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Debatte um Integrationswillen junger Muslime

2. März 2012

Streng religiös mit Abneigungen gegenüber dem Westen: Eine Untersuchung des Bundesinnenministeriums zeichnet ein düsteres Bild - ein Viertel der jungen Muslime soll integrationsunwillig sein.

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Männer beten in der Moschee Eyüp Sultan Camii in Hamburg dpa - Bildfunk+++
Bild: picture-alliance/dpa

Die Studie über junge Muslime in Deutschland erregt die Gemüter. Nach der Untersuchung, die vom Bundesinnenministerium in Auftrag gegeben wurde, ist ein Viertel der Befragten zwischen 14 und 32 Jahren ohne deutschen Pass nicht bereit, sich zu integrieren. Einige Unionspolitiker warnen vor bedrohlichem Fanatismus; Wissenschaftler, FDP und Opposition kritisieren die Studie.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zeigte sich erstaunt, dass laut der am Donnerstag (01.03.2012) veröffentlichten Studie 24 Prozent der jungen Muslime Abneigungen gegen den Westen haben. Zuvor hatte er bereits gegenüber der "Bild"-Zeitung geäußert, dass Deutschland die Herkunft und Identität seiner Zuwanderer achte. "Aber wir akzeptieren nicht den Import autoritärer, antidemokratischer und religiös-fanatischer Ansichten", so Friedrich. Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Hans-Peter Uhl sagte der Osnabrücker Zeitung, er sei erschreckt über die hohe Zahl der nicht integrierten und integrationsunwilligen Muslime.

Zum Islam bekennen sich in Deutschland nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge schätzungsweise vier Millionen Menschen. Knapp die Hälfte von ihnen hat die deutsche Staatsbürgerschaft. Für die jetzt veröffentlichte Studie "Lebenswelten junger Muslime in Deutschland" wurden rund 700 junge deutsche und nichtdeutsche Muslime telefonisch befragt. Außerdem wurden 692 Fernsehbeiträge aus Nachrichtensendungen analysiert. Die Integrationsunwilligen unter den Befragten werden in der Untersuchung charakterisiert als "streng religiös, mit starken Abneigungen gegenüber dem Westen, tendenzieller Gewaltakzeptanz und ohne Integrationstendenz".

In der Al-Rahman-Moschee in Leipzig beten der Imam der Leipziger Muslime Hassan Dabbagh (r.) und in Leipzig lebende Muslimen ) dpa - Report+++
Muslime im GebetBild: picture alliance/dpa

Zentralrat der Muslime bestätigt die Ergebnisse

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, zeigte sich besorgt über Radikalisierungstendenzen junger Muslime und äußerte sich über die Untersuchungsergebnisse wenig überrascht: "Die Studie bestätigt unsere Erkenntnisse.“ Ausgrenzungserfahrungen und Diskriminierungserlebnisse beförderten die Radikalisierung besonders bei muslimischen Jugendlichen. Oft würden sich die Erfahrungen von Ausgrenzung leider mit einer fanatisierten Islamvorstellung verbinden, sagte Mazyek tageschau.de. Jetzt sei die Politik gefragt, so Mazyek. Sie müsse die Muslime noch stärker als bisher in der Präventionsarbeit unterstützen.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime Aiman Mazyekc) dpa - Bildfunk+++
Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der MuslimeBild: picture-alliance/dpa

Studie hilft nicht

Kritik an der Studie kam unter anderem von der FDP. Serkan Tören, integrationspolitischer Sprecher der Liberalen, betonte im Gespräch mit der Deutschen Welle, dass hier ein irritierender Zusammenhang von Religion und Gewaltbereitschaft hergestellt werde, der in der Vergangenheit oft behauptet worden sei: "Häufig wird da Religiosität gemessen, wo sie gar nicht gemessen werden kann."

Serkan Tören, Bundestagsabgeordneter der FDP
Serkan Tören, Bundestagsabgeordneter der FDPBild: FDP

Für Tören ist die Untersuchung deshalb ohne neue Erkenntnisse. Denn andere Studien hätten längst gezeigt, dass bei genauerem Nachfragen die Haltung Einzelner sehr individuelle Gründe habe. Das Bekenntnis zum Islam sei für viele junge Muslime ein Akt der Abgrenzung, um die eigene Identität zu stärken, mehr nicht. "Was sollen wir denn aus dieser Studie ableiten? Für unsere Sicherheit bringt das nichts", kritisierte der FDP-Politiker.

Falsche Etiketten

Auch der Religionswissenschaftler Rauf Ceylan, Dozent an der Uni Osnabrück, kritisiert die Studie und die Art ihrer Veröffentlichung. Seit Jahren würde die an sich wichtige Debatte um Integration auf das "Etikett Islam" reduziert. Viele junge Muslime hätten dieses Etikett übernommen und würden sich als Anhänger des Islam ausgeben, ohne tatsächlich religiös überzeugt zu sein. "Hier ist es wichtig, was die Menschen darunter verstehen, wenn sie sagen, dass sie Islamanhänger sind", betonte Ceylan im Gespräch mit der DW, "meist entscheidet die soziale Situation der jungen Muslime über ihre Haltung". So wie die Studie aber nun veröffentlicht worden sei, bestehe kaum noch Gelegenheit zur Differenzierung. Übrig bleibe bei den meisten nur die Schlagzeile "integrationsunwillig und Islam", bedauert der Forscher. Er fordert: "Die Debatte über Integration muss anders geführt werden, und zwar mit Blick auf Bildung, Armut und Teilhabe an der Gesellschaft. Religion ist nur einer von vielen Gründen."

Der Jenaer Psychologe Wolfgang Frindte, der maßgeblich an der Untersuchung beteiligt war, sagte der Nachrichtenagentur dpa, die jetzt ermittelten Zahlen seien für ihn nicht überraschend. Würden auch die Eltern- und Großelterngenerationen einbezogen, dann zeige sich allerdings, dass der Anteil radikaler Einstellungen sinke und sich die Muslime deutlich vom islamistischen Terrorismus distanzierten.

 Der Kriminologe Christian Pfeiffer warnte vor pauschaler Angstmache. In einem Gespräch mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" reagierte der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen verärgert auf die Studie: "Wenn wir den Muslimen bereits als Grundschüler die Hand reichen, landen sie auch nicht in der Ecke der Frustrierten, wo sie sich hinter der Religion verschanzen."

Junge Muslime in der Kölner Moschee
Junge Muslime in der Kölner MoscheeBild: picture alliance/dpa

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, betrachtet es als fahrlässig, dass die Untersuchung  von einer Boulevard-Zeitung an die Öffentlichkeit gebracht wurde. Die "Bild"-Zeitung hatte Details der Studie bekannt gemacht, bevor sie auf der Homepage des Ministeriums online gestellt wurde: "Es geht nicht, dass hier junge Muslime unter Generalverdacht gestellt werden. Das ist purer Populismus", kritisierte Kolat und forderte Innenminister Friedrich zu einer Klarstellung auf.

Unabhängig von den ermittelten Zahlen verdeutlicht die Studie schon jetzt, wie vorsichtig man bei der Interpretation der Ergebnisse sein muss. Vieles hängt bereits von der Fragestellung ab, anderes davon, was öffentlich herausgehoben wird. Denn die Untersuchung zeigt gleichzeitig, dass der größte Teil der jungen Muslime mit Deutschland und seinem demokratischen System sehr zufrieden ist, Integration befürwortet und nichts von fanatischem Islamismus hält.

Autor: Günther Birkenstock
Redaktion: Johanna Schmeller, Julia Elvers-Guyot