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Studiogast der Woche: Albrecht Ritschl

Fabian Christ28. Juni 2011

Ritschl ist Wirtschaftshistoriker. Der Professor lehrt an der London School of Economics.

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DW-TV: Albrecht Ritschl, Professor an der London School of Economics, haben wir Deutschen wirklich soviel Grund für solche Enttäuschungen?

Albrecht Ritschl: Die Enttäuschung ist ja vollkommen verständlich: Da wird nicht gezahlt. Die Griechen sind enttäuscht, weil sie nichts mehr kriegen, wir sind enttäuscht, weil wir unser Geld nicht zurück kriegen. Und ich bin enttäuscht, weil wir aus der Geschichte nichts lernen.

DW-TV: Das heißt? Haben wir moralische Verpflichtungen aus der Geschichte heraus wir Deutschen?

Albrecht Ritschl: Das lassen wir jetzt mal weg, darüber könnte man auch reden. Aber wir haben einfach eine Geschichte, bei der es so was auch schon mal gegeben hat mit umgekehrten Vorzeichen.

DW-TV: Und zwar?

Albrecht Ritschl: Ich denke an die Schuldenkrise von 1931, jetzt dieser Tage ziemlich genau 80 Jahre her. Da war das gleiche Problem, in größerem Maßstab, weil Deutschland ja eine viel größere Volkswirtschaft ist, damals auch schon war. Es gab Sparauflagen des Auslands, es gab hitzige Debatten darüber und es gab Massenproteste; die Radikalisierung der Straße.

DW-TV: …und da hat Deutschland Geld bekommen.

Albrecht Ritschl: Da hat Deutschland Geld bekommen. Da hat Deutschland nachher einen sehr großzügigen Schuldenverzicht bekommen, also einen Schuldenschnitt.

DW-TV: Schuldenschnitt bedeutet…

Albrecht Ritschl: Schuldenschnitt bedeutet, wie bei einem Firmenkonkurs, dass die Gläubiger sich zusammen setzen und aushecken auf wieviel Prozent ihrer Forderungen sie verzichten. Das werden wir jetzt auch kriegen.

DW-TV: Das heißt, wir Deutschen haben eigentlich auch Grund zur Dankbarkeit, müsste man jetzt so sagen, weil wir im vergangenen Jahrhundert auch – und das nicht nur einmal, nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal, Geld aus dem Ausland, und zwar massiv, bekommen haben und deswegen unser wirtschaftlicher Aufstieg auch funktioniert hat nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber trotzdem, wenn Sie Argumente für die Kritiker liefern wollen, warum sollten wir den Griechen weiter Geld geben, wo es doch offensichtlich ein scheinbar nicht endendes Loch ist?

Albrecht Ritschl: Naja, im Moment werfen wir gutes Geld dem schlechten hinterher. Das ist nicht so furchtbar schön. Andererseits muss es gemacht werden, weil Zahlungsfristen anstehen. Und wenn man die Griechen jetzt an diese Zahlungsfrist kommen lässt, ohne dass sie zahlen können, dann haben wir einen Staatsbankrott und das hat ungeheure Auswirkungen auf die Finanzmärkte. Man muss jetzt also erstmal Zeit gewinnen, aber natürlich muss mittelfristig eine richtige Lösung her, das heißt, man muss sich zusammen setzen und fragen, wieviel Prozent der Schulden können denn überhaupt bedient werden und welche Reformen muss Griechenland unternehmen. Immerhin aber scheint es, jedoch nach langem Warten, aber immerhin in die richtige Richtung zu gehen.

DW-TV: Wir sehen gerade jetzt in diesen Tagen wieder extreme Aufruhr unter den Griechen in Griechenland. Welches Risiko birgt diese fast aggressive und wütende Stimmung im Land?

Albrecht Ritschl: Ja , das ist etwas, was mir Sorge macht, denn man muss sich vor Augen halten, dass Griechenland ein Land mit einer schwierigen Geschichte ist, einer starken Zerrissenheit zwischen Rechts und Links, einer sehr radikalen Gewerkschaftsbewegung, die den orthodoxen Marxismus noch nicht überwunden hat. Viele Dinge, die wir aus der eigenen Geschichte kennen, ein schwacher Staat, schwache Institutionen. Das ist in Griechenland alles noch gegeben, wer weiß, wohin diese Radikalisierung noch führt.

DW-TV: Albrecht Ritschl, von deutscher Seite kam der Vorschlag, Griechenland solle die Solarenergie nutzen, um durch zukünftige Stomlieferungen nach europa Export-Gewinne zu erzielen. Aber: Ist Solarenergie wirklich der richtige Schritt und die Lösung für Griechenland?

Albrecht Ritschl: Das ist ein sehr kleiner Tropfen auf einem sehr heißen Stein. Es geht ja um Hunderte von Millarden. Das wird durch ein paar kleine Solarkraftwerke, die noch dazu ganz weit weg sind von Deutschland, nicht verdient. Griechenland muss seine Institutionen in Ordnung bringen, sie müssen, das haben wir ja gehört, Verwaltungsabläufe in Ordnung bringen. Das Kreditwesen muss reorganisiert werden, das dürfen wir also auch nicht ganz kaputt machen. Das sind die großen Aufgaben. Und wenn dann auch noch ein bisschen Solarstrom nach Deutschland exportiert wird, ist es umso besser.

DW-TV: Das sind also die Schritte, die ein Land wie Griechenland jetzt vollziehen muss, aber ist das denn in absehbarer Zeit abschließend tatsächlich möglich - in kürzeren Zeitabschnitten?

Albrecht Ritschl: Diese Sachen lassen sich nicht über Nacht machen. Darum wird jetzt im Moment gestritten, wie man diese Reformen macht. Aber Sie können keine Ergebnisse von heute auf morgen erwarten.

DW-TV: … sagt Albrecht Ritschl, der Wirtschaftshistoriker. Vielen Dank für diese Hintergründe.