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Politik

Stimmen für Abschiebestopp werden lauter

1. Juni 2017

Mindestens 90 Todesopfer, mehr als 400 Verletzte, die deutsche Botschaft in Trümmern: Der blutige Anschlag im Diplomatenviertel von Kabul hat die Diskussion um Abschiebungen nach Afghanistan neu angefacht.

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Deutschland Polizeieinsatz bei Schülerdemo gegen Abschiebung in Nürnberg
Bei einer Sitzblockade gegen eine Abschiebung in Nürnberg kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der PolizeiBild: picture-alliance/dpa/Nürnberger Nachrichten/ARC/M. Matejka

Nach dem gewaltigen Bombenanschlag nahe der deutschen Botschaft in Kabul haben Politiker von SPD und Grünen sowie Menschenrechtsgruppen verlangt, keine ausreisepflichtigen Afghanen mehr in ihr Heimatland zurückzuschicken. In Nürnberg kam es zu Tumulten, als rund 300 Menschen versuchten, die Abschiebung eines 20-jährigen afghanischen Berufsschülers zu verhindern. Dabei wurden neun Polizisten verletzt und fünf Menschen vorübergehend festgenommen. Ein Video des Vorfalls wurde auf Facebook innerhalb weniger Stunden mehr als eine Million Mal angesehen.

Bremens Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, der grausame Anschlag in Kabul mache es "zwingend, dass die Bundesregierung ihre Sicherheitseinschätzung überprüft". Ähnlich äußerte sich Bundesratspräsidentin Malu Dreyer (SPD).

"Geschönte Einschätzung der Sicherheitslage"

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, forderte einen zumindest temporären Abschiebestopp. Rückführungen nach Afghanistan seien im Augenblick "nicht zu verantworten. In diesem Land können die Menschen nirgendwo sicher leben", sagte er der "Passauer Neuen Presse".

Der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour warf der Bundesregierung Verharmlosung vor. "Der schlimmste Anschlag sei dem Fall der Taliban zeigt die Dramatik der Sicherheitslage in Afghanistan", sagte Nouripour der "Heilbronner Stimme". Es sei "zynisch, wenn die Bundesregierung ihre für Abschiebungen geschönte Einschätzung der Sicherheitslage nicht endlich korrigiert." Pro Asyl forderte einen kompletten Stopp von Abschiebungen nach Afghanistan und eine Freilassung möglicher afghanischer Abschiebehäftlinge.

Bundesregierung hält an Abschiebungen fest

Bundesinnenminister Thomas De Maizière will trotz der lauter werdenden Kritik weiter an den Abschiebungen festhalten. Ein für Mittwoch geplanter Sammelcharterflug wurde nach dem Anschlag kurzfristig abgesagt. De Maizière begründete die Entscheidung damit, dass die Mitarbeiter der deutschen  Botschaft in Kabul nach dem Anschlag Wichtigeres zu tun hätten als sich um Abschiebungen zu kümmern. Der abgesagte Flug solle aber demnächst nachgeholt werden.

Unionsfraktionsvize Stephan Harbath sagte der "Rheinischen Post", es gebe in Afghanistan "Provinzen und Distrikte, in denen die Lage vergleichsweise sehr stabil ist". Auch SPD-Innenexperte Burkhard Lischka sprach von "relativ sicheren" Gegenden in dem südasiatischen Land. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, er halte Abschiebungen nach Afghanistan für "immer noch zumutbar".

Seit Dezember 2016 wurden 106 abgelehnte afghanische Asylbewerber in ihre Heimat zurückgebracht. Mehrere Bundesländer boykottieren Abschiebungen nach Afghanistan, darunter Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.

hk/sti (dpa, kna, epd)