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Studiogast: Wolfgang Gerke, Finanzmarktexperte

Kiron Kreuter31. Mai 2011

Gespräch zu den Themen: Geschichte der Staatsverschuldungen. Wie können wir aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernen? Und: Spekulationen mit Staatsanleihen: das Geschäft mit hochkriskanten Finanzprodukten, mit denen auch deutsche Kommunen munter spekuliert haben.

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DW-TV: Wolfgang Gerke, können wir denn gar nichts aus der Geschichte lernen?

Wolfgang Gerke: Doch, wir müssen etwas aus der Geschichte lernen. Das spart viel Geld. Aber ich habe schon den Eindruck, wir lernen nicht daraus. Insbesondere Währungsgeschichte ist ein ganz spannendes Kapitel. Da sind so die Fehler gemacht worden und im Moment sind wir schon wieder dabei. Wir machen die Europäische Zentralbank zur Weltbank für europäische Staatsanleihen – ein Riesenfehler. Den darf man nicht begehen. Wir brauchen stabiles Geld und da ist es ganz wichtig, dass die Notenbankpolitk auf Geldwertstabilität ausgerichtet ist. Die amerikanische Zentralbank hat seit Jahren eine völlig andere Politik betrieben, sie hat Kriege finanziert und den Dollar damit schwach gemacht, auch eine Politik, die zu Lasten anderer Länder gemacht wurde. Das geht in Zukunft so nicht mehr, also da müssen wir uns zurückbesinnen, aus der Geschichte lernen. Wir können aber auch noch viel mehr aus der Geschichte lernen.

DW-TV: Auch etwas Gutes?

Wolfgang Gerke: Ja, natürlich – das sind alles gute Dinge, denn das sind ja Schmerzen der Vergangenheit, die in Zukunft nicht wieder auftreten dürfen. Nur: eins müssen wir auch lernen – die Krisen kommen wieder. Sie kommen auch in etwas anderem Gewand wieder. Und heute, wo 60 Prozent des Computerhandels aus Computersystemen herauskommt, nicht mehr vom Menschen, werden auf jeden Fall der Profits viel stärker werden, d.h. die nächste Finanzkrise wird noch gewaltiger als die letzte und sie wird schneller kommen.

DW-TV: Na dann bleiben jetzt mal bei der jetzigen Krise, vor allem der Eurozonenkrise. Der Geist der Inflation steht im Raum. Kann uns so was passieren, wie zum Beispiel in den 1920-er Jahren, als das Geld völlig entwertet wurde?

Wolfgang Gerke: Ich hoffe, dass wir wenigstens da aus der Geschichte gelernt haben, aber ich sehe sehr wohl eins: Bei der Staatsverschuldung, die wir weltweit haben und da sind die Amerikaner sogar an ihrer Verschuldungsgrenze mit 14,3 Billionen angelangt. Wir sind auch bald auf dem Weg zu zwei Billionen. Also bei diesen Schulden, da wird es in Zukunft abgearbeitet werden über eine schleichende Inflation, d.h. wir Bürger werden betrogen, es werden Gläubiger und Schuldner eine Umverteilung erleben, nämlich eine Umverteilung von Pensionären und Rentnern zu Erwerbstätigen und leider wären die Sparer geschädigt dadurch.

DW-TV: Apropos Schuldner: Griechenland hat eine Menge Geld bekommen von der EU. Argentinen zum Beispiel hat das Geld damals nicht zurückbezahlt, Island will jetzt auch nicht zahlen. Kann uns so was passieren mit Griechenland und was ware die Konsequenz – sollen sie die EU verlassen oder die Eurozone zumindest?

Wolfgang Gerke: Ja, man hätte Griechenland leicht eine Auszeit vom Euro geben sollen, denn Griechenland hat gegen die Maastricht-Vertäge so hart verstoßen, dass es sich gar nicht mehr auf die Verträge berufen kann und sagen, keiner darf jetzt wieder raus aus dem Euro. Das hätte Griechenland auch viel mehr geholfen, wenn man den Schulden erlassen hätte, also quasi eine Insolvenz gemacht hätte, wie man es bei uns privat nennen würde. Stattdessen haben wir nicht Griechenland gerettet, denn wir haben Griechenland in Rezession geschickt. Wir hätten Griechenland mehr geholfen, wenn wir Griechenland aus dem Euro rausgenommen hätten, den Tourismus attraktiver gemacht hätten. Aber wir hatten Angst für unsere Finanzwirtschaft. Wir wollten nicht, dass bei den großen Kreditinstituten plötzlich die Griechenlandanleihen ausfallen.

DW-TV: Zu einem anderen Thema: Wolfgang Gerke, das müssen Sie mir einmal erklären: Wenn ich meine Miete nicht rechtzeitig bezahle, meine Autorate nicht bezahle, wenn ich einem Laden nicht bezahle, dann habe ich Probleme. Aber die Kommunen – die dürfen sich Zeit lassen.

Wolfgang Gerke: Ja, das ist auch nicht richtig. Man muss die Kommunen hier als Vorbild sehen, das sind sie nicht. Sie sind natürlich klamm unsere Kommunen, sie haben im Wandel viele Aufgaben zu erfüllen, manche haben auch natürlich schlecht gewirtschaftet, aber da darf man nicht plötzlich Zinsgewinne erwirtschaften wollen zu Lasten von Handwerkern. Also da muss man auch die Zahlungsmoral haben, die man erwartet von einer öffentlichen Institution.

DW-TV: Welche Möglichkeiten haben die Kommunen denn dann, um ihr Budget, um die Handwerker rechtzeitig zu bezahlen, aufzustocken?

Wolfgang Gerke: Ja, das ist natürlich ein Riesenthema, wie sieht der Länderfinanzausgleich aus und wenn Kommunnen Förderungen bekommen von ihren Ländern, dann wieder – welche Steuermittel wären wie verteilt? Ein Riesenthema und man muss leider dazu sagen, es gibt Kommunen, denen geht es sehr gut, weil sie tolle Industrie vor Ort haben, anderen geht es sehr schlecht, weil sie sehr viel Sozialhilfe in ihrem Bereich haben, weil Unternehmen abgewandert sind, Pleite gegangen sind und man muss trennen – hat eine Kommune verwirtschaftet, weil sie es nicht konnte oder ist sie in ein Schicksal hineingeraten, was sie nicht zu verantworten hat.

DW-TV: Manche haben sich vielleicht auch am Finanzmarkt verspekuliert, mit Steuergeldern?

Wolfgang Gerke: Es ist ganz schlimm, was wir da beobachtet haben, dass Kommunen spekuliert haben, beispielsweise mit Credit Default Swaps, sie haben sich von Bankenverbriefungen aufschwatzen lassen, die sie nicht verstanden haben, wo sie darauf spekuliert haben, dass sich kurzfristige Zinsen anders entwickelt haben als langfristige Zinsen und die Bank selber hat einen festen Zins bekommen. Die Bank hat ihr Schäfchen im Trockenen gehabt, aber das ist auch in Ordnung. Letzten Endes erwarte ich das von guten Bänkern. Die Kommune hat das Risiko getragen. Nichts dagegen, wenn sie das Geschäft verstehen, aber dann auch nicht spekulativ, sondern zum Sichern von anderen Zahlungsströmen. Es ist komplex, aber man kann das verstehen und wenn man es nicht versteht, soll man die Finger davon lassen.

DW-TV: Aber bei einem so komplizierten Finanzprodukt wie der Credit Default Swaps kann man vielleicht auch nicht erwarten, dass eine Kommune, ein Laie das versteht. Diese Credit Default Swaps sind ja auch während der Finanzkrise danach heftig in die Kritik geraten und werden trotzdem weiter gehandelt.

Wolfgang Gerke: Ja, ist ja auch gar nichts dagegen einzuwenden, aber diejenigen, die diese Titel nutzen, die sollen sie eben verstehen. Das ist das Problem gewesen, da haben selbst unsere Landesbänker manche Titel gekauft, die noch komplizierter waren, wo sie die Risiken nicht richtig gesehen haben. Das ist das Problem, also nicht Verbote, sondern diejenigen sollen auch haften, die hier Geschäfte machen zu Lasten von uns Steuerzahlern. Und wenn sie nämlich haften, lassen sie die Finger davon.

DW-TV: Das ist sicherlich eine Möglichkeit. So jetzt haben wir natürlich verschiedene Aspekte von Schulden schon beleuchtet: Woher sie kommen, wie man sie eventuell wieder abbauen kann. Herr Gerke als Finanzexperte, geben sie uns doch ein Ausblick. Wie schlimm ist denn es eigentlich und wie weit wachsen die Schulden denn noch? Womit müssen wir rechnen?

Wolfgang Gerke: Also die Schulden wachsen noch, das ist nicht ganz so schlimm, wenn die Gelder optimal eingesetzt waren, also investiv auch Nutzen stiften, aber wir machen eins im Moment: wir verlagern Probleme auf die nächste Generation, wenn wir uns heute zu Lasten der nächsten Generation verschulden. Ich habe so den Eindruck, der Staat nützt den niedrigen Zinsen, um sich langfristig zu verschulden und das gilt jetzt keineswegs nur für uns Deutsche, aber die Schuldenuhr bei uns ist auch erschreckend.

DW-TV: Und Sie sprechen es jetzt an: die Schuldenuhr. Sie tickt ja weiter und da schauen wir jetzt doch noch einmal drauf. Die Summe steigt pro Sekunde um 2279 Euro – das heisst. jetzt am Ende dieser Sendung haben sich die Schulden um weitere 3 Millionen 589.425 Euro erhöht. Und mit dieser astronomischen Summe verabschiede ich mich heute von Ihnen. Vielen Dank Wolfgang Gerke.

Interview: Monika Jones