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Nicht zum Verzehr geeignet

6. April 2011

Fukushima ist auch für japanische Landwirte eine Katastrophe. Wegen möglicher Verstrahlung muss Bauer Nomura täglich 12.000 Liter Milch vernichten. Lange kann er das nicht mehr durchhalten: Ihm droht dann die Pleite.

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Bauer Nomura darf seine Milch nicht mehr verkaufen (Foto: DW/Silke Ballweg)
Bauer Nomura darf seine Milch nicht mehr verkaufenBild: DW

Viele Kühe stehen bei Bauer Nomura im Stall. Sie sind schwarz-weiß gefleckt und stecken ihre Köpfe immer wieder zwischen den Metallstangen hindurch. Denn auf der anderen Seite auf dem Boden liegt das Futter. Nomura führt in der Kleinstadt Omitama einen Agrar-Betrieb. Vor ein paar Jahren hat sich der Bauer eine moderne Melkanlage gekauft, zweimal täglich werden die 430 Milchkühe gemolken. 24 Tiere können gleichzeitig an die computergesteuerte Melkmaschine angeschlossen werden. Sie weiß genau, wie viel Milch die Kuh am Vortag gegeben hat - und sie berechnet, wie viel Milch heute abgepumpt werden soll. Rund zweieinhalb Stunden dauert es, bis alle Kühe gemolken sind. Die Tiere produzieren insgesamt 12.000 Liter Milch, jeden Tag.

Milch zum Wegkippen

Die Kühe werden maschinell gemolken (Foto: DW/Silke Ballweg)
Die Kühe werden maschinell gemolkenBild: DW

Die Nomura Ranch befindet sich in der Stadt Omitama in der Präfektur Ibaraki, rund anderthalb Autostunden nordöstlich von Tokyo. Die Kleinstadt liegt im Landesinneren, bis zum Meer sind es 45 Kilometer. Das Erdbeben vor vier Wochen ließ auch auf Nomuras Wohnhaus einige Ziegel vom Dach fallen, doch die Schäden hat er vorerst mit einer blauen Plane abgedeckt. Der Bauer hat derzeit andere Sorgen. Denn seit dem Unfall im Atomkraftwerk darf er seine Milch nicht mehr verkaufen. „Wir müssen unsere Milch wegschütten, weil die Regierung beschlossen hat, dass keine Milchprodukte aus Ibaraki konsumiert werden dürfen." Kurz nach dem Unfall in Fukushima habe man die Milch in der Gegend getestet, damals sei in der Tat Radioaktivität gefunden worden. Doch Bauer Nomura sagt, seine Milch sei in Ordnung, schließlich grasen seine Kühe nicht auf der Weide, sondern stehen im Stall. "Aber trotzdem muss ich die Milch vernichten", sagt er traurig.

Ein zerstörtes Idyll

Die Präfektur Ibaraki grenzt direkt an das Erdbebengebiet, das Atomkraftwerk Fukushima liegt 160 Kilometer weiter nördlich. Ibaraki ist eine landwirtschaftlich geprägte Gegend: Melonen, Gemüse Schweinefleisch und Milch werden hier produziert. 1972 hat Nomura den Hof von seinem Vater übernommen und seither zu einem landwirtschaftlichen Großbetrieb ausgebaut. Den leitet er heute mit 15 Angestellten. Zum Arbeiten hat sich Nomura einen Blaumann über seine Kleidung gezogen. Um den Kopf hat er sich ein kleines weißes Handtuch gebunden. Das machen in Japan viele Arbeiter, denn das Handtuch saugt den Schweiß auf.

Auf Nomuras Hof stehen mehrere Traktoren und Anhänger, er hat eine überdachte Scheune gefüllt mit Stroh, Hunde streunen zwischen den Hallen hin und her. Nomura ist ein sympathischer selbstbewusster Mann, der gerne und gut redet. Wenn er lacht, und das tut er oft, verengen sich seine Augen zu kleinen Schlitzen. Weil er so selten Gelegenheit hat, Ausländer zu treffen, wolle er auch einiges von mir wissen, sagt er während unseres Treffens: Und dann fragt er, welche Rechte die einzelnen Bundesländer in Deutschland haben? Wo die Nahrungsmittel der Deutschen produziert werden? Und ob Politiker ein gutes Ansehen haben? Nomura liest viel Zeitung, das merkt man, und er verfolgt mit Interesse die japanische wie auch die internationale Politik.

Lange verkraftet Nomuras Hof das nicht

Bauer Nomura muss jeden Tag 12.000 Liter Milch vernichten (Foto: DW/Silke Ballweg)
Bauer Nomura muss jeden Tag 12.000 Liter Milch vernichtenBild: DW

Der 67-jährige versteht, dass es in der derzeitigen Situation unmöglich ist festzustellen, welcher der 600 großen Bauernhöfe der Präfektur Ibaraki von der Radioaktivität bedroht ist und welcher nicht. Aber trotzdem bleibt er dabei: Seine Milch sei unbedenklich und führt ein weiteres Argument an: "Das Futter kommt aus den USA und aus Kanada. Meine Kühe stehen überdacht, sie kriegen also nichts vom Regen ab, selbst wenn der radioaktiv belastet wäre. Es gibt keinen Grund für Angst vor Strahlung in meiner Milch und es wurde ja auch keine gemessen."

Resigniert sagt Nomura, er könne nichts machen, die Regierung habe entschieden. Doch ohne den Erlös aus der verkauften Milch sei er in drei Monaten jedoch pleite, rechnet Bauer Nomura vor. Denn die laufenden Kosten für den Hof lägen bei 300.000 Euro im Monat. Normalerweise holt ein Molkereibetrieb zweimal täglich die frische Milch von Nomuras Hof ab. Aber nun muss der Bauer die 12.000 Liter jeden Tag vernichten. Nomuras Sohn Eiichi schließt dafür zunächst einen Schlauch an den Kühltank an, in dem die Milch nach dem Melken aufbewahrt wird. Dann pumpt er die Milch in einen anderen Tank, der hinten an den Traktor angehängt ist. Bevor die Milch abgepumpt ist, schöpft Eiichi mit einem Plastikeimer noch schnell einige Liter für sich und die Familie. Er reicht mir eine kleine Porzellantasse zum Probieren. Im ersten Moment erschrecke ich mich und denke, das ist doch gefährlich. Aber Eicihi lächelt mir aufmunternd zu und so führe ich die Tasse schließlich zum Mund und trinke.

Ein unglaublicher Anblick

Kurz darauf ist die gesamte Milch in den anderen Tank gepumpt und Eiichi setzt sich auf den Traktor, hinter das große Lenkrad. Mit der rechten Hand klopft er neben sich, auf den metallenen Radkasten. Er bedeutet mir, dass ich aufsteigen soll. Und so schwinge ich mich hoch auf den Traktor und setze mich neben ihn. Langsam biegen wir mit dem Anhänger vom Hof, fahren ein paar hundert Meter die Straße entlang und holpern anschließend auf ein Feld.

Hier bauen die Nomuras normalerweise Mais an. Nun legt Nomura einen Hebel um. Damit öffnet er den Tank: In einer großen, rund acht Meter breiten Fontäne schießt die weiße Milch aus dem Metalltank in hohem Bogen auf das Feld. Wir fahren eine Strecke von rund 150 Metern auf dem Acker, dann sind die 6000 Liter aus dem Tank auf dem Feld versprüht. Ein unglaublicher, fast überwältigender Anblick! Ich erinnere mich an den Geschmack der Milch, die ich kurz zuvor noch im Mund gehabt hatte. Sie schmeckte frisch und kühl...

Autorin: Silke Ballweg
Redaktion: Birgit Görtz/Martin Muno