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"Stärkste Stimme des Ostens"

Ingo Mannteufel7. Juni 2003

Am 7. und 8. Juni stimmen die Polen über den Beitritt zur EU ab. Über die historische Bedeutung des Referendums und die künftige Rolle des Landes in Europa sprach DW-WORLD mit dem renommierten Historiker Norman Davies.

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EU-Werbung in PolenBild: AP
Polen Referendum, EU Beitritt, Tak - Zustimmungsplakat
Demonstration für Polens Beitritt zur Europäischen UnionBild: AP

Am Samstag und Sonntag (7./8. Juni 2003) sind die Polen aufgerufen, in einer Volksabstimmung über den Beitritt ihres Landes zur Europäischen Union zu entscheiden. Nach Meinungsumfragen sind zwar rund 70 Prozent der Polen für den Beitritt. Viele Polen verbinden dennoch mit der aus Brüssel verwalteten supranationalen Organisation Ängste. Deshalb waren führende europäische Politiker wie der britische Premierminister Tony Blair und der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder in den letzten Wochen auf Werbetour für die Europäische Union in Polen unterwegs.

Polen lieben Unabhängigkeit

Das Referendum sei ein sehr großer Schritt für Polen, sagt der in Polen sehr geschätzte englische Historiker Norman Davies. Er ist emeritierter Professor der Universität London sowie Autor zahlreicher Werke zur Geschichte Polens und Europas. In Deutschland fand zuletzt sein Buch über die Geschichte der Stadt Breslau-Wroclaw großes Interesse.

Norman Davies, englischen Historiker
Norman Davies

Als hervorragender Kenner der polnischen Vergangenheit und Gegenwart erklärt Davies das Unbehagen einiger Polen mit der EU so: "Die Polen haben zwei Jahrhunderte für einen unabhängigen souveränen demokratischen Staat gekämpft. Sie haben dies erst vor rund dreizehn Jahren erreicht. Und nun werden die Bürger sehr früh gefragt, zumindest einen Teil dieser Souveränität wieder aufzugeben." Das Referendum sei die erste bedeutende Volksabstimmung, die in einem unabhängigen Polen getroffen werden müsse. Davies glaubt aber, dass die Polen letztendlich in einem ziemlich knappen Ergebnis für den Beitritt stimmen werden.

Ende des Post-Kommunismus

Seit dem Ende des Kommunismus in Polen dominierte in der polnischen Politik das Bestreben, der NATO und der EU beizutreten. Mit dem Erreichen dieser politischen Ziele werde sich die politische Landschaft des 40-Millionen Volkes in den nächsten Jahren ändern, meint Davies. Denn neue demokratische Bewegungen wie eine demokratische Linke ohne Wurzeln in der kommunistischen Partei Polens oder eine konservative christlich-demokratische Partei werden sich - auch unter dem Einfluss von Nachbarländern wie Deutschland - stärker entwickeln. Der Historiker sieht daher den Beginn einer neuen Epoche in der polnischen Geschichte: "Nach dem EU-Beitritt wird die postkommunistische Phase ausklingen."

Deutsche werden umdenken müssen

Doch nicht nur für Polen sieht Davies bedeutende Veränderungen in der Zukunft kommen. Aus seiner Sicht werden die bisherigen EU-Mitglieder über die Energie und Zielstrebigkeit vieler Polen erstaunt sein. Vor allem die Politiker der alten Mitgliedsstaaten der EU sind daran gewöhnt, Dinge unter sich zu klären - besonders die Deutschen und die Franzosen. Sie werden überrascht sein, dass sie einen neuen Partner und dessen Meinung in Betracht ziehen müssen, so Norman Davies.

Für den Historiker wird Polen zu den sechs oder sieben größeren EU-Staaten gehören, die die Mehrheitsbeschlüsse in der EU dominieren und Entscheidungen treffen. Polen werde im selben Club wie Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien sein und eine stärkere Stimme haben als beispielsweise Slowenien oder Luxemburg. Davies geht sogar noch einen Schritt weiter: "Polen wird die stärkste Stimme im Osten sein. Und damit einfach ein starker Partner in der Europäischen Union."