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Streitet für die Demokratie!

Ute Schaeffer26. Juni 2013

An Parlamenten vorbei werden politische Entscheidungen getroffen: durch internationale Konzerne, durch multilaterale Institutionen - und ohne den Bürger! Es braucht neue Formen der Beteiligung.

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Ute Schaeffer, Deutsche Welle, Chefredakteurin in der Multimediadirektion Regionen (Foto: DW/Per Henriksen)
Bild: DW

Die jüngsten Revolutionen haben Diktatoren gestürzt - und doch nicht die Demokratie gebracht. Demokratie ist ein großes, nicht eingelöstes Versprechen; das gilt für die Ukraine und für Russland, für Tunesien und Ägypten. Erfüllt sich dieses Versprechen nicht, dann werden diese Gesellschaften erneut in Autoritarismus zurück fallen. Dann wird die Demokratie zum Verlierer. Vorerst zumindest. 

Der Siegeszug der Demokratie aufgehalten

Das Ende der Geschichte ist vertagt. Noch vor zwanzig Jahren hieß es verheißungsvoll, die liberale Demokratie sei das einzige klar umrissene politische Ziel, das den unterschiedlichen Regionen und Kulturen rund um die Welt gemeinsam vor Augen stehe. Doch dieser Trend scheint gestoppt; das Erfolgsmodell Demokratie steht in Frage. Es ist richtig: Mit dem Ende des 20. Jahrhunderts gingen mit Nationalsozialismus, Faschismus und Kommunismus eine Reihe verheerender totalitärer Ideologien unter. Mit Perestroika und Glasnost, mit dem Fall der Berliner Mauer fielen die letzten autoritären kommunistischen und sozialistischen Systeme in Europa. Doch ein Vierteljahrhundert später ist der Siegeszug der Demokratie aufgehalten. Und zwar nicht nur in den Ländern, in denen jüngst Revolutionen stattfanden, sondern auch in einigen, wo man die Demokratie schon etabliert sah.

Undemokratische Modelle haben Mehrheiten

Das Erfolgsmodell Demokratie ist gefährdet. Das versprochene Ende der Ideologien ist nicht eingetreten. Vielmehr entstehen an vielen Orten auf der Welt neue anti-demokratische Politikmodelle. Sie verheißen Sicherheit in einer unsicheren Welt, indem sie mit der Scharia als eindeutiger politischer und gesellschaftlicher Ordnung werben - oder den starken Staat vertreten. Es sind undemokratische Modelle, die trotzdem ihre Mehrheiten finden, denn Menschen suchen vor allem Sicherheit. Und erst wenn sie die haben, dann fordern sie Beteiligung.

Wollen die Menschen lieber Freiheit als Brot? Ein Blick auf die aktuellen Entwicklungen zeigt, dass dem nicht so ist. In Tunesien und in Ägypten ging es zuerst um Brot und Wasser, dann um Würde und Gerechtigkeit und danach erst um mehr Beteiligung! Die Orange Revolution in der Ukraine 2004, die Rosenrevolution in Georgien 2003, die Massenproteste in Russland 2011, die Grüne Bewegung im Iran 2009, die Jasmin-Revolution in Tunesien oder die Bürgerbewegung in Ägypten 2011 - sie alle haben nicht zur Etablierung stabiler demokratischer Systeme geführt. Die Revolution hat den Diktator gestürzt, doch das System dahinter nicht verändert.

Demokratie im Konkurrenzkampf

Es gibt keinen sanften Übergang in die Eine-Welt-Demokratie. Die liberale Demokratie hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten vielfältige Konkurrenz bekommen; Hybridsysteme und Scheindemokratien schießen aus dem Boden. Viele haben sich ein demokratisches Kostüm zugelegt, um dem Protokoll zu genügen - und um ihre diktatorischen und autoritären Merkmale zu verhüllen. Das gilt für die weichen Diktaturen in der östlichen und südlichen Nachbarschaft Europas und die vielen autoritär regierten Staaten weltweit, die mit Erfolg Entwicklung und wirtschaftliches Wachstum für die Mehrheit ihrer Bürger in Gang gesetzt haben, ohne ihnen ihre bürgerlichen Rechte zu garantieren.

Aber auch etablierte Demokratien stoßen in der globalisierten Wirtschaftswelt immer häufiger an ihre politischen Grenzen. Wichtige Entscheidungen werden nicht in Parlamenten und nicht von nationalen Regierungen getroffen, sondern von Akteuren und Institutionen, auf welche die Bürger kaum einwirken können: seien es die globale Finanzwirtschaft, weltweit operierende Multis oder der undurchschaubare EU-Bürokratie-Apparat. Hier entsteht Politik ohne Zutun, ohne Mitbestimmung oder Beratung der Bürger. Daraus ergibt sich die Glaubwürdigkeitskrise, in welcher die Demokratie steckt - sogar in Gesellschaften, die von ihr ersichtlich profitieren: Ein Drittel der Deutschen glaubt nicht daran, dass die Demokratie die wichtigsten Probleme lösen kann.

Nicht das "Ob", sondern das "Wie" entscheidet über den Erfolg von Demokratie 

Doch es reicht wahrlich nicht, die Probleme bloß beim Namen zu nennen, wir müssen daraus Konsequenzen ziehen. Eines steht dabei fest: Es liegt nicht an der Demokratie an sich - es liegt an der Art und Weise, wie sie gelebt und gestaltet wird. Die Punkte, an denen angesetzt werden muss, sind nur allzu offensichtlich: Wie lässt sich mehr Beteiligung organisieren? Wie lässt sich ein Meinungsbildungsprozess in Gang setzen? Wie und wo werden komplexe politische Fragen überhaupt vermittelt, damit sich Politik nicht von den Bürgern abkoppelt?

Und wie schaffen wir es, dass es durch Demokratie einer Mehrheit der Bürger existentiell besser geht? Erinnerung und Erfahrung sind stärker als der Glaube an eine neue abstrakte Idee, sei sie noch so vielversprechend. Populismus und wachsender Widerstand gegen Europa in den europäischen Kernstaaten wie Spanien, Griechenland, Italien machen es deutlich: Niemand  macht sich auf Dauer für ein politisches Modell stark, wenn es sich für ihn oder sie nicht lohnt.

Es darf gestritten werden!

Will man die Demokratie retten, so muss man ihren Kern - das Verhandeln des politisch Richtigen, eines tragfähigen Kompromisses - neu beleben. Das heißt: Es darf gestritten werden! Mehr noch: Es muss um den richtigen Weg gestritten werden: in den Parlamenten, an den Wahlurnen, in den Medien, im Netz und im öffentlichen Raum. Eine neue Streit- und Debattenkultur ist wichtig, wenn die Demokratie nicht zum Verlierer werden soll. Dazu braucht es neue öffentliche Räume, zu denen die Türen in der jüngeren Vergangenheit durch Globalisierungskritiker und Bürgerbewegungen wie "Occupy" oder "Stuttgart 21" bereits aufgestoßen wurden. Dazu braucht es neue Instrumentarien für eine Beteiligung der Bürger an politischen Entscheidungen. Und das gilt bitte nicht nur für unverfängliche Politikbereiche wie die Einrichtung von Radwegen oder die Öffnungszeiten von Schwimmbädern.  

An dieser Stelle sind auch Journalisten gefordert. Es existiert die Nachfrage nach gutem Journalismus mit Haltung und professionellem Ehrgeiz. Journalismus, der die Streitfragen offen legt, Debatten klug moderiert, das Wichtige vom Unwichtigen unterscheidet. Denn er schafft ebenfalls öffentlichen Raum für politische Debatten, und - gut gemacht -  initiiert er Beteiligung und Kontroverse.

Weg mit der satten Konsensdemokratie

Das alles ist im Übrigen das Gegenteil jener neuen Form von satter, pragmatischer Konsensdemokratie, die auch in Deutschland zunehmend um sich greift. Unterschiede zwischen Parteien verwischen, und unterschiedliche Interessen werden ausgeräumt, bevor sie die Öffentlichkeit erreichen. Nach innen wie nach außen sollten wir Klartext sprechen und Kontroversen aushalten - das gilt auch für die europäische Staatenfamilie. Wenn hier die Demokratie beschnitten wird, dann schadet das der Glaubwürdigkeit. Wer hat laut und deutlich gesagt, dass in Ungarn die Demokratie stückweise ausgehebelt wird? Die Kritik von Seiten Deutschlands und der EU-Kommission war zu zahm, kompromisslerisch. Ungarn schämt sich nicht, seine Kritiker mit massiven und unsachlichen Vorwürfen zu überschütten. Europa sollte viel grundsätzlicher und klarer deutlich machen, dass ein solches Vorgehen nicht zur demokratischen Wertegemeinschaft Europas passt.

Mehr Demokratie auf allen Ebenen

Doch nicht nur die demokratische (Streit-)Kultur muss sich verändern. Es geht auch um globale Strukturen. Multilaterale Institutionen, welche die Welt ordnen und gestalten, müssen die Welt auch repräsentieren! Wenn der UN-Sicherheitsrat ohne ständiges Mitglied aus Afrika auskommt, wenn sich beim Internationalem Währungsfonds oder in der Weltbank die USA - und bestenfalls Europa - an die Schalthebel setzen, dann kann schon aufgrund dessen keine echte Glaubwürdigkeit entstehen. 

Es ist wichtig, dass die gewählten demokratischen Institutionen ihrer Verantwortung nachkommen. Ohne Wenn und Aber und ohne falsche Kompromisse: als Anwalt der Demokraten, der Menschen, die ihnen ihre Stimme dafür gaben. Wer demokratisch wählt, tut das, weil er oder sie sicher sein will, dass für die Demokratie gestritten wird! Wir sollten alles dafür tun, dass das die Mehrheit ist - und dass sie es bleibt!

Ute Schaeffer ist Chefredakteurin der Deutschen Welle. Schwerpunkte ihrer journalistischen Berichterstattung sind die europäische und deutsche Außen- und Entwicklungspolitik sowie die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung in verschiedenen Ländern Afrikas und Osteuropas.