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Streit um ThyssenKrupp-Stahlwerk

Mirjam Gehrke16. November 2012

Das ThyssenKrupp-Stahlwerk bei Rio galt einst als Vorzeigeprojekt. Doch Umwelt- und Gesundheitsschäden in der Umgebung sorgen seit Jahren für Negativschlagzeilen. Auch in Deutschland regt sich Protest.

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ARCHIV - Das gesamte Werksgelände des neuen Stahl- und Hüttenwerkes von ThyssenKrupp an der Sepetiba-Bucht bei Rio de Janeiro (undatierte Aufnahme). Der größte deutsche Stahlhersteller ThyssenKrupp zieht personelle Konsequenzen aus den Milliarden-Verlusten in den neuen Stahlwerken in Brasilien und den USA. Der Konzern musste Abschreibungen von 2,1 Milliarden Euro vornehmen und rutschte deshalb im vergangenen Geschäftsjahr tief in die roten Zahlen. Foto: ThyssenKrupp dpa/lnw +++(c) dpa - Bildfunk+++
Brasilien Deutschland ThyssenKrupp-Stahlwerk bei Rio de JaneiroBild: picture-alliance/dpa

Es war ein Prestigeprojekt für beide Seiten: Auf dem Höhepunkt des weltweiten Stahlbooms wollte ThyssenKrupp in Brasilien günstig für den Export produzieren. Brasilien wiederum freute sich über die größte ausländische Privatinvestition seit vielen Jahren. Sie sollte tausende Arbeitsplätze schaffen und das Land "zur viertgrößten Volkswirtschaft der Welt" machen, so der damalige Präsident Lula da Silva bei der Einweihung von TK-CSA im Jahr 2010.

Doch die Rechnung ist nicht aufgegangen. Der Ausflug nach Übersee hat ThyssenKrupp Verluste in Milliardenhöhe beschert. Und das Werk in der Bucht von Sepetiba steht in der Kritik von Umwelt- und Klimaschützern. Bau und Betrieb des Stahlwerks, so Katja Mauerer von Medico International im DW-Interview, würden begleitet "von ständigen Unfällen und Verseuchungen, die aber stets von der Niederlassung in Brasilien bestritten werden".

Die deutsche Hilfsorganisation wirft der brasilianischen Niederlassung von ThyssenKrupp (TKCSA)  eine "Politik der kontinuierlichen Verharmlosung" im Zusammenhang mit mutmaßlichen gesundheits- und umweltschädlichen Folgen des Stahlwerkes in der Bucht von Rio de Janeiro vor. Tausende Fischer haben ThyssenKrupp auf Entschädigung verklagt: Durch die Bau- und Baggerarbeiten in der Bucht seien im Boden gebundene giftige Schwermetalle freigesetzt und die Mangrovenwälder zerstört worden, so der Vorwurf der Fischer. "ThyssenKrupp sagt, das seien alte Umweltschäden", kritisiert Katja Maurer.  

Luis Carlos Oliveira ist einer von 800 Fischern, die in der Bucht von Sepetiba bei Rio de Janeiro ihre Existenz verloren haben. Sie machen das Stahlwerk von Thyssen-Krupp dafür verantwortlich. (Foto: DW/A. Pellacini)
Der Fischer Luis Carlos Oliveira hat seine Lebensgrundlage in der Bucht von Sepetiba verlorenBild: DW

Silberregen rund um das Stahlwerk

Der letzte Zwischenfall ereignete sich Anfang November. Nicht zum ersten Mal entwichen aus dem Stahlwerk große Mengen Graphitstaub, der als sogenannter Silberregen in der Umgebung der Fabrik niederging. Gegenüber der DW erklärte ein Sprecher von ThyssenKrupp dazu: "Eine Untersuchung durch das Unternehmen hat ergeben, dass der Staub durch starke Windböen vom Werksgelände abgeweht worden ist, wahrscheinlich von den Schlackenhalden." Normalerweise seien "regelmäßige Reinigungsmaßnahmen und das permanente Befeuchten" der Schlackehalden "ausreichend, um ein Verwehen des Staubes zu vermeiden. Die starken Windböen an diesem Dienstagvormittag haben in Verbindung mit den sehr hohen Temperaturen in Brasilien dazu geführt, dass trotz dieser Maßnahmen Graphit zusammen mit Erde und Staub abgeweht werden konnte. Die Emissionen sind nicht gesundheitsgefährdend", heißt es in der Stellungnahme des Konzerns weiter.

Pressesprecherin Medico International - Katja Maurer
Katja Maurer von Medico InternationalBild: medico

Diese Einschätzung teilen die Umweltbehörden von Rio de Janeiro allem Anschein nach nicht. Der regionale Umweltminister Carlos Minc drohte der Thyssen-Tochter Companhia Siderúrgica do Atlântico (CSA) mit einer Handelssperre und verhängte eine Strafe von umgerechnet rund vier Millionen Euro.

Der Konzern nutzte die Strafzahlungen für Imagepflege in eigener Sache, empört sich Katja Maurer von Medico International: "Die Strafzahlungen durfte ThyssenKrupp in sozialen Projekten einsetzen, die das Unternehmen selbst in den betroffenen Gemeinden angesiedelt hat und wo stets darauf hingewiesen wird, dass es sich um eine Spende von TKCSA handelt." So seien beispielsweise Kindergärten und eine Gesundheitsstation durch die Strafgelder finanziert worden. An den grundlegenden Problemen ändere sich jedoch nichts. "Ursprünglich wurde dieses Werk ohne entsprechende Filter gebaut, die in Deutschland üblich sind. Die Grundannahme war allem Anschein nach, dass man dort umweltschädlicher würde arbeiten können, deshalb hat man auf den Einbau teurer Filter verzichtet", formuliert Katja Maurer den Vorwurf von Medico International.

Studie soll Klarheit bringen

#video#Medico International und die brasilianische Nichtregierungsorganisation PACS wollen gemeinsam eine Studie zu den Folgen für Umwelt und Gesundheit in der Umgebung des CSA-Werkes in Auftrag geben. "Wir wollen auflisten, welche Vorfälle und welche Klagen es bislang gegeben hat", erläutert Katja Maurer gegenüber der DW. Dabei solle auch die Rolle der örtlichen Gesundheitseinrichtungen untersucht werden und die Frage, wie sie mit den Klagen der Betroffenen umgehen. "Es gibt da nämlich viele Ungereimtheiten: Ärzte, die Patienten bescheinigt haben, dass ihre Symptome wie Atemnot und Ausschläge mit der Verseuchung durch die Fabrik zusammenhängen, sind plötzlich versetzt worden", berichtet die Sprecherin von Medico International.

ThyssenKrupp bestreitet, dass die Gesundheitsschäden der Bevölkerung mit dem Werk in Verbindung stehen und beruft sich dabei auf einen Bericht des staatlichen Forschungsinstituts Fundacentro, das dem Arbeitsministerium unterstellt ist. Der Studie zufolge gebe es "keinerlei Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen den Graphitemissionen und von Anwohnern beschriebenen Krankheitssymptomen". ThyssenKrupp CSA hätte sich "bei den Nachbarn für die Belästigungen entschuldigt", so das Unternehmen gegenüber der DW: "Sie sind direkt angesprochen und detailliert informiert worden."

Käufer gesucht

Katja Maurer bestätigt, dass ThyssenKrupp seine Informationspolitik in den vergangenen Jahren geändert hat: "Es ist jetzt zum ersten Mal möglich gewesen, dass unsere brasilianischen Partner in das Werk hinein gehen und auch mit den Menschen vor Ort sprechen konnten." Doch angesichts der Suche nach einem Käufer für das unrentable und schlagzeilenträchtige Werk sieht sie "keinerlei Interesse, die Probleme offen zu legen.

Zu den Plänen von ThyssenKrupp, das verlustreiche Amerika-Abenteuer so schnell wie möglich wieder zu beenden heißt es von Unternehmensseite, es werden "alle Optionen" für die Werke in Brasilien und den USA geprüft. Die Investmentbanken Goldman Sachs und Morgan Stanley sind mit dem Verkaufsprozess betraut worden: "Das Interesse an beiden Werken ist nach wie vor hoch und wurde durch Werksbesichtigungen vor Ort weiter bestärkt." Die brasilianische Regierung will Medienberichten zufolge einen Verkauf des ThyssenKrupp Stahlwerks in ausländische Hände verhindern. Präsidentin Dilma Rousseff bemüht sich verstärkt darum, inländischen Unternehmen die Kontrolle über strategisch wichtige Branchen wie Bergbau,  Lebensmittelerzeugung und Telekommunikation zu verschaffen.