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Studiogast: Felix Matthes, Öko-Institut e.V.

Markus Kopplin15. März 2011

Felix Matthes ist Experte für Energie und Klimaschutz beim Öko-Institut.

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DW-TV: Felix Matthes ist jetzt hier bei uns im Studio vom Öko-Institut in Berlin. Herzlich willkommen, Herr Matthes!

Sie waren am Freitag noch in Tokio, sind am Sonntag erst zurückgekommen, haben das Erdbeben selbst am Freitag in Tokio erlebt im 28. Stock eines Hochhauses. Was genau haben Sie erlebt?

Felix Matthes: Ja, ein ganz furchtbar erschütterndes Gebäude. Ich war gerade mit meinem Vortrag fertig, als der Wolkenkratzer anfing zu schwanken und der ganze Saal von links nach rechts rutschte und die Lautsprecher von den Decken fielen. Das war ein sehr beunruhigendes, ein sehr aufwühlendes Erlebnis.

DW-TV: Ab wann war denn eigentlich klar, das ist kein normales Erdbeben, das Japan vielleicht 30 Mal im Jahr hat, sondern eben ein viel zerstörerisches?

Felix Matthes: Das war unmittelbar klar. Alle japanischen Kollegen haben sofort gesagt, dass sie so etwas noch nie erlebt hätten und als dann die ersten Meldungen kamen, die dort übers Internet eingespielt wurden, war sehr schnell klar, es ist das stärkste Beben, das es jemals gegeben hat. Und das war, wie gesagt, in der ersten Minute zu spüren, weil niemals ein solches immerhin noch bebensicheres Hochhaus so stark geschwankt hat und so starke Verwerfung intern angerichtet wurden.

DW-TV: Die Japaner sind insgesamt alle sehr ruhig geblieben. Ab wann war denn klar, dass tatsächlich auch in Fukushima ein Atomkraftwerk betroffen ist?

Felix Matthes: Die Nachrichtenlage war ja sehr unterschiedlich. Der Freitag und Teile des Samstages waren geprägt durch die Folgen des Tsunamis, die ja schrecklich sind und die ja oft hier ein bisschen zu wenig bewertet werden. Aber im Laufe des Samstages wurde dann klar, dass eben neben der Erdbebenkatastrophe und der Tsunamikatastrophe sich eine dritte Katastrophe anbahnt, nämlich die mit den Kernkraftwerken.

DW-TV: Herr Matthes, 30 Prozent der Energie in Japan werden durch Atomenergie produziert. Das ist eine ganze Menge. Hat Japan nie eine andere Alternative gehabt? Warum haben sie so auf Atomenergie gesetzt?

Felix Matthes: Na, nun ist in Japan die Rolle der Kernkraft bei der Stromproduktion nicht so viel größer als bei uns. Bei uns waren es auch bis vor Kurzem 30 Prozent, aber in Japan hat man das insbesondere deswegen vorangetrieben, weil es ein rohstoffarmes Land ist und als rohstoffarmes Land hat man sehr früh auf Energieeffizienz gesetzt. Die Japaner sind ja berühmt dafür. Und aber eben auch auf Kernenergie, weil man nicht abhängig sein wollte von Energieimporten. Das ist nicht so anders als die Motivationslage, die es bei uns gegeben hat. Aber der Unterschied ist, man hat dort sehr früh auf Kernstoffkreisläufe gesetzt, indem man also Kernbrennstoffe wieder aufgearbeitet hat und wieder im Kreis in die Reaktoren zurückgeführt hat. Das ist der große Unterschied zur Situation hier.

DW-TV: Hier geht jetzt natürlich die Debatte erneut los. Es gab schon mal einen Beschluss über einen Atomausstieg, er wurde wieder aufgehoben. Jetzt wird es natürlich neu diskutiert. Wäre es möglich, zumindest erstmal die alten Meiler, wie es jetzt auch passieren soll, einfach abzuschalten? Welchen Einfluss hätte das?

Felix Matthes: Das hat überhaupt keinen Einfluss, weil man sich zwei Dinge klar machen muss: Erstens, sollten die Kernkraftwerke in den nächsten vier Jahren ohnehin abgeschaltet werden nach dem alten Auslaufpfad, d.h. die Kapazitäten des Systems sind darauf ausgerichtet, weil die Laufzeitverlängerung haben wir ja erst seit wenigen Monaten in der Debatte. Zweitens haben wir im Jahr 2007 durchaus auch schon Situationen gehabt im Sommer, wo die Hälfte der deutschen Kernkraftwerke aus ganz verschiedenen Gründen nicht zur Verfügung standen und trotzdem ist die Energieversorgung sicher gewesen und im Übrigen waren die Strompreise auch nicht höher als sonst.

DW-TV: 443 Reaktorblöcke weltweit, wir haben es gerade in einem Beitrag noch mal gesehen. Wie sicher sind sie?

Felix Matthes: Es ist sehr unterschiedlich, weil sie ja in sehr unterschiedlichen Zeiträumen entstanden sind. Die Frage ist „Wie sicher gegen was?“. Die Diskussion, etwa die wir hier haben in Bezug auf Flugzeugabstürze, darauf sind ein ganz großer Teil dieser Kernkraftwerke nicht ausgelegt, aber es gibt natürlich grundsätzlich bei dieser Technologie das sogenannte Restrisiko, was in Japan jetzt ein Gesicht bekommen hat, weil eben mehr Dinge schief gegangen sind, als sich die Sicherheitsingenieure vorstellen konnten.

DW-TV: Aus der Krise eine Chance machen – geht das angesichts dieser Riesenkatastrophe, die wir gerade erleben in Japan?

Felix Matthes: Es ist sehr schwer zu sagen, weil insbesondere bei der Nuklearkatastrophe ja ganz viel davon abhängt, ob es wirklich zu der großen Katastrophe kommt, die ja dann sehr viele langfristigere Wirkungen hat. Es ist ein starker wirtschaftlicher Einbruch, es wird danach sicherlich ein Strohfeuer geben, weil das Irre ist, dass Aufräumarbeiten wieder Wertschöpfung und damit Wirtschaftsleistung sind. Das muss aber bezahlt werden und das wird nur über Schulden zu finanzieren sein und diese Schulden werden eine große Hypothek für eine lange Zeit für die japanische Bevölkerung sein, obwohl man die ja immer wieder bewundern muss in Bezug auf ihre Disziplin, auf ihre Beherrschtheit und auch auf ihren Teamgeist und das finde ich war eine ganz wichtige Erfahrung der letzten Tage dort auch.

DW-TV: Wofür man sie jetzt auch bewundert die Japaner ist ihrer unglaublicher Hochtechnologie. Das muss man jetzt so sagen – führend bei den Elektroautos, bei den Hybriden. Man hat immer gedacht, wieso kriegen sie das nicht hin mit den alternativen Energien oder warum hinken sie da so hinterher?

Felix Matthes: Das hat, glaube ich, mit den Machtverhältnissen im Land zu tun. Das ist ja auch jetzt noch mal klar geworden, dass diese Energiekonzerne so ein Staat im Staat waren, die es eben nicht für nötig befunden haben, den Premierminister zu informieren, etc., etc. Und sie haben sich natürlich gewehrt gegen neue Energien. Und das ist eine große Hypothek auch des Landes, dass es so stark abhängig ist von diesen großen alten Institutionen, Parteien und Unternehmen und wahrscheinlich wird diese Dynamik erst kommen, wenn man da neuen Geist reinbringt und auch neue Akteure, die diese neuen Technologien vorangetrieben haben. Und das muss man bei uns sehen -  es waren bei uns auch nicht die Großkonzerne, sondern andere, die die Windenergie in den Markt gebracht haben.

DW-TV: Windenergien – gutes Stichwort. Seit Jahren wird hier über Alternativen gesprochen, über alternative Energien. Doch wie weit sind wir eigentlich mit der Umsetzung? Herr Matthes, wann sind wir denn soweit, dass wir von alternativen Energien tatsächlich auch leben können?

Felix Matthes: Es gibt eine Vielzahl von Untersuchungen, wie das in hochindustrialisierten Staaten aussehen könnte. Für Deutschland, auch für andere Staaten, zum Beispiel Großbritannien. Mindestens im Bereich der Stromerzeugung, wahrscheinlich aber auch für die gesamte Volkswirtschaft kann es möglich sein, dass wir in den nächsten vier Dekaden, also bis zum Jahr 2050 ganz überwiegend unsere Energiewirtschaft auf erneuerbare Energien umgestellt haben, also 80-90-100 Prozent sind keine Illusionen oder keine Utopie. Das ist in hochindustrialisierten Staaten möglich.

DW-TV: Könnte es jetzt vielleicht sogar ein bisschen schneller gehen?

Felix Matthes: Ich hoffe, dass das noch mal ein Ausrufezeichen war, dass es mit den alten Energien nicht weiter geht. Das große Klimaproblem bei fossilen Energien, das große Unfallrisiko bei Nuklearenergie, das gibt den alternativen und erneuerbaren Energien viel mehr Energieeffizienz, dann dürfte das Ganze zu machen sein.

DW-TV: Vielen Dank, Felix Matthes vom Öko-Institut hier in Berlin, dass Sie uns begleitet haben in dieser Sendung, und dass sie eingeordnet und eingeschätzt haben.

 

(Interview: Anja Heyde)