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Studiogast: Gerhard Bosch

Dana Eichhorst26. April 2011

Institut Arbeit und Qualifikation

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: Über das neue Gesetz zur Arbeitnehmerfreizügigkeit reden wir mit Gerhard Bosch vom Institut für Arbeit und Qualifikation. Die Lust auf den deutschen Arbeitsmarkt hält sich durchaus in Grenzen. Wie viel Angst müssen die Deutschen jetzt tatsächlich haben?

Gerhard Bosch: Der deutsche Arbeitsmarkt ist lange nicht mehr so attraktiv wie vor vielen Jahren. Wir haben keine Mindestlöhne, zahlen zum Teil sehr schlecht. Die Arbeitskräfte aus Mittel- und Osteuropa sind in andere Länder gegangen, z.B. nach Frankreich. Da bekommen sie einen Mindestlohn von 9 Euro. In diesem Jahr werden 50.000 bis 140.000 Arbeitskräfte erwartet, also eine große Bandbreite. Über die nächsten zehn Jahre reichen die Schätzungen der Zuwanderung von 300.000 bis 800.000. Also gar nicht so große Zahlen.

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: Die Debatte hier in Deutschland kocht sehr hoch. Da geht es um Lohn-Dumping, da geht es um den Verlust von Arbeitsplätzen. Woher kommt diese Angst?

Gerhard Bosch: Die Angst ist hausgemacht. Wir haben seit Jahren einen großen Niedriglohnsektor und da nutzt man auch ausländische Arbeitskräfte, z.B. aus Polen oder aus der Tschechei, die dort entsandt werden über polnische oder tschechische Firmen, und hier dann für drei oder vier Euro arbeiten. Und das führt natürlich dazu, dass die Standards bei uns nach unten gezogen werden. Deshalb ist die Angst vor allem darauf konzentriert, dass unsere Löhne runter gehen.

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: Ist diese Angst auch berechtigt?

Gerhard Bosch: Diese Angst ist durchaus berechtigt. Wir haben unsere Hausaufgaben nicht gemacht, wir haben uns nicht auf einen offenen Arbeitsmarkt in Europa vorbereitet. Unsere Nachbarländer im Westen, die haben alle ihre Hausaufgaben gemacht. Wenn sie nach Frankreich, nach Belgien gehen, da gibt es keine Angst vor der Zuwanderung aus Mittel- und Osteuropa, weil dort die Lohnsysteme wasserdicht sind. Das heißt, die ausländischen Arbeitskräfte, ob sie nun als Einzelpersonen kommen oder von Firmen geschickt werden, bekommen im Prinzip den gleichen Lohn wie die dortigen Arbeitnehmer. Bei uns aber nicht.

DW-TV: Das heißt, wir hätten den flächendeckenden Mindestlohn einführen können?

Gerhard Bosch: Wir hätten ihn einführen müssen. Das haben auch die EU-Kommissare, Herr Verheugen und der neue Sozialkommissar, gesagt. Sie haben Deutschland sozusagen ermahnt, endlich ihre Hausaufgaben zu machen. Aber die Mindestlöhne kommen bei uns nur tropfenweise in einzelnen Branchen, wie in der Bauwirtschaft oder jetzt in der Pflege. Und zwar mit Blick auf Mittel- und Osteuropa.

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: Aber gerade im Pflegebereich werden dringend Kräfte gesucht. Ist es nicht auch eine Chance, gerade auch für unseren Fachkräftemangel, dass wir dieses Problem endlich lösen können?

Gerhard Bosch: Ja, das ist eine Chance, einen Beitrag dazu zu leisten, weil wir ohne ausländische Arbeitskräfte zu wenig Fachkräfte oder Arbeitskräfte überhaupt haben. Aber Fachkräftemangel zu lösen, dass ist auch eine Hausaufgabe. Wir müssen Jugendliche gut ausbilden und da haben wir auch viel versäumt. Die Zuwanderung löst nur ein Teil des Problems.

(Interview: A. Heyde)