1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Neubau des größten Pumpspeicherwerk Deutschlands umstritten

6. Dezember 2010

Während die einen es als das größte Klimaschutzprojekt Deutschlands feiern, vermuten andere sinnlose Naturzerstörung dahinter. Der Neubau des Pumpspeicherwerks Atdorf im Schwarzwald zeigt die Probleme der Energiezukunft.

https://p.dw.com/p/Q5oK
Simulation für das neue Oberbecken Hornbergbecken II (Foto: Schluchseewerk AG)
Ein neuer See im Lande? Simulation des Oberbeckens für das geplante KraftwerkBild: Schluchseewerk AG
Bergkuppe Abhau (Foto: Richard Fuchs)
Wird ihm sein Name zum Verhängnis? Die Bergkuppe des Abhaus soll für das neue Kraftwerk "abgehauen" werdenBild: DW/R. A. Fuchs

Noch ist der Abhau ein echter Berg. Einer, wie er in der Hügellandschaft des Südschwarzwalds nahe der Deutsch-Schweizer Grenze typisch ist. Rund 1000 Meter über dem Meeresspiegel liegt seine Bergkuppe, rechts und links schweift der Blick über dunkle Fichtenwälder und grüne Weiden. Schon in weniger als zehn Jahren könnte der Abhau aber ein ganz anderer Berg sein - zumindest die Bergkuppe würde einem gigantischen Kunstsee weichen. 1,1 Kilometer lang soll dieser Stausee werden, eingerahmt durch einen vierzig Meter tiefen Betonring. Das Oberbecken wäre Teil eines Pumpspeicherwerks, das durch meterdicke unterirdische Rohre mit einem tief im Tal liegenden Unterbecken verbunden wird. Unten würde das heute idyllische Haselbachtal mit Staumauern verbarrikadiert und vollständig geflutet.

Neun Millionen Kubikmeter Wasser sollen dann abwechselnd zwischen Ober- und Unterbecken hin und her gepumpt werden. In Zeiten, in denen zuviel Strom im Netz ist, könnte die überschüssige Energie dadurch gespeichert werden, dass Wasser mit billigem Strom ins Oberbecken gepumpt wird. In Momenten, in denen Strom knapp ist, soll das Wasser dann 600 Höhenmeter tief durch die Rohre hinabfallen und eine Turbine antreiben, die mit einem Generator Strom ins Netz zurückspeist. Mit 1.400 Megawatt maximaler Leistung, in etwa die Größenordnung eines Atomkraftwerkes, könnte das tief im Inneren des Gneis- und Granitfelsen errichtete Kraftwerk binnen Sekunden Strom ins Netz bringen - oder wenn das Wasser den Berg hinauf gepumpt wird, verbrauchen (siehe Infografik).

Gigantische Batterie oder Naturzerstörung XXL?

Grafik der Planung Pumspeicherwerk Atdorf (Grafik: Schluchseewerk AG)
2019 soll das Pumpspeicherwerk Atdorf so aussehen: der Unterwassertunnel hat nach aktueller Planung einen Durchmesser von neun Metern.Bild: Schluchseewerk AG

Damit wird das Pumpspeicherwerk Atdorf, so hofft der Bauherr Schluchseewerk AG, zu Deutschlands größter Batterie. Über eine Milliarde Euro will das Unternehmen investieren, das zu 87,5 Prozent den beiden deutschen Stromriesen RWE und EnBW gehört. Und das, so das vorgetragene Kalkül, vor allem um den Ausbau der erneuerbaren Energien wie Windkraft und Fotovoltaik zu beflügeln. Deren stark schwankende Stromproduktion (nachts eher der Windstrom, tags der Sonnenstrom) müsse zwischengespeichert werden, weil Angebot und Nachfrage nie übereinstimmten. "Mit Atdorf leistet die Region Südschwarzwald einen nennenswerten Beitrag zum Umbau der Stromversorgung hin zu erneuerbaren Energien", sagt Projektleiter Andreas Schmidt, ein schlaksiger Ingenieur mit hoher Stirn und kleinem Kinnbart. Das neue Kraftwerk Atdorf stelle die derzeit effizienteste Lösung der Energiespeicherproblematik dar, sagt Schmidt. "Wir haben einen Wirkungsgrad von 75 bis 80 Prozent, das heißt, wenn Sie in dieses Kraftwerk 100 Kilowattstunden zur Speicherung bringen, dann kriegen sie wieder 75 bis 80 Kilowattstunden heraus." Bis zur völligen Entleerung des Oberbeckens kann - theoretisch zumindest - zehn Stunden am Stück Strom erzeugt werden, für mehr als eine Million Haushalte, rechnet der Projektleiter vor.

Klaus Stöcklin (links) und Jürgen Pritzel (Foto: Richard Fuchs)
Ein Team gegen Naturzerstörung: Klaus Stöcklin (links) und Jürgen Pritzel sind Mitglieder der BürgerinitiativeBild: DW/R. A. Fuchs

Doch was Andreas Schmidt als eines der größten Klimaschutzprojekte Deutschlands preist, ist für Jürgen Pritzel eine Naturzerstörung im Großmaßstab und ein energiepolitischer Irrlauf. Er und die Mitglieder der "Bürgerinitiative zum Erhalt des Abhaus und des Haselbachtals" kämpfen seit der Veröffentlichung der Baupläne 2008 gegen das Projekt. Die Staubecken zerstörten nicht nur eine einmalige Berglandschaft, sondern gefährdeten auch die regionale Trinkwasserversorgung und den naturnahen Tourismus, so ihr Vorwurf: "Wenn der Oberboden innerhalb eines halben Jahres abgebaut werden soll, dann werden hier jeden Tag 270 Lkw's hin und herfahren", sagt der graumelierte Mitt-Vierziger. Er leitet im Nachbarort ein Ingenieurbüro und hat sich dem Naturschutz verschrieben. Über 40 vom Aussterben bedrohte Tiere und Pflanzen würden ihrer Heimat beraubt, zudem gefährde das geplante Unterbecken die Heilquellen des nahe gelegenen Kurortes Bad Säckingen, auch wenn dies von den Bauherren bestritten werde.

Grün gegen grün - oder grün gegen Großkonzern?

Jürgen Pritzel steht am Abschluss des Haselbachtals, dort wo nach fünf Jahren Bauzeit, viel Lärm und unendlich Staub Deutschlands größte Staumauer stehen soll - mit 70 Metern sichtbarer Höhe. Ein wenig verbittert denkt er über die Naturzerstörung eines ursprünglichen Hotzenwaldtals nach. Die Wut packt ihn aber, wenn ihm unterstellt wird, sein Widerstand spiegle einen Konflikt zwischen lokalem Naturschutz auf der einen und dem globalen Klimaschutzgedanken auf der anderen Seite wieder. Auch er sei Klimaschützer, sagt er, doch das hier vorangetriebene Großprojekt strebe vor allem eine Gewinnoptimierung der im Hintergrund stehenden Energiekonzerne RWE und EnBW an. Selbst unabhängige Studien sagten, so Pritzel, dass vor allem ihre bestehenden Kraftwerke durch das neue Pumpspeicherwerk besser ausgelastet und somit profitabler würden. Weil aber der bestehende Kraftwerkspark der beiden Energiekonzerne hauptsächlich aus Atom- und Kohlekraftwerken bestünde, ist für den Naturschützer klar: hier soll schmutziger Großkraftwerksstrom grün gewaschen werden. Bei den Befürwortern geht man davon aus: je grüner der deutsche Strommix, desto CO2-freundlicher werde auch das eigene Pumpspeicherwerk.

Hotzenwald im Nebel (Foto: Richard Fuchs)
Der Hotzenwald im Frühnebel. Die Bewohner der früher ärmlichen Bergregion sind stolz auf ihre Natur.Bild: DW/R. A. Fuchs

Mit Blick auf eine Hochglanzgrafik der Bauherren will Jürgen Pritzel seine Behauptung untermauern. Das Kraftwerk sei, trotz seiner gigantischen Naturzerstörung, viel zu klein: "Atdorf ist als Tagesspeicher geplant, also als Pumpspeicherwerk, dass tägliche Schwankungen ausgleichen kann." Weil es aber in Zukunft vor allem an Langzeitspeichern fehle, die Energie über mehrere Tage oder Wochen speichern könnten, sei Atdorf der falsche Anfang für eine Energiewende. Projektleiter Schmidt beruft sich auf die gleiche Gutachtergrundlage, kommt aber zum gegensätzlichen Schluss: "Bis im Jahre 2050 brauchen wir vor allem Kurzfristspeicherung". Für Jürgen Pritzel eine Lüge - und dass ihre Heimat dafür zerstört werden soll, will die Bürgerinitiative nicht akzeptieren. "Zum anderen ist diese Anlage für Windstrom viel zu weit von den Küsten weg", sagt Pritzel. Mit der gegenwärtigen Netzleitungstechnik produziere ein 1000-Kilometer-Stromtransport bereits 25 Prozent Verlust, rechnet Energie- und Gebäudeberater Pritzel vor. "Die Pumpspeicherei selber bringt vom Rest noch mal 25 Prozent Verlust, da ist am Schluss nur noch die Hälfte dessen verfügbar, was an Strom losgeschickt wurde." Pritzel und seine Bürgerinitiative plädieren statt des Großprojekts zunächst für einen massiven Ausbau der Netzinfrastruktur und der Grenzkuppelstellen zwischen europäischen Ländern, so dass Strom, je nach Bedarf, besser verteilt werden könne. Weil Wind schon heute gut vorhersagbar sei, stelle sich dann in den kommenden Jahren die Speicherproblematik gar nicht. Tausende Unterschriften haben sie deshalb schon gegen den Neubau gesammelt, 1000 Einwände den Behörden vorgelegt. Schon heute sei der Südschwarzwald eine "Energielandschaft", zerschnitten durch Höchstspannungsleitungen, zerteilt durch Staubecken, Dämme und verunsichert durch drei Atomkraftwerke direkt hinter der Schweizer Grenze.

Sind die Schattenseiten der Energiewende beherrschbar?

Projektleiter Andreas Schmidt und Öffentlichkeits-Mitarbeiterin Julia Liebich im Kavernenkraftwerk Säckingen (Foto: Richard Fuchs
Ein Team für die Pumpen: Projektleiter Andreas Schmidt und PR-Mitarbeiterin Julia Liebich im Kraftwerk SäckingenBild: DW/R. A. Fuchs

Doch die Bauherren von der Schluchseewerk AG, die mit einem System von 14 Staubecken und fünf Kraftwerken bereits seit über 80 Jahren Pumpspeicherwerke in der Region betreiben, haben eine breite Koalition geschmiedet. Lokalpolitiker befürworten das Projekt, ebenso wie der EU-Energiekommissar und zahlreiche Gutachter-Institute. Eingriffe in die Landschaft würden unvermeidlich sein, heißt es dort. "Wir erleben im Moment eine Renaissance der Pumpspeicherung", sagt daher Projektleiter Schmidt selbstbewusst. Und schmettert die Vorschläge der Bürgerinitiative ab, statt des Neubaus ausgedehnte Stauseesysteme in Norwegen und Schweden zur Speicherung deutschen Stroms zu nutzen. "Wir können nicht unsere ganzen Speicherprobleme exportieren." Der Bauherr hat umfangreiche Ausgleichsmaßnahmen angekündigt, beispielsweise plant er derzeit für betroffene Gemeinden eine neue Trinkwasserversorgung, verspricht Steuereinnahmen in Millionenhöhe für umliegende Gemeinden und keine Gefährdung bestehender Naturschutzgebiete. Die Bürgerinitiative reagiert mit einer Großdemonstration.

Noch existiert das neue Riesen-Pumpspeicherwerk nur im Kopf, noch beratschlagen lokale Behörden über die Genehmigung. Der Bauherr drückt aufs Tempo, denn am 31.12.2019 läuft eine lukrative staatliche Zulage für Pumpspeicherwerke aus. Gut zehn Millionen Euro im Jahr könnte diese indirekte Subvention (die so genannte Netznutzungsentgeltbefreiung) dem Betreiber Jahr für Jahr in die Kasse spülen. Kein Wunder, das der geplante Baubeginn 2013 auf jeden Fall gehalten werden soll. Vorerst bleibt im Haselbachtal aber alles so, wie es immer war. Jetzt legt sich jeden Tag Raureif auf die Blätter, das Wasser eines kleinen Bergbachs ist das einzige, was die Stille durchbricht. Wird Deutschlands größte Batterie gebaut, dürfte dieses stille Plätschern aber einem großen Rauschen weichen.

Autor: Richard A. Fuchs
Redaktion: Rolf Wenkel