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Stimmungstest im deutsch-polnischen Grenzgebiet

Oliver Samson, zurzeit Frankfurt an der Oder14. Juni 2006

Deutschland trifft auf Polen. Wie ist die Stimmung vor dem Spiel dort, wo sich Deutschland und Polen am nächsten sind: In Frankfurt an der Oder. Oliver Samson hat sich umgeschaut.

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Ausflug ins Grenzgebiet: Deutscher Fußballfan in PolenBild: DW/Oliver Samson

Frankfurt an der Oder. Das Frankfurt an der polnischen Grenze. Eine Grenze, die noch eine richtige Grenze ist. Es ist zwar inzwischen auf beiden Seiten des Flusses EU, aber hier wird noch kontrolliert, Geld gewechselt. Und geschmuggelt. Auf der einen Seite ist noch alles billiger. Zigaretten und Benzin etwa. Es sind aber auch Spargel kiloweise für eine Euro zu haben. Oder ein Haarschnitt für vier.

WM 2006 - Fans - Polen
Zwischen Freude und Pessimismus - polnischer FanBild: DW/Oliver Samson

Es ist der Tag des Vorrundenspiels Deutschland gegen Polen. Der Tag, an dem für die polnische Mannschaft vielleicht das Kapitel WM 2006 beendet sein kann – durch eine Niederlage in Deutschland gegen Deutschland. Ein Tag, von dem in Deutschland schlimmes erwartet wird. Zehntausende polnische Hooligans würden sich auf den Weg machen und Deutschland zum Schlachtfeld machen, hieß es über Monate in vielen deutschen Medien.

Verstärkte Kontrollen

Unbestreitbar: Polen hat ein massives Hooligan-Problem. Das weiß auch Bernd Schobransky, Pressesprecher der Bundespolizei in Frankfurt. "Wir sind aber gut aufgestellt", versichert er. Bei der Brandenburger Polizei herrscht Urlaubssperre. Am Grenzübergang Stadtbrücke mitten in Frankfurt hängt ein Plakat, das deutsch, polnisch, englisch und spanisch informiert, dass man hier zu Gast bei Freunden sei, dass man aber auch Verständnis für verstärkte Kontrollen haben müsse.

3500 Einreisen polnischer Fußballanhänger habe man bisher für das Land Brandenburg registriert. Wie viele Hooligans waren darunter? "Das bewegt sich im Promillebereich," sagt Schobransky. Gerade mal eine Handvoll Polen habe man die Einreise verweigert, weil man den Verdacht gehabt habe, dass sie nicht nur Anfeuerung im Sinn gehabt hätten.

Übertragung im Audimax

In Frankfurt rechnet man gegen Abend mit weiteren polnischen Fans, die sich das Spiel bei einem "Public Viewing" auf der anderen, deutschen Seite anschauen wollen. Auf der polnischen Seite des Flusses, in Stubice, gibt es keine öffentlichen Leinwände. "Dafür ist einfach kein Geld da", sagt Grazyna Kiesling, vom Collegium Polonicum der Viadrina Universität in Frankfurt. Die Europa-Universität liegt direkt am Ufer der Oder, man glaubt nach Polen spucken zu können. 1400 polnische Studenten sind hier eingeschrieben. Im Audimax, dem größten Hörsaal, wird das Spiel heute Abend gezeigt. Es gibt einen privaten Sicherheitsdienst, mit Überfüllung wird gerechnet. Schon zwei Mal musste bei der WM der Einlass geschlossen werden: Beim ersten deutschen und beim ersten polnischen Spiel.

WM 2006 - Fans - Polen
Fahne und ErdbeerenBild: DW/Oliver Samson

An der Stadtbrücke in Frankfurt ist vom grassierenden WM-Fieber eher weniger zu spüren als anderswo. Einige wenige Flaggen hängen aus den Fenstern der umstehenden Häuser, sonst nichts. Auch das Verkehrsaufkommen sei völlig normal, sagt ein deutscher Zöllner. Von Rivalität, gar feindseliger, ist nichts zu spüren.

Frische Erdbeeren und Papierrossy

WM 2006 - Fans - Polen
Keine WM-Hektik an der GrenzbrückeBild: DW/Oliver Samson

Auf der polnischen Seite ist das auch nicht anders. Der 20-jährige Jacek sitzt hier vor seinem kleinen Laden. In einem Polen-Trikot, vor einer polnischen Fahne. Frische Erdbeeren gibt es bei ihm, und natürlich Papierrossy, Zigaretten. Ob er sich das Spiel in Frankfurt anschauen wird? Nein, er wolle lieber zuhause bleiben. Hoffnungen habe er ohnehin kaum. "Deutschland ist stark", sagt er. Sein Tipp: 2:0 für Deutschland. Seine Hoffnung: Die in Polen geborenen Podolski und Klose machen die Tore. Dann habe Polen irgendwie ja doch gewonnen.

Plötzlich tauchen dann doch noch ein paar jugendliche deutsche Fans auf, die schwarz-rot-goldene Fahne trotz der Bullenhitze um die Schultern geknotet. Eine gezielte Provokation bei den polnischen Nachbarn? "Nein, wir sind aus dem Ruhrgebiet", sagt Raphael. "Wir sind auf Klassenfahrt in Berlin und haben einen Ausflug nach Polen gemacht." Und die Fahnen? "Na, man muss doch zeigen, dass man zu seinem Land steht". Vor polnischen Hooligans haben sie keine Angst. Schon eher, dass der Lehrer die Zigaretten-Stangen entdeckt, mit denen sie sich eingedeckt haben. "Die Polen haben total cool auf uns reagiert – aber die glauben wirklich, dass sie heute eine Chance haben", sagt Raphael. Glaubt er das auch? "Nee. 2:0 für uns." Sie müssen aber jetzt weiter. Der Bus zurück nach Berlin wartet. Sie wollen das Spiel am Brandenburger Tor schauen.

"Wir sind sehr froh, dass sich bisher unsere günstigsten Prognosen bewahrheitet haben", sagt Polizei-Sprecher Schobransky. Man dürfe aber natürlich den Tag nicht vor dem Abend loben, die Polizei werde natürlich weiter die Situation beobachten und gegebenenfalls eingreifen.

Schobranskys Arbeitstag wird bei Anpfiff vorbei sein. Dienstschluss 19 Uhr. Das Spiel wird er sich im Polizeipräsidium mit polnischen Kollegen anschauen. Sein Tipp: 2:2.