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Strategiewechsel bei Euro-Rettung

Peter Stützle30. April 2012

Präsidentschaftsbewerber Hollande will den Fiskalpakt neu verhandeln. Das gefährdet die Politik der Kanzlerin zur Eindämmung der Schuldenkrise. Doch Merkel kontert.

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Angela Merkel neben EU-Fahne (Foto: rtr)
Bild: REUTERS

Die Einigung auf einen Fiskalpakt zum Abbau der Staatsverschuldung in den Euro-Ländern beim letzten EU-Gipfel im März war ein Triumph für die deutsche Bundeskanzlerin. Seitdem aber bläst Angela Merkel in Europa und im eigenen Land immer stärker der Wind ins Gesicht. In einigen südeuropäischen Ländern mehren sich die Proteste gegen rigide Kürzungen, in den Niederlanden ist eine Koalition mit den Rechtspopulisten an einem Sparhaushalt gescheitert, und in Frankreich fordert der in Umfragen führende Präsidentschaftsbewerber François Hollande sogar, den Fiskalpakt neu zu verhandeln.

So weit geht die deutsche Opposition mit Ausnahme der Linkspartei zwar nicht. Aber SPD und Grüne wollen den Fiskalpakt durch ein Wachstumspaket ergänzen, und sie fordern ein klares Bekenntnis der Bundesregierung zu einer Finanztransaktionssteuer.

Die Kanzlerin braucht die Opposition

Für Merkel ist der innenpolitische Widerstand sogar das größere Problem. Weil der Fiskalpakt in die Etathoheit der nationalen Parlamente eingreift, ist für seine Ratifizierung in Deutschland eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag sowie in der Länderkammer, dem Bundesrat, erforderlich. Die Kanzlerin ist also auf die Zustimmung von zumindest einem Teil der Opposition angewiesen. Würde es ihr nicht gelingen, den Fiskalpakt im eigenen Land zu ratifizieren, bräuchte sie auf europäischer Ebene erst gar keine Forderungen mehr zu stellen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel und Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin unterhalten sich im Bundestag (Foto: dpa)
Stellen Forderungen: SPD-Chef Sigmar Gabriel (l.) und Grünen-Fraktionschef Jürgen TrittinBild: picture alliance/dpa

Indem Merkel nun mit dem Angebot einer Euro-Wachstums-Agenda den Forderungen Hollandes entgegenkommt, kann sie auch die Opposition im Lande besänftigen. Dabei wahrt sie gegenüber den Partnern in der EU eine rote Linie, die auch Sozialdemokraten und Grüne bei der Bundestagsdebatte über den Fiskalpakt bekräftigt hatten: Eine europäische Wachstumspolitik darf den Fiskalpakt nicht aufweichen. Das Ziel, die Schulden im Euro-Raum nicht immer weiter zu steigern, sondern langfristig abzubauen, darf nicht aufgegeben werden.

Wachstum auf zwei Säulen

Was von der Wachstumsagenda bisher in Umrissen erkennbar ist, ruht auf zwei Säulen. Eine hat Angela Merkel am Wochenende gegenüber der Leipziger Volkszeitung genannt: Die Möglichkeiten der Europäischen Investitionsbank, wachstumsfördernde Maßnahmen zu finanzieren, sollen verbessert werden. Wie das geschehen soll, ohne auf Umwegen doch die Staatshaushalte zu belasten, ist aus den bisherigen Äußerungen aber noch nicht erkennbar.

Die Flaggen der EU-Mitgliedsländer wehen vor dem Gebäude der Europäischen Investitionsbank (Foto: dpa)
Die Europäische Investitionsbank in LuxemburgBild: picture-alliance/ dpa

Zur zweiten Säule sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Link (FDP), der "Stuttgarter Zeitung", der nächste Haushalt der Europäischen Union solle stärker auf Wachstum ausgerichtet werden. Dieser Etat wird 2014 für einen Zeitraum von sieben Jahren aufgestellt. Von dessen Volumen von einer Billion Euro stünden 40 bis 45 Prozent für Strukturfonds zur Verfügung, sagte Link. Bereits seit dem letzten EU-Gipfel können die Strukturfonds flexibler eingesetzt werden, weil die Regeln, wie viel ein Staat bei Investitionen aus eigenen Mitteln mitfinanzieren muss, für die Krisenländer gelockert wurden.

Die Wachstumsagenda, die Merkel jetzt angekündigt hat, ist offenbar keine rein deutsche Initiative. So liegt bereits ein gemeinsamer Vorschlag mit Frankreich, Italien, Österreich, Finnland, den Niederlanden und Schweden vor, wie die Strukturgelder künftig zielgerichteter eingesetzt werden können. Nach Merkels Angaben sollen die Vorschläge zur Wachstumsförderung bis zum nächsten EU-Gipfel am 28. Juni in ein Paket geschnürt und dort beschlossen werden. In einen solchen Beschluss wäre ein möglicher französischer Staatspräsident Hollande bereits eingebunden.

Berlin will Fiskalpakt bis zum Sommer ratifizieren

Die deutschen Sozialdemokraten erklärten nach Merkels Ankündigung, nun sei der Plan der Koalitionsparteien nicht mehr zu schaffen, Ende Mai im Bundestag über den Fiskalpakt abzustimmen. Das war allerdings schon vorher allen Beteiligten klar. Die Koalitionsparteien wollen aber, anders als die Opposition, auch nicht erst nach der Sommerpause abstimmen. Angesichts des schwierigen Ratifizierungsprozesses in manchen anderen EU-Staaten möchte die Bundesregierung möglichst früh in Vorlage gehen. Denkbar wäre eine Abstimmung in der ersten Juli-Woche, unmittelbar nach dem EU-Gipfel. Da hat der Bundestag zu Beginn der Parlamentsferien ohnehin noch eine Reserve-Sitzungswoche vorgemerkt.

Bis dahin ließe sich vermutlich auch noch die zweite Vorbedingung der Opposition für ihre Zustimmung zum Fiskalpakt erfüllen: das klare Bekenntnis der gesamten Bundesregierung zu einer europäischen Steuer auf Finanzgeschäfte. Bisher hat sich der liberale Teil der Regierung gesperrt. Aber der FDP-Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein, Wolfgang Kubicki, hat sich vor wenigen Wochen für die Finanztransaktionssteuer ausgesprochen. Mit dieser und anderen eigenständigen Positionen ist es Kubicki gelungen, die Liberalen in seinem Bundesland von einer aussichtslos erscheinenden Lage wieder auf Umfragewerte von bis zu sieben Prozent zu heben. Sollte sich dieser Trend bei der Landtagswahl am 6. Mai bestätigen, könnte es der FDP auch auf Bundesebene leichter fallen, Ja zur Transaktionssteuer zu sagen.

Der französische Präsidentschaftskandidat Hollande hebt siegesgewiss seine Hände (Foto: dapd)
Merkel will ihn einbinden: Präsidentschaftskandidat François HollandeBild: dapd

Am selben Tag wie Kubicki im deutschen Norden stellt sich in Frankreich François Hollande den Wählern. Hollande wertet Merkels Äußerungen bereits als Erfolg seines Wahlkampfes. Gegenüber dem Sender "Radio J" sagte er zwar, er rechne damit, dass sich Merkel nach der Stichwahl "noch einmal bewegen" wird. Tatsächlich aber dürfte es ihm nach Merkels Entgegenkommen bei der Wachstumsförderung leichter fallen, von Maximalforderungen herunterzukommen, wenn der Wahlkampf erst vorbei ist.