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Stiftungs-Flut in Sicht?

Michael Brückner21. August 2002

Statt Erbschaftssteuer zu zahlen, wollen immer mehr Deutsche gemeinnützige Stiftungen gründen. Am 1. September tritt die Änderung des Stiftungsrecht in Kraft. Nur schöne Worte vom Staat oder Anreiz zur Großzügigkeit?

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1521 gestiftet und immer noch bewohnt: Die Fuggerei in AugsburgBild: www.fugger.com

"In Satz 2 wird das Wort 'Genehmigung' durch das Wort 'Anerkennung' ersetzt." Das, in verschiedenen Abwandlungen, ist auch schon der Kern der Novelle der Paragraphen 80 bis 84 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. "Jetzt modernisieren wir die zivilrechtlichen Rahmenbedingungen und schaffen erstmals einen Rechtsanspruch auf Anerkennung einer Stiftung", jubelte Justizministerin Herta Däubler-Gmelin. Früher hätte man sich vor deutschen Behörden fast als Bittsteller gefühlt, statt als Wohltäter willkommen geheißen zu werden.

Die viel wichtigere Änderung hat die Bundesregierung jedoch schon im Jahr 2000 vorgenommen: Das Steuerrecht wurde endlich zugunsten gemeinnütziger Stifter geändert. Immerhin 307.000 Euro kann man nun vom seinem zu versteuernden Einkommen abziehen und stiften; was darüber hinaus geht wird aber immer noch voll besteuert. Danach kann man pro Jahr nur noch 5 oder 10 % absetzen. Wer ein großes Vermögen erbt und in eine Stiftung einbringt, wird nun grundsätzlich von der Erbschaftssteuer befreit. Früher galt das nur in Ausnahmefällen.

Angst vor Steuerausfällen

Der große Wurf sei das alles nicht, findet der Bundesverband Deutscher Stiftungen. Der Staat habe einfach immer noch zuviel Angst vor Steuerausfällen, statt darauf zu vertrauen, dass er durch die schon jetzt über 35 Milliarden Euro, die jährlich von deutschen Stiftungen ausgegeben werden, viel mehr gewinnt, dass ihm Lasten abgenommen werden.

"Das Bundesrecht hilft im Stiftungsrecht sowieso kaum weiter, jedes Bundesland hat doch seine eigene Stiftungsgesetzgebung und die ist entscheidend." So Oliver Habighorst von der auf Stiftungsrecht spezialisierten Kanzlei White and Case, Feddersen in Frankfurt am Main im Gespräch im DW-WORLD. "Das bisherige Recht hat unserer Erfahrung nach auch keinen, der es wirklich wollte, davon abgebracht eine Stiftung zu gründen. Und für Unternehmen spielt selbst das Steuerrecht kaum eine Rolle, da geht es um öffentliches Ansehen."

Ohne Stiftungen läuft fast nichts

Ohne Stiftungen würde in Europa wenig funktionieren, ja es gäbe einen Großteil der europäischen Kultur überhaupt nicht. Krankenhäuser, Altenheime, Universitäten, Klöster, Museen: Alles einst aus Stiftungen hervorgegangene Einrichtungen, zum Teil seit über 500 Jahren. Wohlhabende Adlige und reich gewordene Bürger brachten einen Teil ihres Vermögens, ihre Bibliotheken, vor allem aber dauerhaft Gewinn abwerfendes Grundeigentum in eine fromme Stiftung ein. Nicht allein um Nachruhm ging es da, vor allem auch um Vorsorge: Je größer die Anzahl der Gebete und Gedenkmessen für den großherzigen Verstorbenen, desto weiter vorne steht er in der Schlange vor dem Himmelstor, so könnte man den handfesten Handel mit dem Jenseits beschreiben.

Auch der in Europa so wichtige soziale Wohnungsbau ist keine Erfindung des modernen Wohlfahrtsstaates. Dieser hat vielmehr die zunächst privaten Einrichtungen übernommen und ausgebaut. Die älteste noch heute bestehende Sozial-Siedlung der Welt, die Fuggerei in Augsburg für schuldlos verarmte Bürger katholischen Glaubens wird noch heute gemäß ihrer Satzung von 1521 verwaltet. Wer in einer der 147 Wohnungen lebt, zahlt einen "rheinischen Gulden" Jahresmiete, das entspricht etwa 0,88 Euro. Dafür ist er aber angehalten täglich dreimal für die Stifter zu beten. Bei der für heutige Verhältnisse traumhaft schönen Siedlung im Stil der Renaissance mit kleinen Gärten ist das wirklich nicht zu viel verlangt.

Viele Institutionen, vor allem Museen und Bildungseinrichtungen, aber auch Alten- und Pflegeheime, die einst aus privaten oder fürstlichen Stiftungen hervorgegangen sind, längst in staatlich Hände übergegangen. Kriege und Inflation haben oft die finanziellen Grundlagen, die zu einer privaten Weiterexistenz notwendig wären, vernichtet.

Eine Entwicklung kehrt sich um

Heute geht die Entwicklung eher wieder in die umgekehrte Richtung: Die öffentliche Hand sieht sich nicht mehr in der Lage, Kultur- und Bildungseinrichtungen ausreichend zu finanzieren, der Ruf nach Stiftern und Sponsoren wird immer lauter. Außerdem gehen zur Zeit, 57 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, die Wirschaftswunder-Kinder und –Enkel daran, gewaltige Vermögen zu übernehmen.

Langsam erst tut sich was in Richtung einer neuen "Stiftungskultur". Neidvoll blicken viele Deutsche auf Amerika, wo etwa Bill Gates vor einem Jahr gleich 21,8 Milliarden Dollar für gemeinnützige Zwecke bereitstellen wollte, und seine glückliche Stiftung vor lauter Geld gar nicht genug gute Zwecke finden konnte. Auf Rockefellers Schlittschuhbahn läuft ganz Manhattan Eis, die Getty-Stiftung in Los Angeles wird von allen Museen der Welt gefürchtet, denn deren Einkäufer können auf Kunstauktionen jeden Preis der Welt zahlen.

Nun hofft man auch in Deutschland auf die Erben und ihren Gemeinsinn: Noch in den achtziger Jahren wurden pro Jahr nur etwa 150 Stiftungen gegründet, im vergangen Jahr waren es immerhin schon 829.