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Interpretationshoheit

Christoph Hasselbach5. Juli 2012

Eine Woche nach dem Krisengipfel der Europäischen Union in Brüssel gehen die Interpretationen der Ergebnisse weit auseinander. Wer hat gewonnen? Was sind die Ergebnisse wert? Einer jedenfalls ist rundum zufrieden.

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Merkel und Monti reden ernst miteinander (Foto: AP)
Merkel und MontiBild: AP

Tenor der Berichterstattung nach dem EU-Gipfel am 28. und 29. Juni war, dass die Südländer Bundeskanzlerin Angela Merkel unter Druck gesetzt und damit wichtige Zugeständnisse erreicht haben. Unterstützt vom französischen Präsidenten François Hollande soll vor allem Italiens Ministerpräsident Mario Monti gedroht haben: Wenn Italien und andere gefährdete Länder nicht leichter Geld von den Rettungsfonds bekämen, wollte er dem Wachstumspakt seine Zustimmung verweigern. Unter-Druck-Setzen war noch das harmlosere Wort. Vor allem in deutschen Medien war auch oft von Erpressung die Rede. Entsprechend gereizt war die Stimmung. Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagte am Dienstag (03.07.2012) vor dem Europaparlament, ihm habe es überhaupt nicht gefallen, dass sich manche Gipfelteilnehmer als Sieger über andere hingestellt hätten. 

Freunde oder Rivalen?

Sollte es zwischen Monti und Merkel gekracht haben, so war davon bei ihrem Zweiertreffen am Mittwoch in Rom jedenfalls nichts mehr zu spüren. Beide gaben sich betont freundschaftlich. Die Kanzlerin meinte lapidar: "Bis jetzt ist es mir immer gelungen, mit Mario Monti eine Einigung zu finden, wo immer das notwendig war." Das Wort "notwendig" zeigte aber offenbar, dass sich Merkel die Zugeständnisse hart abringen musste. Sie begründete dann auch, worin ihrer Meinung nach diese Notwendigkeit besteht. "Wenn es unseren Nachbarn in Europa wirtschaftlich nicht gutgeht, geht es auch Deutschland auf lange Sicht nicht gut." Durch den hohen Exportanteil in die Euro-Länder liege es "im deutschen Interesse, dass auch alle anderen Länder eine gute wirtschaftliche Entwicklung haben."

Merkel und Monti lächelnd (Foto: AP)
Merkel und Monti: vorher - nachherBild: AP

Zu wenig, zu langsam

Das Europaparlament hat die Gipfelergebnisse zwar überwiegend begrüßt. Doch auch hier sieht man es sehr kritisch, wie unterschiedlich sie ausgelegt werden. Nach der Abstimmung im Parlament dazu am Mittwoch (04.07.2012) sagte etwa Rebecca Harms, die Vorsitzende der Grünenfraktion: "Wir sammeln die Scherben auf, die nach dem Gipfel durch die verschiedenen Interpretationen angerichtet worden sind." Jetzt gelte es, nicht nur das Vertrauen von Märkten zurückgewinnen, sondern auch das der Bürger. "Im Süden besteht Angst vor einem Absturz, im Norden, das Ersparte zu verlieren."

EU-Parlamentsabgeordnete bei der Abstimmung im Plenarsaal (Foto: Reuters)
Wollen schnelle Fortschritte in der Krisenpolitik: die Abgeordneten des EU-ParlamentsBild: picture-alliance/dpa

Praktisch quer durch die Parteien mit Ausnahme der Euroskeptiker besteht im Parlament aber auch der Eindruck, dass der Gipfel zwar in die richtige Richtung marschiert ist, aber das zu langsam. Harms zeigte sich frustriert, "dass wir in der Politik bisher immer nur minimale Schritte vorwärtsgehen, dass wir immer hinter der Krise bleiben." Hannes Swoboda, Fraktionsvorsitzender der Sozialisten, glaubt sogar: "Beim Gipfel wurde die Arbeit nicht erledigt. Wir brauchen jetzt Vorschläge der Kommission, um mit der wirklichen Arbeit zu beginnen."

Das ewige Thema Eurobonds

Welche Arbeit das sein soll, darin sind sich zumindest Grüne, Sozialisten und Liberale, aber auch ein Teil der Christdemokraten einig: Mehr Europäisierung der Kontrolle der Haushalte, der Banken, aber – und das ist der große Streitpunkt – eben auch der Haftung. Wogegen sich Bundeskanzlerin Merkel auch bei diesem Gipfel erfolgreich gestellt hat, das fordert ausdrücklich Liberalen-Fraktionschef Guy Verhofstadt, nämlich Gemeinschaftsanleihen, meist Eurobonds genannt. Warum Europa sie seiner Meinung nach braucht, das erläuterte er an einem Zahlenvergleich: "In der Eurozone zahlen wir durchschnittlich mehr als fünf Prozent bei einer durchschnittlichen Staatsverschuldung von 88 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In den USA zahlen sie zwei Prozent bei mehr als 100 Prozent öffentlicher Verschuldung." Für Verhofstadt sind alle Maßnahmen "halbherzig", die zum Beispiel das Thema gemeinsame Schuldenhaftung ausklammern.

Draghi vor Euro-Zeichen Photo: dapd
EZB-Präsident Draghi: immer die Ruhe!Bild: dapd

Der Widerstand wächst

Doch die Chancen dafür stehen schlecht. Gerade indem die deutsche Regierung Zugeständnisse an anderer Stelle gemacht hat, scheint sie die Forderung nach Gemeinschaftsanleihen fürs erste abgewehrt zu haben. Und schon bei den jetzigen Gipfelbeschlüssen spürt die Kanzlerin heftigen Widerstand: Er kommt aus den eigenen Regierungsfraktionen, er könnte vom Bundesverfassungsgericht kommen, und er kommt auch aus Finnland und den Niederlanden, wo jeder Eindruck, Staaten könnten zu leicht an Hilfe kommen, sehr kritisch gesehen wird. Einer jedenfalls betrachtet den Gipfel auch nach einer Woche ausgesprochen positiv. Und das ist Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank. Bei der Pressekonferenz, in der er die Zinssenkung auf 0,75 Prozent begründete, lobte er, einer der Gründe für den Gipfelerfolg sei, dass die Staats- und Regierungschefs gezeigt haben, dass dies eine Währungsunion ist, die halten soll."

Euro-Chef Jean-Claude Juncker und Frankreichs Präsident François Hollande beim Gipfel (Foto: dapd)
Lieber Italien statt Deutschland? Frankreichs Präsident Hollande (l.)Bild: AP

Draghi rät auch dazu, sich von den Märkten nicht unter Druck setzen zu lassen, wenn es um institutionelle Reformen geht. Hintergrund ist, dass die Rettungsfonds in Zukunft auch Banken helfen können, aber erst dann, wenn eine einheitliche europäische Bankenaufsicht steht. Viele meinen, dann könne es für manche Banken oder Staaten zu spät sein. Draghi beruhigt: "Ich würde die Notwendigkeit, die Dinge schnell zu machen, nicht überdramatisieren. Es ist besser, etwas gut zu machen." Die Worte sind sicher Balsam auf viele europäische Politikerseelen. Denn es ist wie beim Gipfel davor: Nach kurzer Zeit der Entspannung steigen die Zinsen für Staatsanleihen der schwachen Länder wieder in gefährliche Höhen.