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Ohne Kohle läuft nichts

12. März 2010

Eine Abkehr von der Nutzung der begrenzten fossilen Ressourcen ist trotz der damit verbundenen Umweltbelastung nicht einfach. Im US-Bundesstaat Kentucky setzt man vor allem auf die "saubere Kohle".

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Ernie Lucas neben einem Kohlewagen in einer Mine in Good Spring, Pennsylvania, USA. Foto: AP
Die Hälfte des amerikanischen Stromes wird aus Kohle gewonnenBild: AP

Francis Scott Howard hat den Kohlestaub noch auf Gesicht und Händen. Er ist von seiner Frühschicht nach Whitesburg gekommen. Der kleine Ort liegt mitten in den Bergen im Osten Kentuckys. Scott, wie ihn alle nennen. fährt seit 30 Jahren in die Kohleminen Kentuckys, um Steinkohle ans Tageslicht zu fördern. Es ist eine gefährliche Arbeit. Er habe sich den Rücken gebrochen, mehrere Augenverletzungen erlitten, erzählt er: "Einige Wirbel im unteren Teil des Rückgrats sind auch kaputt, genauso wie meine Knie." Denn über 20 Jahre habe er in Minen gearbeitet, die nur 90 und manchmal sogar nur 50 Zentimeter hoch sind. Das ständige Kriechen auf Händen und Knien hat seine Spuren hinterlassen.

Francis Scott Howard, 50, seit 30 Jahren Bergarbeiter in Kentucky, USA, Foto: Christina Bergmann
Francis Scott Howard arbeitete seit 30 Jahren im BergbauBild: DW

Scott ist eine Ausnahme: Denn er redet offen über die Zustände im Bergbau im Osten Kentuckys, wo, wie er sagt, Profit über Sicherheit siegt. Hier vertritt nur selten eine Gewerkschaft die Interessen der Männer, die dafür sorgen, dass in den USA das Licht nicht ausgeht. Der Bundesstaat in den Appalachen ist der drittgrößte Kohleproduzent in den USA. Mehr als 86.000 Bergarbeiter fördern in den USA die Kohle, mit der die Hälfte des Stromverbrauchs der Amerikaner gedeckt wird.

Rohstoff für 250 Jahre

In Kentucky gibt es viele, die meinen, dass man auf die Kohle noch die nächsten 50 Jahre angewiesen ist. Rodney Andrews ist einer von ihnen. Er leitet das CAER, das Zentrum für angewandte Energieforschung der Universität von Kentucky in Lexington. Im weltweiten Vergleich mit anderen Treibstoffen wachse die Nachfrage nach Kohle am schnellsten, sagt er. "Wir besitzen größere Vorkommen von Kohle als von allem anderem, mit Ausnahme vielleicht von Öl." Und es gebe derzeit noch keine Technologie, die Kohle sofort ersetzen könne.

Ganze Bergspitzen werden weggesprengt beim Mountaintop Mining in Kentucky
Wenn der Berg seine Schätze hergegeben hat, schieben riesige Bagger den restlichen Schutt zusammen. Die Erde ist vergiftet.Bild: DW/ Miodrag Soric

Für 250 Jahre würde der Kohlebestand in den USA noch reichen, rechnen die Optimisten. Der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromproduktion beträgt in den USA gerade neun Prozent. Auch der Ausbau der Atomenergie, der jetzt 20 Prozent des Stromverbrauchs deckt, kann nicht von heute auf morgen stattfinden, erklärt Andrews: "Selbst wenn wir heute beschließen, ein Atomkraftwerk zu bauen, würde es 20 Jahre dauern, bis es in Betrieb gehen kann."

Konkurrenzlos billig

Das größte Problem ist aber der Preis: Der Bundesstaat Kentucky hat derzeit mit 6 Cent pro Kilowattstunde den billigsten Strom im ganzen Land. Der Durchschnitt liegt bei 9,4 Cent pro Kilowattstunde. Doch sollte der Gesetzgeber beschließen, dass Luftverschmutzung etwas kostet, sieht die Rechnung anders aus. Dann würde finanziell attraktiv, die Kohle möglichst sauber zu verbrennen. Viele Forschungsgruppen an der Universität in Lexington arbeiten deswegen an dem Projekt der sogenannten "sauberen Kohle". Dabei geht es vor allem darum, das Kohlendioxid zu binden – und es dann irgendwo zu lagern. Doch schon das Einfangen des schädlichen Gases ist noch nicht im großen Umfang zu vernünftigen Preisen möglich.

Ein kleines Testkraftwerk im Zentrum für angewandte Energieforschung der Universität von Kentucky. Hier sollen Algen das Kohlendioxid aus dem Kohlenrauch aufnehmen, Foto: Christina Bergmann
Mit Hilfe von Algen soll Kohle eines Tages sauber werdenBild: DW

An der Universität von Kentucky experimentiert man damit Kohlendioxid über Photosynthese einzufangen. So sucht beispielsweise der Chemiker Mark Crocker nach einer Algenart, die besonders schnell wächst, also besonders schnell Kohlendioxid aufnimmt und auch noch besonders resistent ist gegen andere Giftstoffe im Kohlenrauch. Auf diese Weise hofft man bis zu 30 Prozent des Kohlendioxidgehalts einzufangen.

"Saubere Kohle" halten auch für die Energieversorger für wichtig, sagt John Moffett, Chef der Forschungs- und Entwicklungsabteilung von EON USA. Es gäbe seiner Meinung nach derzeit keine Möglichkeit, auf Kohle zu verzichten. Dazu sei der Energiebedarf zu groß. Und so finanziert auch der deutsche Energieriese entsprechende Projekte auf der Suche nach der "sauberen Kohle". Bis zum Jahr 2020 schätzt Moffett, werden die Techniken marktreif sein.

Lesen Sie auf der folgenden Seite über den Kampf der Naturschützer gegen die Kohleindustrie...

Umweltbelastung durch Kohleabbau

Bis dahin verpesten die Kohlekraftwerke weiter die Umwelt. Die Probleme sind seit Jahrzehnten bekannt: Smog, Feinstaub und saurer Regen gehören ebenso dazu wie das besonders gefährliche Quecksilber, das sich in Fischen ablagert, erklärt Umweltschützer Tom Fitzgerald: "Es gibt keinen See in Kentucky, an dem nicht ein Schild steht, auf dem die Bevölkerung gewarnt wird, die Menge an Fisch, die sie essen, zu begrenzen."

Tom Fitzgerald von der Umweltorganisation Kentucky Resources Council, Foto: Christina Bergmann
Tom Fitzgerald engagiert sich für die UmweltBild: DW

Fitzgerald bietet für die Umweltorganisation Kentucky Resources Council kostenlose Rechtsberatung in Sachen Umweltschutz an. In manchen Gegenden im Westen Kentuckys ist zum Beispiel das Trinkwasser belastet. Und im Osten des Bundesstaates sorgen sich Umweltschützer und Naturliebhaber wegen des umstrittenen Mountaintop Minings. Dabei werden keine Stollen mehr in den Berg geschlagen, sondern das Bergmassiv, das auf der Kohle liegt, wird einfach weggesprengt.

J. Steven Gardener, President/CEO Engineering Consulting Services, Inc., Foto: Christina Bergmann
Gardener geklärt im Auftrag der Kohleindustrie, das Mountaintop Mining kein Problem für die Natur seiBild: DW

Doch die Kohleindustrie lässt Kritik nicht gelten. In der Vergangenheit habe es Probleme gegeben, aber man habe daraus gelernt, heißt es. Jetzt sei das Gebiet auf den früheren Minen sogar wertvoller und besser als vorher, erklärt J. Steven Gardener, Berater der Kohleindustrie, ohne eine Spur von Ironie. Der Ingenieur zeigt auf Bilder von friedlich grasenden Elchen inmitten einer üppig grünen Landschaft. Man habe herausgefunden, "dass Bäume auf dem wieder aufgeschütteten Land besser wachsen als vorher". Dass der Bergbau im Westen Kentuckys zu Problemen mit dem Wasser geführt hat, gibt er zu. Aber nach umfangreichen Untersuchungen habe man im Osten Kentuckys keine erhöhte Schwermetallbelastung feststellen können.

Mächtige Lobby

Kongressabgeordneter Ben Chandler, D-Kentucky
Ben Chandler setzt auf "saubere Kohle"Bild: privat

Ein Politiker der sich in Kentucky für den Umweltschutz einsetzt, hat es nicht leicht in dem Bundesstaat der Kohle. Der Abgeordnete Ben Chandler ist Mitglied der Demokratischen Partei und sitzt seit sechs Jahren im Repräsentantenhaus in Washington. Der 50jährige, der in Kentucky geboren wurde, ist für ein Emissionshandelsgesetz und sieht das Mountaintop Mining kritisch. Doch auch er glaubt, dass Kentucky für viele Jahre nicht von der Kohle loskommt, wenn es überhaupt davon loskommt.

Daher findet Chandler, die "saubere Kohle" sei "eine gute Sache für uns". Und er unterstütze die Kohleindustrie in vielen Bereichen, schließlich bringe sie Arbeitsplätze. Beispielsweise habe sich wegen des niedrigen Strompreises die energieintensive Aluminiumindustrie in Kentucky niedergelassen, auch Autos würden hier gebaut. In Kentucky wird Strom zu 92 Prozent aus Kohle gewonnen. Man könne ja trotzdem alternative Energien fördern, versucht Chandler vermittelnd zu erklären, und so die Umwelt schützen. Doch er räumt ein, die Kohleindustrie "kooperiert in gewissem Maße, aber nur, wenn es unbedingt sein muss."

Keine Alternative

Francis Scott Howard ist da wesentlich deutlicher. Die Kohleindustrie sei wie die Mafia, die auch Kinder und Kindeskinder in Sippenhaft nehme, erklärt der Mann, für den Sicherheit im Bergbau oberste Priorität hat. Er schließt schon mal einen Stollen, weil die Belüftung nicht ordnungsgemäß funktioniert. Freunde hat er sich dabei nicht gemacht. Seine Kollegen sehen ihn als Verräter. Sie fürchten um ihre Arbeitsplätze. Seinen Wagen haben sie ihm zerkratzt, und seine Frau hat Angst, dass noch schlimmeres passiert, dass sie die Bremsen seines Autos manipulieren oder das Haus anzünden.

Abgetragene Berge in Kentucky Foto: Christina Bergmann
Nachdem der Berg weggesprengt wurde, bleibt eine zerstörte verseuchte Landschaft zurückBild: DW

Doch Wegziehen kommt für ihn nicht in Frage, auch wenn die vier Kinder längst erwachsen sein. Scott liebt seine Heimat und die Berge Kentuckys. Hier sitze er am liebsten nach der Schicht auf der Veranda und erhole sich, erzählt der Fünfzigjährige und muss husten. So fit wie früher sei er längst nicht mehr. Er würde sich gerne einen anderen Job suchen, aber er habe nichts anderes gelernt: "Ich bin zu alt, um noch einmal von vorne anzufangen. Ich glaube, ich hoffe einfach, dass ich das so lange überlebe, bis ich in Rente gehen kann."

Autorin: Christina Bergmann

Redaktion: Insa Wrede