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Studium statt Kaserne

17. Januar 2011

In Deutschland platzen viele Unis aus den Nähten. Doppelte Abiturjahrgänge und das Ende der Wehrpflicht bringen Hochschulen an den Rand ihrer Kapazitäten. Mehr Geld für mehr Raum, das sind die Forderungen an die Politik.

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Hörsaal der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg (Foto: Fotolabor HSU HH)
Gut besucht: Vorlesung an der Bundeswehr-Uni in HamburgBild: Fotolabor HSU HH

Von vollen Hörsälen kann Anna ein Lied singen. Sie studiert Wirtschaftswissenschaften an der Kölner Universität und erlebt jedes Semester das gleiche Szenario: "Man muss quasi den Hörsaal stürmen". In den ersten drei Wochen zu Semesterbeginn ist es immer am schlimmsten. "Einmal habe ich die Situation erlebt, dass Studenten ihre Jacken von unten in die dritte Reihe hoch geschmissen haben, um sich mit dieser Aktion einen Platz zu reservieren", erzählt sie. Für Anna eine skurrile und abschreckende Situation.

Höchststand bei Studierendenzahlen

Die deutschen Unis und Fachhochschulen sind voller als je zuvor. 2,2 Millionen Nachwuchsakademiker sind aktuell eingeschrieben. Und die Zahl wird weiter steigen, bis auf 2,7 Millionen, vermuten die Wissenschaftsminister. Zwar sagen Bildungspolitiker immer wieder, dass Deutschland mehr Studenten braucht. Doch dass die Zahlen gerade jetzt so stark steigen, hat mehrere Gründe: Zum einen gibt es die doppelten Abiturjahrgänge. Das heißt, in vielen Bundesländern wurde die Schulzeit bis zum Abitur von neun auf acht Jahre verkürzt – und die erste Welle der jüngeren Abiturienten verlässt demnächst die Schulen. Außerdem wird in Deutschland die Wehrpflicht ausgesetzt. Gerade wurden die letzten Rekruten zum Militärdienst eingezogen.

Den richtigen Sitz des Helms überprüft ein Ausbilder bei einem Rekruten der Bundeswehr (Foto: dpa)
Nach der Schule zur Armee - oder doch lieber direkt ein Studium?Bild: picture alliance/dpa

Wehrpflicht ade

Die Wehrpflicht gab es in Deutschland seit 1956. Doch die Zeiten, in denen junge Männer nach der Schule für einige Monate zur Armee müssen, sind jetzt vorbei: Ab sofort werden keine Wehrpflichtigen mehr zur Bundeswehr eingezogen. Viele von ihnen wollen stattdessen ein Studium anfangen, vermuten Experten. Die Universitäten rechnen deshalb mit bis zu 60.000 zusätzlichen Studienanfängern alleine in diesem Jahr. "Die Hochschulen brauchen dringend Unterstützung, um die jungen Leute auch aufnehmen zu können", sagt Margret Wintermantel, die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz. Schließlich wolle man bei der Qualität der Ausbildung keine Kompromisse machen.

Qualität braucht Geld

Die Hochschulen wollen mehr Geld, um zusätzliche Studienplätze aufbauen zu können. Zwei Milliarden Euro pro Jahr, so die Schätzungen, brauchen sie zusätzlich zu den bisherigen Geldern, um die steigenden Studentenzahlen bewältigen zu können. Der politische Druck sei groß, meint auch der Bildungsökonom Dieter Dohmen. "Wir stehen jetzt vor den ganz starken Abiturientenjahrgängen, dann kommt die Abschaffung von Wehr- und Zivildienst dazu. Da kann ich mir nicht vorstellen, dass es sich Bund und Länder leisten können, junge Menschen vor den Türen der Hochschulen stehen zu lassen."

Alternative: Bundeswehruni

Pädagogik-Studenten an der Bundeswehr-Universität in München (Foto: Universität der Bundeswehr München)
Keine Nachwuchsprobleme: Studenten an der Universität der Bundeswehr in MünchenBild: Universität der Bundeswehr München

Für ganz andere Probleme sorgt die Abschaffung der Wehrpflicht dagegen bei der Bundeswehr: Die Armee muss jetzt dafür sorgen, dass ihr der Nachwuchs nicht ausgeht. Dabei macht sich Steffen Stoll, zuständig für die Personalrekrutierung, um den akademischen Nachwuchs keine großen Sorgen. Schließlich hat die Bundeswehr zwei eigene Hochschulen in München und Hamburg. "Seit der Diskussion um die Aussetzung der Wehrpflicht haben die Bewerberzahlen im Bereich der Offiziersausbildung sogar zugenommen", sagt Stoll. Von den doppelten Abiturjahrgängen erhofft er sich weitere Bewerber an den Universitäten der Bundeswehr.

Unsicherheit und emotionale Achterbahn

Doch bei vielen Studieninteressenten hat sich diese Möglichkeit noch nicht herumgesprochen – sie sind im Moment vor allem durch die überfüllten Unis irritiert und wissen nicht so recht, was sie jetzt machen sollen. "Das macht vielen Leuten auch schon Angst". Kai aus Düsseldorf ist unsicher, ob er in seinem Wunschfach überhaupt eine Chance auf einen Studienplatz hat. "Es ist die Frage, ob man sich diese 'Emotionsachterbahn" antun möchte oder dann doch etwas anderes macht." Wenn viele so denken wie Kai, könnten aber dann am Ende wieder die in Industrie und Forschung dringend gebrauchten akademischen Nachwuchskräfte fehlen.


Autor: Armin Himmelrath
Redaktion: Gaby Reucher