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"Studenten wollen eine europäische Ukraine"

Halyna Stadnik / Markian Ostaptschuk28. November 2013

Vor allem Studenten demonstrieren für eine EU-Integration der Ukraine. Swenyslawa Mamtschur-Kalynez, Prorektorin der Universität Lwiw, erklärt im DW-Interview, warum ihre Hochschule die Proteste unterstützt.

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Swenyslawa Mamtschur-Kalynez, Prorektorin der Universität Lwiw (Foto: Oleh Wiwtcharik, Uni Lemberg, Pressestelle)
Swenyslawa Mamtschur-Kalynez auf einer Studentendemo in LwiwBild: Oleh Wiwtcharik/Uni Lemberg

Deutsche Welle: Frau Mamtschur-Kalynez, Ihre Universität hat in einem offenen Brief deutlich gemacht, dass sie die Proteste der Studenten unterstützt. Warum?

Swenyslawa Mamtschur-Kalynez: Unsere Studenten wollen in einer europäischen Ukraine leben. Einen solchen Staat hat man ihnen in all den Jahren der Unabhängigkeit versprochen - eigentlich seitdem sie geboren wurden. Mit dem Versprechen verbinden sie eine gute Ausbildung, Arbeitsplätze und bessere Lebensbedingungen. Bis zuletzt haben sie darauf gehofft. Jetzt hat man ihnen diesen Traum brutal genommen. Sie sind jung, ihre Herzen und Seelen sind offen. Es musste einfach zum Widerstand kommen. Als ich in der ersten Nacht der Proteste zu den Studenten kam - und auf dem Platz waren noch nicht Tausende sondern einige Hunderte - fragte ich: "Womit kann ich Euch helfen?" Sie sagten zu mir: "Seien Sie einfach mit uns." Deswegen steht die Universität an deren Seite und wir unterstützen den Wunsch von Tausenden unserer Studenten.

Wie würden Sie die Gefühle Ihrer Studenten beschreiben?

Sie glauben, dass sie getäuscht wurden. Auch ich persönlich habe einiges zu spüren bekommen. Ständig wird die ukrainische Sprache unterdrückt, der Lehrplan reglementiert und die Autonomie der Universität beschnitten. Ich habe viele negative Erfahrungen machen müssen.

Studenten im westukrainischen Lwiw fordern die EU-Integration ihres Landes (Foto: Pavel Palamarchuk/RIA Novosti)
Studenten im westukrainischen Lwiw fordern die EU-Integration ihres LandesBild: picture-alliance/dpa/RIA Novosti/Pavel Palamarchuk

Bildungsminister Dmytro Tabatschnik hat die Studenten aufgefordert, nicht auf die Barrikaden zu gehen. Er hat sogar damit gedroht, keine Stipendien mehr auszuzahlen. Fürchten Sie nicht den Zorn des Ministeriums wegen Ihres Einsatzes für die Studenten?

Uns interessiert nicht, was später passieren wird. Wir handeln so, wir es uns unser Gewissen sagt. Das ist das Wichtigste. Das Ministerium hat uns sowieso nicht mit viel Liebe bedacht. Die Haltung der akademischen Gemeinschaft ist eindeutig: wir reagieren auf die Herausforderungen, vor denen die Gesellschaft und der Staat stehen.

Findet zurzeit überhaupt noch Unterricht statt?

Der Unterricht fällt bis Ende der Woche aus. Mit den Studenten, die zur Universität kommen, führen Jugendverbände Diskussionen über die europäische Integration unseres Landes. Dazu gehört auch der Bologna-Prozess. Alle Unterrichtsstunden wird man aber demnächst nachholen müssen.

Was sind die Erwartungen der Studenten?

Ihren Augen glühen. Sie können sich nicht vorstellen, dass die Regierung die Stimmen von tausenden Studenten nicht hört. Sie möchten, dass der Präsident doch noch das Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet. Nur dann wollen sie an ihren Platz in der Uni zurückkehren. Eine Zollunion (mit Russland, Kasachstan und Belarus – Anmerk. d Red.) werden die Studenten nicht akzeptieren, hatten sie doch die europäische Perspektive vor Augen. Die Jugend von heute ist eine ganz andere Generation, absolut ausgeglichen und tolerant. Sie machen nichts Schlechtes. Sie stellen nur Forderungen. Überflüssige und störende Parolen lehnen sie auf den Demonstrationen genauso ab wie Partei-Symbole. Das ist wirklich eine von niemandem geplante Studenten-Revolution.

Was haben Sie sich für die nächsten Tage vorgenommen?

Ab dem 28. November werde ich auf dem "Maidan", dem Platz der Unabhängigkeit in Kiew sein. Dort demonstrieren viele Studenten aus dem ganzen Land, auch aus Lwiw. Auf dem Kiewer "Maidan" gibt es eine Koordinierungsstelle unserer Universität, denn unsere Studenten brauchen dort Unterkunft und Verpflegung.

Swenyslawa Mamtschur-Kalynez ist Prorektorin der Iwan Franko-Universität in Lwiw.