (verlor aber gegen Angela Merkel) und legt großen Wert auf eine "neue" Außenpolitik. Im Gespräch bedauert er, dass Deutschland unter der derzeitigen Bundesregierung viel Einfluss verloren habe. Auch im Nahen Osten, wo nach Vorstellungen der SPD weiter an einer "Zwei-Staaten-Lösung" gearbeitet werden soll.

Im SPD-Programm ist von der weiteren Unterstützung für den arabischen Aufbruch zu lesen. Der Türkei verspricht das verabschiedete Wahlprogramm den EU-Beitritt. Außerdem sollen ausländische Zuwanderer in Deutschland nicht mehr vor der Entscheidung stehen, sich zwischen zwei Pässen entscheiden zu müssen. Wenn Peer Steinbrück Kanzler würde, möchte er sich für die doppelte Staatsbürgerschaft einsetzen. Da sei in der Vergangenheit einiges schief gelaufen, gibt auch Steinmeier zu. Jetzt erklärt er: "Künftig müssen wir da gerade jungen Zuwanderern helfen."

Besonders in der Entwicklungspolitik müsse Europa noch deutlicher als bisher einen gemeinsamen Ansatz verfolgen. Das Ziel, für die Entwicklungshilfe mindestens 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu investieren, soll beherzter umgesetzt werden. Auslandseinsätze der Bundeswehr seien künftig sehr sorgfältig zu prüfen. "Das haben wir aber auch getan, als wir noch in der Regierungsverantwortung waren", meint Steinmeier. In jedem Fall sollen Waffenexporte der Bundesregierung bei einem Wahlsieg von SPD und Grünen streng kontrolliert werden.

Frank-Walter Steinmeier vor Beginn des Parteitages Foto: DW
Frank-Walter Steinmeier will die Außenpolitik umkrempelnBild: DW

Viele Bürger, die auf dem Parteitag eingeladen waren, teilen die Ansichten und Pläne zwar, aber ob sie wirklich umgesetzt werden, bezweifeln einige von ihnen. Vom Kanzlerkandidaten aber ließen sich die meisten überzeugen. "Der ist einfach authentisch", klingt das Urteil. Kein Wort mehr von den Pannen der vergangenen Wochen und der Kritik am Kanzlerkandidaten, dem man seine Wandlung vom gut bezahlten Vortragsredner mit klarer Orientierung zur Wirtschaft hin zum Sozialprediger nicht recht abnehmen wollte. Jetzt muss sich die positive Stimmung des Parteitags nur noch in den Wahlkampf übertragen.