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Strick-Tick erobert den öffentlichen Raum

1. August 2011

Sie umstricken Ampelmasten, Parkbänke, Bäume und Denkmäler: Eine Straßenkunstbewegung aus England schwappt jetzt auch nach Deutschland über. Graue Städte sollen "kuscheliger" werden.

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Ein Baum mit einer gestrickten Schlange (Foto: Strick Puttis)
Eine Schlange für den Baum...Bild: Strick Puttis

Nackt glänzt die Statue eines Hafenarbeiters am Main in der Sonne. Aber nicht mehr lange. Ein bisschen Nadelgeklapper am linken Bein, ein paar Knoten am rechten, und schon hat die Figur bunte Ringelsocken an. Die hat "Strick Puttis" zu Hause vorgestrickt, so dass sie die handgemachten Stücke vor Ort nur noch umbinden muss. Zusammen mit ihrer Strick-Community möchte sie dem Großstadtgrau ein paar Farbtupfer verleihen.

Eine Tüte voll Wolle und Stricknadeln (Foto: DW / Bianca von der Au)
Das Tatwerkzeug: eine Tüte voll Wolle und StricknadelnBild: DW

Ähnliches hat "Striktik" von der Frankfurter "Strickguerilla" im Sinn, wenn er Ampelmasten, Laternen und Parkbänke umstrickt. Stilecht in Guerillero-Manier will er dabei anonym bleiben - sein Gesicht ist vermummt mit einer Gesichtsmaske. Selbstgestrickt versteht sich. Seit Januar dieses Jahres ist die Frankfurter "Strickguerilla" im Einsatz und hinterlässt ihre bunten, wolligen Spuren im Rhein-Main-Gebiet. Ihre Mission: "Die Stadt soll gemütlicher und wärmer werden, nicht so kalt und steril sein, sondern einfach bunter, so dass sich die Leute daran erfreuen können."

Wem gehört die Stadt?

Was so spaßig klingt, hat durchaus einen politischen Hintergrund. Verena Kuni, Professorin für visuelle Kultur am Institut für Kunstpädagogik der Goethe-Universität Frankfurt, sieht im "Guerilla-Stricken" eine weiche Strategie des Protests. "Es ist eine Auflockerung der Umgebung. Wenn die Passanten selbst lockerer werden und aufmerksamer für das, was sie sehen, dann finden sie es vielleicht zunächst lustig oder überraschend. Aber dann sehen sie, dass es Alternativen gibt jenseits des Regulierten." Nach Ansicht der Kunst- und Medienwissenschaftlerin Kuni wirft das Bestricken des öffentlichen Raums unweigerlich die Fragen auf: "Wem gehört die Stadt, und wer kann öffentlichen Raum gestalten?"

Ein Guerillastricker bei der Arbeit (Foto: DW / Bianca von der Au)
"Striktik" bei der Arbeit - nach Guerilla-Manier vermummt, damit er nicht erkannt wirdBild: DW

Handwerkeln mit vielen

Darauf haben Guerilla-Stricker wie "Striktik" und "Strick Puttis" zwar keine Antwort, aber sie haben Spaß am Stricken und wollen den öffentlichen Raum verändern. Ihr Motto: "Ran an die Wolle". Regelmäßig treffen sich die Strickaktivisten zur gemeinsamen Handarbeit. Jeder ist eingeladen mitzustricken und wird ermuntert, das Produkt seiner Handarbeit an Ampeln, Straßenpollern oder Bäumen im öffentlichen Raum zu befestigen. Über Facebook koordinieren die Strick-Aktivisten ihre Termine, posten Fotos von jüngst umhäkelten Parkbänken und Statuen.

Ihren Ursprung hat die Straßen-Strick-Bewegung übrigens in den USA. Magda Sayeg - quasi die Mutter aller Guerilla-Stricker - hatte einen Strickladen. Mit kleinen Strickaktionen im öffentlichen Raum wollte sie Werbung für ihren Woll-Shop machen. Kulturwissenschaftlerin Verena Kuni sagt, das Spektrum der Straßenstrickbewegung sei enorm breit: "Von 'unser Dorf soll schöner werden' bis hin zum politischen Charakter."

Mehr als ein Modetrend

Umstrickter Mülleimer in Frankfurt (Foto: Strick Puttis)
From "Strick Puttis" with loveBild: Strick Puttis

Dahinter steckt ihrer Meinung nach neben dem Street-Art-Aspekt eine Sehnsucht nach dem Selbermachen. Seit einigen Jahren boomen Mitmach- und Do-it-yourself-Projekte wie "Urban Gardening", "Guerilla Gardening" und "Urban Farming" besonders in Großstädten. Guerilla-Stricken ist ein Teil dieser Bewegung, sagt Kulturwissenschaftlerin Kuni. "Ein Teil, der auch ein Moment von Cocooning in sich hat. Man möchte sich zurück ziehen in eine Welt, in der alles kuscheliger ist, in eine Zeit, in der alles noch seine Qualität hatte. In der man aber auch Dinge selber macht, mit den eigenen Händen." Zugleich erlerne man durch diese neue Art der Handarbeit alte Techniken wieder. Techniken, die unsere Großmütter noch beherrschten. "Und man lernt viel über Produktionsprozesse", ergänzt Kuni und stellt so den politischen Bezug zum Guerilla-Stricken wieder her.

Für die Kulturwissenschaftlerin ist dieser Trend des Selbermachen-Wollens allerdings mehr als nur eine Modeerscheinung. Hinter all den umstrickten Laternenpfählen, bemützten Pollern und liebevoll angehäkelten Baumstämmen stecke eine Sehnsucht danach, etwas mit den eigenen Händen zu erschaffen. "Und dass das Endprodukt eben nicht perfekt ist und die Naht vielleicht schief und die Maschen vielleicht verrutscht sind, gerade das macht den Charme aus." Und das senkt vielleicht auch die Hemmschwelle, einfach mitzumachen und den selbstgehäkelten Topflappen an eine graue Parkuhr zu knoten. Frei nach dem Motto: "Unsere Stadt soll bunter werden".

Autorin: Bianca von der Au

Redaktion: Gudrun Stegen